Die Ära Trump neigt sich ihrem Ende zu – so oder so.

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"Was wir erleben, ist das Ende der Präsidentschaft Trumps in Zeitlupe", kommentierte sichtlich erschüttert CNN-Reporter Jim Acosta – einer der Lieblingsfeinde des Präsidenten – nach dessen bizarrer Rede ("legale Stimmen", "illegale Stimmen") im Weißen Haus.

Als Augenblicke später der Schnitt ins Studio folgte, blickten Millionen Zuseher gebannt auf Rick Santorum, seines Zeichens Republikaner, einst Präsidentschaftskandidat, streng konservativ und im CNN-Kosmos in der Rolle des Reibebaums. Das Entsetzen über das Gehörte stand ihm ins Gesicht geschrieben. "Kein gewählter Republikaner wird hinter diesen Aussagen stehen. Keiner", war Santorum sich sicher – und nahm in dem von Trump stets als "Fake News"-Medium gescholtenen Sender womöglich vorweg, was bald Realität werden könnte.

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Mehr und mehr Republikaner wenden sich von ihrem Präsidenten ab. Doch noch gibt es sie, die Konservativen, die Trumps Behauptungen glauben, sie unterstützen und auch noch verbreiten. Es zeigt sich: Der Riss durch die Vereinigten Staaten wird immer mehr auch zu einem Riss durch die Republikanische Partei. Und er beginnt unten.

Loyale Söhne

Es überrascht nicht, dass der Präsident auf die Loyalität seiner Familie zählen kann. Doch nicht nur. Während Donald Trump Junior, sein ältester Sohn, zuvor noch den "totalen Krieg" gegen den angeblichen Wahlbetrug erklärte und Eric Trump der Partei mangelnde Unterstützung für seinen Vater vorwarf, spendete Lindsey Graham, Senator aus South Carolina, 500.000 Dollar für Trumps Rechtsanwälte. Auch Richard Grenell, ehemals US-Botschafter in Berlin, hält treu zu Trump und spricht auf Twitter von unterdrückten "Beweisen" für Fälschungen.

Der Texaner Ted Cruz, der 2016 Trump im Vorwahlkampf unterlegen war und seither zu den vehementesten Fürsprechern des Präsidenten gehört, vermag zwar – wenig überraschend – ebenso keine Beweise für Unregelmäßigkeiten vorzulegen, hält die Wahl aber trotzdem für gefälscht. Die Demokraten, spiegelt er seinen Chef, versuchten, die Wahl zu stehlen.

"Langsam verrückt"

Doch die Stimmen, die sich von Donald Trump abwenden, werden lauter. "Es gibt keine Rechtfertigung für die Äußerungen des Präsidenten heute Abend, die unseren demokratischen Prozess untergraben", twitterte etwa der republikanische Gouverneur von Maryland, Larry Hogan. Adam Kinzinger, Luftwaffenveteran und Kongressabgeordneter aus Illinois, forderte von Trump Beweise für den behaupteten Betrug. "Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten. Das wird langsam verrückt", twitterte er.

Und doch sind es nicht mehr nur die Hinterbänkler in den Reihen der Republikaner, die langsam, aber sicher die Geduld mit Trump verlieren. Der Senator Marco Rubio etwa, einst selbst Präsidentschaftsaspirant und eine Stimme der für Trump so wichtigen Exilkubaner, ließ den Präsidenten wissen, dass es kein Betrug sei, wenn "es Tage dauert, legal abgegebene Stimmen zu zählen". Auch Lisa Murkowski, Senatorin aus Alaska und bisher loyal zu Trump, sprach sich dafür aus, Geduld mit den Wahlbehörden zu haben, alle Stimmen gehörten gezählt.

Differenzierte Betrachtung

Ganz so weit mochte sich der wohl zweitwichtigste Mann der Partei zu diesem Zeitpunkt freilich noch nicht aus dem Fenster lehnen. Mitch McConnell, der als Mehrheitsführer im Senat auch in Hinkunft eine entscheidende Rolle in der US-Politik spielen wird, will den Präsidenten nicht dafür verurteilen, dass er sich schon in der Wahlnacht zum Sieger ausgerufen hat. Doch "zu behaupten, die Wahl gewonnen zu haben, ist etwas anderes, als die Auszählung zu beenden". John Bolton, außenpolitischer Hardliner und erst unlängst bei Trump in Ungnade gefallen, hält die Betrugsfantasien des Präsidenten für die "unverantwortlichsten Bemerkungen, die ein Präsident der Vereinigten Staaten je gemacht hat".

Und auch Chris Christie, der ehemalige Gouverneur von New Jersey, forderte von Trump live im Fernsehen Beweise. Denn sonst, so Christie, würde er nur "zündeln, ohne zu informieren". Ein Mann hingegen muss schon von Amts wegen die Meinung seines Chefs vertreten: Vizepräsident Mike Pence. (Florian Niederndorfer, 6.11.2020)