Rapper Kollegah.

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Sprechen Sie mir nach: Menpower. Sprechen Sie mir nach: MENPOWER! Wenn es funktioniert hat, dann fühlen Sie sich jetzt leicht aggressiv bis überlegen, bereit, den Tag anzugreifen, viel Geld zu machen, Frauen zu dominieren, halt einfach alpha zu sein. Alpha im Sinne von mächtig, unerschütterlich und zupackend. Falls es nicht geklappt hat, gehören Sie womöglich nicht dem Geschlecht an, das "die Straßen gebaut und mehr oder weniger die ganze Technologie erfunden hat", wie ein junger Mann gerade in den sozialen Netzwerken verkündet.

Oder Sie lassen sich von derlei Motivationswandtattoosprüchen einfach nicht aus der Reserve locken, weil Sie solche "Tschakka! Du schaffst es!"-Taschenspielertricks nie sonderlich beeindruckt haben oder Sie inzwischen zu alt für diesen Unfug sind. Das Phänomen betrifft tatsächlich vornehmlich Männer diesseits der 35. Wobei man wie immer mit Pauschalisierungen vorsichtig sein sollte: Der Erfinder des selbstmotivierenden "Tsjakkaa!"-Ausrufs, der niederländische Motivationstrainer Emile Ratelband, hat sich 2018 erfolglos darum bemüht, sein Geburtsalter von 1949 auf 1969 heraufzusetzen, um seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt und auf Datingplattformen zu verbessern.

Geschlechtsspezifischen Erbschein

Mit seiner Selbsteinschätzung, ein "junger Gott" zu sein, liegt Ratelband auch jenseits der 70 inhaltlich sehr nah an der Generation der selbsternannten Alphamänner des neuen Jahrtausends. Männer, die sich nach eigenem Bekunden "niemals von einer Frau dominieren lassen würden, mehr wollen und die Welt vorantreiben". Männer, die bei ihren "Mein Geschlecht dies das"-Aufzählungen irgendwie immer zu vergessen scheinen, dass ihrer Logik zufolge ihr Geschlecht unter anderem auch für die Durchführung von industriellem Massenmord und für die sexualisierte Gewalt an zahllosen Kindern innerhalb der katholischen Kirche verantwortlich ist.

Wenn Mann also ernsthaft von einem geschlechtsspezifischen Erbschein profitieren möchte, dann gilt es auch die Verantwortung für eine geschlechtsspezifische Erbschuld zu übernehmen. Das scheint jedoch niemand zu wollen. Statt aber einfach das gesamte Konzept einer ererbten Geschlechterdetermination im Guten wie im Schlechten abzulehnen und faire und gleichberechtigte Regeln mit allen daraus folgenden Konsequenzen für die Realität der Gegenwart zu erarbeiten, schwindeln sich diese Männer in eine nahezu unerschütterliche Anspruchshaltung: das starke Geschlecht, das geniale Geschlecht, das kreative Geschlecht.

Davon, dass dieses Geschlecht allen Statistiken nach auch das besoffene, kriminelle und brutale Geschlecht ist, darf dabei keine Rede sein. Nichts soll den heraufdämmernden Morgen der neuen mächtigen, mit Fitnessstudiomitgliedschaft, Youtube-Kanal und Businessplan vollausgestatteten Männlichkeit trüben. Darin zeigt sich ein wenig beachtetes Phänomen, dem auch die Autorin Veronika Kracher in ihrem neuen Buch über die Incel-Bewegung nachgeht: die Verführbarkeit von Jungen und Männern mit einer ansozialisierten Anspruchshaltung auf Macht, Gefolgschaft sowie Zuneigung und Körper von Frauen.

Aufputschmittel und Steroide

Denn wenn wir schon bei vorsichtigen geschlechtsspezifischen Pauschalisierungen sind, dann muss konstatiert werden, dass Männer das verführbare Geschlecht sind. Das ist insofern interessant, als dass lange Zeit vordringlich Frauen als das verführbare, das beeinflussbare Geschlecht galten. Als schlangenverführte Evas, Frauenzeitschriftsuggestionsopfer und Boybandkreischfans.

Aber was ist eigentlich mit der Verführbarkeit von Jungen und Männern? Mit der geradezu dankbaren Offenheit für Versprechungen von Macht, Geld, totalitären Geltungsansprüchen und sexuell verfügbaren Frauen? Mit den Millionen Teenagerjungs, die dem Instagram-Selbstdarsteller Dan Bilzarian folgen, weil er anscheinend den feuchten Traum all dessen lebt, was stereotyp unter Männlichkeit subsumiert wird?

Mit den jungen Männern, die sich für das Mentoring-Programm des Rappers Kollegah angemeldet haben, weil sie sich davon versprochen haben, "aus dem Schatten zu treten und rundum erfolgreich zu sein"?

Mit all den Männern, die sich Aufputschmittel und Steroide einschmeißen, um ihre Träume von unzerstörbaren, muskulösen Körpern zu verwirklichen, die sie genau damit kaputtmachen?

Mark Plummer

Männer sind verführbar, weil Menschen verführbar sind. Je länger wir uns einreden, dass unsere Vorstellung von Männlichkeit beinhaltet, dass Männer weniger anfällig für und resistenter gegen Verführbarkeit, Täuschungen und Lügen sind, desto gefährlicher. Tatsächlich ist sie mit dafür verantwortlich, wie sehr sich Männer verrennen, sich und andere täuschen und verletzen. Um sie dagegen resilient machen zu können, müsste man zunächst anerkennen, wie verwundbar sie sind. Denn genau das sind sie. (Nils Pickert, 8.11.2020)