Illustrierte Kronen Zeitung vom 2. Dezember 1910

Der Zechpreller mit der Kugel im Kopf

Foto: ANNO | Österreichische Nationalbibliothek

Über einen sonderbaren Fall von Empfindungslosigkeit nach einem, wie sich später herausstellte, tödlichen Revolverschuss wird uns aus Paris berichtet.

In ein einfaches Restaurant trat nämlich vor einigen Tagen am Abend ein unbekannter Mann, setzte sich an einen Tisch und ließ sich ein reichliches Nachtmahl servieren, das er mit großem Appetit verzehrte. Als es zum Bezahlen kam, erklärte er mit großem Gleichmut, dass er keinen Heller besitze. Man ließ einen Wachmann holen, und der Zechpreller, der angab Blériot zu heißen, ließ sich ohne Widerstand verhaften. Auf der Polizeistation bemerkte man an der Stirn des Bedauernswerten ein kleines, blutiges Loch, das wie eine Schusswunde aussah. Auf Befragen erklärte der Mann, er sei gefallen, doch wollte er nicht, dass man ihn ins Krankenhaus bringe. Ungeachtet seiner Weigerung wurde der Verletzte auf einer Bahre nach dem Lariboisière-Hospital überführt, wo die ärztliche Untersuchung ergab, dass der Schädel von einer noch im Kopfe befindlichen Kugel durchbohrt war. 

Blériot gestand nun den erstaunten Ärzten, dass er sich habe das Leben nehmen wollen; doch als er nach dem Abfeuern des Revolvers weder Schmerz noch Schwäche empfand, nur seinen Hunger noch intensiver spürte, war er in das Restaurant gegangen und hatte mit bestem Appetit eine gute Mahlzeit verzehrt. Er war im Glauben, seine Stirn nur gestreift zu haben. 

Eine halbe Stunde nach der Untersuchung lag der Unglückliche bereits in heftigem Wundfieber und starb im Verlauf der Nacht. Im ganzen hatte er nach dem Schuss noch vier Stunden gelebt. 

Meggendorfer Blätter, Nr. 1017, 1910

Ich muss mal wieder von mir reden machen:
Ich werde meine Schulden bezahlen.

Heidelberger historische Bestände – digital

(Kurt Tutschek, 2.12.2020)

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Historischer Zeitungsschnipsel: 1. Dezember 1899