Dieses Bild sorgte 2005 für Schlagzeilen.
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Vor 15 Jahren sorgte ein archäologischer Fund im Raum Krems für großes Aufsehen. Forscher legten eine Eiszeit-Grabstätte frei, die weltweit ohne Beispiel ist: Vor rund 31.000 Jahren waren dort zwei Säuglinge unter dem Schulterblatt eines Mammuts bestattet worden.

Die Kinder waren am Rand eines Lagerplatzes in einer Mulde bestattet und in Rötel – einen roten Farbstoff – gebettet worden. Dies entsprach dem eiszeitlichen Bestattungs-Ritus, wie man ihn bereits von den Gräbern Erwachsener kannte. Dass die kleinen Körper außerdem mit dem Mammut-Schulterblatt abgedeckt wurden, dürfte den Druck des Erdreichs und teilweise auch die Feuchtigkeit abgehalten haben. Das erklärt den Archäologen zufolge den hervorragenden Erhaltungszustand des Fundes. Eine Elfenbeinperlenkette als Grabbeigabe sowie die aufwendige Grabkonstruktion zeugen von der Bedeutung der Säuglinge in der damaligen Jäger-Sammler-Gesellschaft.

Das Mammut-Schulterblatt hat die beiden Babys viel länger bewahrt, als ihre Eltern jemals hätten erahnen können.
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Neue Erkenntnisse zu diesem spektakulären Fund hat nun ein interdisziplinäres Forscherteam im Fachjournal "Communications Biology" präsentiert. So weiß man mittlerweile, dass es sich um Zwillingsbrüder gehandelt hatte, dass sie im Abstand von sechs bis sieben Wochen starben und dass in der Nähe des Doppelgrabs ein vermutlicher Cousin bestattet wurde.

Geschichte eines Sensationsfundes

Und so kam der Fund zustande: Im Zuge eines Grabungsprojekts am Kremser Wachtberg stießen Mitarbeiter des Instituts für Orientalische und Europäische Archäologie (OREA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005 unter mächtigen Löss-Schichten auf die weltweit einzigartige Grabstätte. "Einzigartig deshalb, weil man bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Skelette von Kleinkindern bis drei Jahren aus der Zeit des frühen Homo sapiens gehabt hat. Zudem waren es die ersten Skelette aus der Altsteinzeit, die man in Österreich gefunden hat", erklärte Christine Neugebauer-Maresch vom OREA vor einigen Jahren die Bedeutung des Fundes.

2006 wurde dann in unmittelbarer Nähe zur Doppelbestattung ein weiteres, allerdings nicht so gut erhaltenes Grab eines rund drei Monate alten Kindes entdeckt. Neben den beiden Gräbern gaben auch zahlreiche Holz-, Stein- und Tierknochenfunde Hinweise auf die Lebensumstände in der Kultur der eiszeitlichen Jäger und Sammler. Nach der Konservierung und ersten Untersuchungen wurde dann 2015 im Naturhistorischen Museum (NHM) Wien begonnen, die mit dem umgebenden Erdreich als Block geborgenen Skelette minutiös freizulegen.

Die jüngsten Untersuchungen

Einem aus 16 Wissenschaftern bestehenden interdisziplinären Team von ÖAW, NHM, Medizinischer Universität Wien, Ludwig Boltzmann Gesellschaft, Universität Wien und Montanuniversität Leoben ist es nun gemeinsam mit Kollegen aus Portugal und den USA gelungen, den Verwandtschaftsgrad der drei Säuglinge zu entschlüsseln. Außerdem konnten die Forscher auch das Geschlecht und das Sterbealter präziser als bisher bestimmen. Der molekulargenetischen Analyse zufolge handelt es sich um eineiige männliche Zwillinge. Damit wurde der "erste molekulargenetisch verifizierte und früheste Nachweis einer Zwillingsgeburt erbracht", sagt Ron Pinhasi von der Uni Wien.

Auch die aus dem benachbarten Einzelgrab geborgenen Skelettreste des dritten Säuglings eigneten sich, trotz schlechter Erhaltung, für eine Genomanalyse. Demnach handelt sich um einen männlichen Verwandten dritten Grades der Zwillinge, eventuell einen Cousin. Das Sterbealter der Säuglinge wurde mit verschiedensten Untersuchungsmethoden abgeschätzt. So gibt es etwa die sogenannte "Neugeborenen Linie" im Zahnschmelz, eine dunkle Linie zwischen dem vor und nach der Geburt gebildeten Zahnschmelz.

Der einzigartige Fund wurde minutiösen Analysen unterzogen.
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Über chemometrische Analysen wurde auch ein sogenanntes "Stillsignal" im Zahnschmelz identifiziert. Barium, das nicht durch die Plazenta-Schranke gelangt, wird vor der Geburt kaum in den Zahnschmelz eingelagert. Nach der Geburt wird es dagegen mit der Muttermilch aufgenommen und findet sich daher im Zahnschmelz. Bei den bestatteten Zwillingen lässt sich dadurch erkennen, dass bei dem früher verstorbenen Säugling zumindest ein Stillversuch stattfand. Im Zahnschmelz des später verstorbenen Kindes wurde ein Anstieg des Bariumsignals festgestellt. Bei dem drei Monate alten Säugling aus dem zweiten Grab fehlt dieses Signal völlig, was auf Schwierigkeiten mit der Nahrungsversorgung hindeutet.

Eine Tragödie, die wertvolle Erkenntnisse ermöglicht

Während der eine Säugling die Geburt um sechs bis sieben Wochen überlebte, verstarb sein Bruder offenbar bei oder kurz nach der Geburt. Der unterschiedliche Todeszeitpunkt der Zwillinge dürfte auch die unterschiedliche Lage der Skelette der beiden Säuglinge erklären. Das später verstorbene Kind ist demnach eine "Nachbestattung". Die Wiederöffnung eines Grabes zur Nachbestattung sei eine bisher aus dem Paläolithikum nicht bekannte Praxis.

Doch warum starben die Babys so kurz hintereinander? Die Forscher folgern aus ihren Untersuchungsergebnisse, dass es sich um "eine vermutlich leidvolle Episode der Nahrungsversorgung" gehandelt haben müsse. Doch das, was für die kleine Gruppe von Jägern und Sammlern, die vor etwas mehr als 30.000 Jahren am Wachtberg ihr Lager errichtet hatte, eine schreckliche Tragödie gewesen sein muss, ist für die Forschung eine einzigartige Gelegenheit.

"Eine Mehrlingsbestattung aus paläolithischer Zeit zu entdecken, ist an sich schon eine Besonderheit. Dass sich aus den fragilen, kindlichen Skelettresten ausreichend und qualitativ hochwertige alte DNA für eine Genomanalyse extrahieren würde lassen, übertraf allerdings alle unsere Erwartungen", sagt die Anthropologin Maria Teschler-Nicola vom NHM. (red, APA, 6.11.2020)

Eine Nachbildung des Funds ist in den Anthropologischen Schausälen des NHM ausgestellt.
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