Mit der Corona-Krise wurden Desinfektionsmittel zum Bestseller. Produziert werden sie unter anderem in Zell am See. Während die Stadt wie ausgestorben ist, herrscht auf dem Firmengelände, das sich über 45.000 Quadratmeter erstreckt, geschäftiges Treiben. Es wird erweitert, um die Nachfrage bedienen zu können.

STANDARD: Zell am See liegt in einer Art Dornröschenschlaf. Aber bei Ihnen wurlt es, es wird emsig gebaut. Mit Hygiene haben Sie wohl auf das richtige Pferd gesetzt?

Hagleitner: Das kann man so nicht sagen. Wir als Hygieneunternehmen sind auch sehr von der Pandemie betroffen. Eine unserer Domänen ist die Gastronomie, da stehen wir vor großen Herausforderungen.

STANDARD: Aber Sie werden hier nicht die Produktionskapazitäten verdreifachen, weil es so schlecht läuft?

Hagleitner: Wir treiben zwei Projekte voran. Einerseits das Chemiewerk, das wir 2019 begonnen haben. Die Erweiterung wird uns in die Lage versetzen, Kosmetik- und Medizinprodukte und Desfinfektionsmittel auf sehr hohem Niveau fertigen zu können. Wir haben uns im Mai auch Gedanken gemacht, wie wir der Entwicklung bei der Spenderfertigung gerecht werden. Mit Unterstützung der Behörden und der Investitionsförderung ist es gelungen, acht Millionen Euro zusätzlich zu investieren. Das fordert uns.

STANDARD: Sie wachsen seit Jahren, haben 1300 Mitarbeiter, Corona hätte es dafür wohl nicht gebraucht?

Hagleitner: Wir haben in den drei Jahren vor der Pandemie allein drei Millionen in die Registrierung von Desinfektionsmitteln investiert. Heute sind wir einer der wenigen biozid (in der Schädlingsbekämpfung eingesetzte Chemikalien und Mikroorganismen, Anm.) registrierten Desinfektionsmittelhersteller in Europa. Wir haben zur richtigen Zeit ganz sicher die richtige Entscheidung getroffen.

Hans Georg Hagleitner (60) treiben Fragen der Effizienz und Qualität um. Die Produkte müssten nicht nur gut, sondern die allerbesten sein, die Produktion wie ein Uhrwerk laufen. Andernfalls könne man nicht in Österreich produzieren.
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STANDARD: Zu Ihren Kunden zählen Gastronomie, Pflegeheime, Krankenhäuser, Hotellerie. In Drogeriemärkten gibt es die Desinfektionsmittel seit kurzem. Wer hatte den genialen Riecher, jetzt auch an Privatkunden zu verkaufen?

Hagleitner: In irgendeiner Form konnte man erwarten, dass eine Pandemie eintrifft. Die WHO hat in der Vergangenheit mehrmals davor gewarnt. Das war aber nicht der Auslöser, die Entscheidung zu treffen, in den Consumermarkt zu gehen.

STANDARD: Sondern?

Hagleitner: Meine jüngere Tochter Stefanie hat die Idee mitgebracht und das Projekt 2017 begonnen. Dann waren es ein paar Zufälle, dass die ersten Produktlinien im März fertig waren. Das war sehr passend.

STANDARD: Es war die Zeit des ersten Lockdowns. Die Produkte wurden Ihnen da regelrecht aus der Hand gerissen. Sie haben die zehnfache Menge an Desinfektionsmitteln und ein Vielfaches an Spendern hergestellt. Waren Sie vorbereitet?

Hagleitner: In der Dimension hat das keiner erwartet. Wir konnten nur einen kleinen Teil dieses Marktes bedienen und mussten sehr selektiv vorgehen. Für uns war es wichtig, im ersten Schritt Krankenhäuser, Pflegeheime und solche Einrichtungen und in der Folge bestehende Kunden zu bedienen und dann erst darüber nachzudenken, welche neuen Kunden wir dazunehmen.

STANDARD: Sie sind förmlich in Arbeit erstickt und hatten trotzdem Kurzarbeit. Wie das?

Hagleitner: Wir haben mit dieser Pandemie erleben dürfen, dass sich bestimmte Geschäftsfelder und die Produktion exorbitant entwickeln. Aber wenn wir Vertriebsmitarbeiter oder Techniker nicht mehr zum Kunden schicken können, weil Betriebe geschlossen sind, haben wir keine Arbeit für sie. Wir mussten Verkaufs- und Servicemitarbeiter im Mai/Juni in Kurzarbeit schicken.

Hagleitner treiben der Wille zum Sieg und Zielstrebigkeit an, wie er selbst sagt. Ein Workaholic ist der Frühaufsteher aber nicht. Am Wochenende trifft man ihn in den Bergen.
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STANDARD: Kurzarbeit ist nur eine der Hilfen, die die Regierung auf die Beine gestellt hat. Rund um die Hilfsmaßnahmen gibt es viele Klagen, dass vieles zu kompliziert und bürokratisch sei.

Hagleitner: Es war schwierig, man hat sich gewünscht, dass die Dinge klarer geregelt sind. Trotzdem ist es bewundernswert, was hier vom Staat auf die Beine gestellt worden ist. Da sind wir neben Deutschland sehr, sehr gut aufgestellt. Alle anderen zehn Ländern, in denen wir tätig sind, haben nicht diese Ressourcen, um die Gewerbetreibenden in dieser Art und Weise zu unterstützen.

STANDARD: Jetzt haben wir den zweiten Lockdown. Wieder trifft es einen Teil Ihrer Kunden schwer. Wäre er zu verhindern gewesen?

Hagleitner: Der war nicht zu vermeiden, würde ich sagen. Auch wenn es unterschiedliche Auffassungen gibt und wir diskutieren könnten, was man besser hätte machen können. Aus meiner Sicht agiert die Regierung vorbildlich – auch wenn das für bestimmte Segmente eine große Herausforderung darstellt. Diese Entwicklung in Richtung Gesundheitsvorsorge: Da sind diese Maßnahmen die richtigen. Die Alternative möchte ich mir gar nicht vorstellen in Österreich.

STANDARD: Viele Hotels und Gastronomiebetriebe werden die Krise wohl nicht überstehen. Haben Sie für dieses Szenario einen Plan B?

Hagleitner: Wir haben 45.000 weniger Insolvenzen in diesem Land im Vergleichszeitraum. Im nächsten Jahr werden wir natürlich viele Überraschungen erleben. Man muss einfach sensibler sein und vielleicht auch in Richtung Wiederbelieferung mit mehr Sorgfalt gehen, sodass die Schäden im Falle einer Insolvenz, die nicht zu vermeiden sein werden, sich zumindest in einem geringeren Ausmaß widerspiegeln. Man kann die Dinge nicht voraussehen.

STANDARD: Gilt das auch für die Politik? Zell am See ist über die Jahre zu einer touristischen Paraderegion geworden. Ausgerechnet jene Wirtschaftsbereiche, die den Erfolg ausmachen, trifft das Virus ins Mark. Hat man zu wenig diversifiziert, um nicht so vom Tourismus abhängig zu sein?

Spritzgussproduktion am Standort Zell am See. Die beiden Töchter arbeiten im Unternehmen mit. Was die Nachfolgefrage betrifft, sagt Unternehmenschef Hagleitner: "Ich bin jetzt sechzig und wenn ich es bis 65 mache, dann dürfte das genug sein."
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Hagleitner: Ich habe mit 21 im Burgenland einen Produktionsbetrieb begonnen und bin 1987 nach Zell am See zurückgekehrt. Den Betrieb hab ich übersiedelt. Im Jahr 2000 habe ich gesagt: Wir können den Standort nicht weiter ausbauen, wenn wir keinen Gleisanschluss bekommen. Den konnte ich realisieren. Damit ist die Entscheidung gefallen zu bleiben. Jetzt kann man sich die Frage stellen: Hätte die öffentliche Hand Gewerbetreibende mit mehr Konsequenz unterstützen sollen, etwa damit sie sich in Gewerbegebieten etablieren können? Ich würde sagen: ja.

STANDARD: Sie sagen so locker, Sie hätten den Betrieb übersiedelt. Ging das so leicht?

Hagleitner: Ja, schon. Sie müssen sich den Betrieb so vorstellen: Das waren ich und meine Gattin. Dann gab es ein Plastikfass, einen Holzstiel und ein Rührwerk. Ich hab die Behälter befüllt, am Tag bin ich verkaufen gegangen, meine Frau hat die leeren Behälter gewaschen, wir hatten kein warmes Wasser im Winter. Im ersten Jahr habe ich einen Umsatz von zwei Millionen Schilling gemacht. Das beeindruckt mich heute noch. Ich habe die Kunden gefragt, wo sie Probleme haben, und habe versucht ihnen bei Problemen zu helfen. Das machen wir heute noch.

STANDARD: Es gab in der Region besondere Probleme, weil die arabischen Gäste durchaus eine andere Vorstellung von Hygiene, zum Beispiel beim Toilettengang, haben als einheimische Betriebe. War Ihr Know-how gefragt?

Hagleitner: Eher nicht. Wobei, wir haben natürlich Erfahrung, wir bedienen ja auch die Märkte im arabischen Raum. Das ist für uns auch keine besondere Herausforderung.

STANDARD: Für manche Zeller Hoteliers wohl, manche haben heftig über Sitten und Gebräuche geklagt.

Hagleitner: Die Leute haben gelernt, womit man zu rechnen hat. (lacht)

STANDARD: Womit wir jetzt rechnen müssen, ist, dass die Krise den Staat und damit den Steuerzahler viel, viel Geld kostet. Das wird irgendjemand bezahlen müssen. Brauchen wir jetzt eine Vermögensabgabe, um die Schuldenberge wieder abzubauen?

Hagleitner: Eine Vermögensabgabe sehe ich kritisch. Der Wirtschaftsstandort Österreich hat viele Vorteile. Unternehmen gibt er Rechtssicherheit, Privatpersonen den Schutz einer Solidargemeinschaft. Dieser Wirtschaftsstandort sollte für Unternehmen attraktiv bleiben. Eine Vermögensabgabe könnte Geld aus Österreich abfließen lassen und das gesellschaftliche Gefüge ins Schwanken bringen. (Regina Bruckner, 8.11.2020)