Joe Biden hat wohl bald "viele hungrige Mäuler zu stopfen".

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Schon lange bevor der Wahlsieger feststeht, beginnt ein Ritual, das von den Medien in den USA "jockeying for jobs" genannt und genüsslich für Spekulationen ausgeschlachtet wird – das Gerangel um Ämter und Posten. Kein Wunder, eine neue Regierung tauscht üblicherweise die komplette Vorgängeradministration aus und hat daher tausende Jobs neu zu besetzen – von der Leitung der Ministerien über Aufgaben in der Verwaltung bis hin zu lukrativen Botschafterposten. Für diese gilt es, sich rechtzeitig in Stellung zu bringen.

Schwieriger Balanceakt

Wer schon jahrzehntelang im Politgeschäft ist, wie Joe Biden, hat dabei natürlich einen Stamm an Vertrauenspersonen um sich aufgebaut. Während der Präsidentschaftskandidat noch die letzten Meter des Wahlkampfs abspulte, haben seine Berater bereits im Hintergrund begonnen, die Kernstrukturen der künftigen Verwaltung festzulegen. Dies ist ein Balanceakt: Seine langjährigen Mitstreiter gilt es dabei ebenso zu berücksichtigen wie die Helfer im aktuellen Wahlkampf und die Vertreter jener Bevölkerungsgruppen, denen der siegreiche Kandidat seine Wahl verdankt. Mögliche Jobbewerber wurden jedenfalls gewarnt, öffentliche Debatten zu vermeiden, um den Wahlkampf nicht zu beeinflussen. Offiziell wurde verlautbart, keinerlei Personalien vor der Wahl festzulegen.

Nicht ungewöhnlich ist es auch, Vertreter der gegnerischen Partei mit ins Boot zu holen, ein Schritt, der angesichts der tiefen Spaltung der USA von besonderem Gewicht ist. Die Presidential Transition – der Übergang von einer Präsidentschaft zur nächsten – könnte angesichts der aufgeladenen Situation diesmal chaotisch verlaufen. Umso wichtiger ist es für die neue Regierung, möglichst bald und nicht erst am Tag der Angelobung am 20. Jänner Klarheit über die künftigen Zuständigkeiten zu haben.

Buntestes Kabinett

Es gibt viele hungrige Mäuler zu stopfen, zitiert die Washington Post einen engen Vertrauten Joe Bidens – Schwarze, Hispanics, Frauen, Parteilinke und Homosexuelle wollen mit Ämtern versorgt werden. Biden hatte mehrfach angekündigt, das bunteste Kabinett zu bilden, das die USA je hatten, und der linke Parteiflügel wird jede Menge Druck auf den mutmaßlichen President-elect machen, um seine Kandidaten gegen moderatere oder gar konservative durchzubringen.

So gilt zwar die Senatorin Amy Klobuchar als möglicher Attorney General, doch Aktivistengruppen fordern die Besetzung des Justizministerpostens mit einem Schwarzen. Pete Buttigieg, wie Klobuchar ein ehemaliger Anwärter auf das demokratische Präsidentschaftsticket, wird als möglicher UN-Botschafter gehandelt. Senator Chris Coons, ein enger Weggefährte Bidens, der wie dieser aus Delaware stammt, könnte das Außenministerium erhalten. Eine weitere Anwärterin auf den Job ist die ehemalige Sicherheitsberaterin Barack Obamas, Susan Rice. Sie kommt aber auch als Pentagon-Chefin in Frage. Für den zentralen Posten als Stabschef Bidens ist Ron Klain in der engeren Auswahl. Klain war schon Bidens Chief of Staff während seiner Amtszeit als Obamas Vize, und er hat Erfahrung im Umgang mit Pandemien: Weil er während des Ebola-Ausbruchs in Afrika die Strategie Washingtons koordinierte, wurde er "Obamas Ebola-Zar" genannt.

Mögliches Warren-Comeback

Das Finanzressort könnte an Raphael Bostic gehen, der Chef der Federal Reserve Bank of Atlanta wäre der erste Schwarze und der erste Homosexuelle auf diesem Posten. Auch Lael Brainard, die im Board der US-Notenbank Fed sitzt, wird für den Job gehandelt, sie wäre die erste Frau in dem Amt. Gerade die für die Wirtschaft relevanten Positionen sind jedoch eine Gratwanderung zwischen Kompetenz und Ideologie: Der linke und liberale Flügel fordert von Bidens künftiger Regierung ein scharfes Profil gegen Konzerninteressen und Lohnscheren. So wünscht die Gruppierung "Revolving Door Project" zum Beispiel die Senatorin Elizabeth Warren für das Finanzressort. (Michael Vosatka, 6.11.2020)