Rein technisch wäre es auf der Stelle möglich, ein Fahrzeug loszuschicken, das fahrerlos vollautomatisch von Milwaukee nach Tucson oder auch von Wien nach Scheibbs, von Cottbus nach Castrop-Rauxel findet. Es wäre trotz aller Fortschritte noch immer ein Kleintransporter mit einem Laderaum voller Rechner und einer Vielzahl an unübersehbaren Sensoren auf dem Dach und rundum. Doch das Ergebnis des Versuchs könnte sich sehen lassen: Das Fahrzeug würde mit höchster Wahrscheinlichkeit sein Ziel nicht verfehlen und mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Schaden anrichten. Es würde sauberer geradeaus fahren als ein Mensch, der während des Fahrens gerade eine SMS in sein Handy tippt. Für eine deftige Schlagzeile vom Durchbruch des autonomen Automobils im Boulevard und einen heftigen Erregungssturm in den sozialen Netzwerken würde es allemal reichen.

Fahrerloser Kleinbus auf dem Gelände der Charité in Berlin, bekannt durch den Corona-Virologen Christian Drosten: Auf einfachen, klar umrissenen Wegstrecken abseits des öffentlichen Straßennetzes lässt sich autonomes Fahren schon jetzt recht einfach verwirklichen.
Foto: Florian Gärtner

Und warum macht man es nicht? Weil hohe und höchste Wahrscheinlichkeiten noch zu wenig sind, wenn es um die sichere Funktion eines Automobils oder besser "Auto-Automobils" geht. Denn die Steigerung der Sicherheit ist das zentrale Element des Heilversprechens.

Die Entwicklung so epochaler Dinge wie des selbstfahrenden Autos wäre wohl ohne eine griffige Zieldefinition nicht möglich. Und die lautet: null Unfälle. Es ist zwar klar, dass diese Vision auch mit Computerhilfe nicht vollends zu erfüllen ist, aber man darf ja einmal hindenken, und interessant erscheint allemal, wie jetzt wirklich die Hürden aussehen.

Die heiße Herdplatte

Auch wenn die Themenkreise rund um das automatische Autofahren heute stark von amerikanischen IT-Konzerne besetzt sind, weil Rechenleistungen und wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Wagemut dort am höchsten sind, die ersten "Roboterautos" fuhren bereits 1994 im Rahmen des Prometheus-Forschungsprogramms der europäischen Autoindustrie 1000 Kilometer hochautomatisiert über Autobahnen, sie konnten sogar schon selbstständig überholen. Und das, obwohl das GPS-System damals noch für zivile Zwecke unscharf gestellt war.

Die Autoindustrie hat dabei erkannt, wie schwierig das alles ist, und hat sich von der Thematik sofort wieder zurückgezogen wie man den Finger von einer heißen Herdplatte. Mitte der 2000er-Jahre fanden dann mehrere Rennen selbstfahrender Autos statt, organisiert von der US-Militärbehörde Darpa, zuerst in der Wüste, dann in einer Geisterstadt nahe San Bernardino, Kalifornien. Dem Volkswagen-Team gelang es sogar, einen Passat so zu programmieren, dass er einem US-Team beim Zieleinlauf plötzlich den Vortritt ließ, vermutlich als freundliche Geste dem Veranstalter gegenüber, so jedenfalls die Beobachtung des Autors dieser Zeilen direkt vor Ort.

Mittlerweile hat die Automatisierung des Autofahrens völlig andere Dimensionen erreicht. Ein Teil der dafür notwendigen Technik ist bereits in Serienfahrzeugen verbaut. Die vielen (Sicherheits-)Assistenten arbeiten mit Sensoren, Aktuatoren und Rechenprogrammen, die auch künftig ein Teil automatischer Systeme sein werden. Wir erleben es ja ohnehin schon jeden Tag. Der adaptive Tempomat, eine Funktion, die mittlerweile schon in Kleinwagen verfügbar ist, fällt aus, weil eine Mücke auf einem Sensor klebt (harmlos). Die automatische Notbremsfunktion legt eine Vollbremsung hin, weil eine Kamera glaubt, einen gefährdeten Fußgänger beobachtet zu haben (nicht harmlos). Es gibt noch viel zu tun, bis wirklich Autos ohne menschliches Zutun längere Strecken selbst fahren können.

Juristische Probleme

Im Moment scheint alles auf Stufe zwei der sechsstufigen Normskala des automatischen Autofahrens eingefroren (Stufe null: Fahrer allein, Stufe eins: assistiert – z.B. Tempomat hält Abstand zum vorderen Fahrzeug, Spurassistent –, Stufe zwei: teilautomatisiert – zusätzlich z.B. Überholassistent, Einparkassistent). Bis hierher bleibt der Fahrer zu hundert Prozent in die Überwachung des Fahrzeugs eingebunden und ist auch für jegliche Fehlfunktion selbst verantwortlich. Bis hierher reicht der Stand der Serientechnik.

Schwierig wird es ab Stufe drei, dem hochautomatisierten Fahren. Hier geben sich technische Herausforderungen und juristische Probleme die Hand. Denn dann darf sich der Fahrer auch vom Geschehen abwenden, er muss aber immerhin auf Abruf bereitstehen. Stufe vier (vollautomatisch) heißt weiters, dass zwar noch ein Fahrer an Bord ist, wenn dieser nicht reagiert, bleibt das Fahrzeug aber von allein stehen. Erst Stufe fünf kommt dann ganz ohne Fahrer aus.

Die Visionen gehen über den Betrieb im normalen Straßennetz hinaus, auch im Gelände soll es, wie bei einem Marsmobil, autonom zugehen. Die Realität, nun ja, sie hinkt ein wenig hinterher.
Foto: Audi

Aber im Hintergrund wird emsig geforscht, werden Prototypen gebaut, wird getestet – immer mehr in der virtuellen Welt, aber auch in der realen. Denn alles, was am Computer entsteht, muss auch mit der Wirklichkeit gegengecheckt werden. Zahlreiche Straßenabschnitte in Europa sind bereits für das Testen autonomer Fahrfunktionen freigegeben. Zur Beruhigung: Was immer dort auch geschieht, es ist stets ein Fahrer an Bord, der bei Fehlfunktion eingreift.

Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine bleibt die größte Herausforderung, juristisch wie technisch. Selbst die juristischen Grundregeln zum sicheren Autofahren nach der Wiener Straßenverkehrskonvention von 1968 wurden von bedeutenden Märkten wie China und den USA nie unterzeichnet, geschweige denn ratifiziert. Die 2016 erfolgte Anpassung der Wiener Spielregeln an die Möglichkeiten des automatischen Autofahrens brachte nur wenig Erleichterung. Zu unterschiedliche Rechtslagen europaweit und erst recht weltweit stellen ein enormes Hindernis für die Erweiterung automatischer Fahrfunktionen dar. Im Wesentlichen wurden bis jetzt nur Ausnahmen für das legale Testen von automatischen Fahrfunktionen auf öffentlichen Straßen geschaffen. Der Spalt zwischen Lenker- und Herstellerverantwortung ist nicht kleiner geworden.

Vielfalt der Aufgaben

Auch auf der technischen Seite sind noch gewaltige Hürden zu überwinden: Derzeit sind in einem Auto bis zu 100 Steuergeräte verbaut. Sicherheitshalber bekam jede neue Funktion immer wieder eine neue Steuereinheit, auf dass Funktionsstörungen wenigstens begrenzt blieben. Das ist in der Vielfalt der Aufgaben und Vernetzung nicht mehr aufrechtzuerhalten. So hat etwa Volkswagen mit Continental ein In-Car-Server-Konzept entwickelt, das jetzt mit dem ID.3 erstmals in Serie geht und das auch andere Hersteller künftig nutzen wollen.

Sicherheit kann nicht mehr als stabile Größe gesehen werden. Das Auto ist ein Teil der Up date- und Upgrade-Gesellschaft geworden. Um die Funktionssicherheit eines hochautomatisierten oder autonomen Autos zu gewährleisten, muss es während seiner Funktionsperiode laufend verbessert werden. Softwareupdates "over the air" sind eine Grundvoraussetzung, um Funktionen zu verbessern und Fehler auszubügeln, aber auch, um im Wettlauf gegen Cyberattacken fit zu bleiben. Es geht ja um vitale Funktionen, nicht nur um Unterhaltung. Auch Hardware muss im Laufe eines Autolebens leicht getauscht werden können. Ein modularer Baukasten reicht also bis tief in den Fahrzeugserver hinein.

So gesehen sind wir noch sehr weit vom autonomen Automobil entfernt, aber der Wind weht scharf von einer ganz anderen Seite. Überall, wo es darum geht, Lenker und damit Personalkosten einzusparen, ist die Bereitschaft, enorme Summen für Entwicklung auszugeben, am größten, etwa im Nutzfahrzeugsektor und im Bereich des teilöffentlichen Verkehrs, Stichwort Robotaxis. Das lineare Hochrechnen des heutigen selbstgelenkten Personenwagens auf ein automatisch fahrendes Vehikel wird nicht funktionieren. Die zunehmende Automatisierung des Verkehrs wird die gesamten Strukturen betreffen, schließlich darf man auch den Energieaufwand, vor allem seinen fossilen Anteil, nie aus dem Auge verlieren, sowohl fürs Fahren an sich und jetzt neu: auch für Serverfarmen. (Rudolf Skarics, 17.11.2020)