Swetlana Tichanowskaja bei ihrem Besuch in Wien.

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Die belarussische Protestführerin Swetlana Tichanowskaja war am Donnerstag und Freitag zu Besuch in Wien, um Kanzler Sebastian Kurz und OSZE-Vertreter zu treffen. Im Interview spricht sie über österreichische Unternehmen in Belarus, die Protestbewegung und ihre eigene Rolle als Symbol der Revolution.

STANDARD: Frau Tichanowskaja, was machen Sie in Wien?

Tichanowskaja: Wir wollen die österreichische Regierung bitten, den wirtschaftlichen Druck auf das Regime von Alexander Lukaschenko zu erhöhen, um ihn zu Verhandlungen und Neuwahlen zu bewegen. Viele österreichische Unternehmen sind in Belarus aktiv, Österreich ist bekannt für seine guten Beziehungen zu Lukaschenko.

STANDARD: Um welche Unternehmen geht es Ihnen konkret?

Tichanowskaja: A1 Belarus spielt als zweitgrößter Mobilfunkanbieter des Landes eine wichtige Rolle, aber das macht es auch zu einer Geisel des Systems, zu einem Unternehmen, das jedes Wochenende von den Behörden gezwungen wird, das mobile Internet abzuschalten. Aber ich möchte A1 dafür loben, dass sie ihre Mitarbeiter nicht für ihre politische Einstellung gefeuert haben (Mitarbeiter hatten sich zuletzt einem landesweiten Generalstreik angeschlossen, Anm.) Dann Kapsch, das die Videoüberwachung für die Straßen liefert, die wiederum die Behörden mit Informationen versorgt.

STANDARD: Was sind Ihre Forderungen?

Tichanowskaja: Wir verstehen, dass Handelsbeziehungen wichtig sind. Deswegen fordern wir nicht, dass sie ihre Aktivitäten einstellen, sondern nur, dass sie als Unternehmen eines demokratischen Landes ihre Stimme erheben und so einen Beitrag leisten. Wenn A1 schon nicht die Internetabschaltungen beenden kann, dann können sie sich zumindest offen gegen die Gewalt und Folter des Regimes positionieren. Außerdem möchten wir die Raiffeisenbank bitten, über die Tochter Priorbank kein Kapital belarussischen Staatsbanken zur Verfügung zu stellen. Weil das Gelder sind, die am Ende in den Polizeiapparat fließen. Schritt für Schritt wird so der Druck auf das Regime erhöht.

STANDARD: Österreich gilt als regimefreundlich. Lukaschenkos Wien-Besuch im Vorjahr war sein erster Staatsbesuch in einem EU-Land nach Aufhebung der Sanktionen.

Tichanowskaja: Kanzler Sebastian Kurz gehörte aber auch zu den Ersten, die die belarussische Bevölkerung öffentlich unterstützt haben. Offensichtlich stellt er die Menschenrechte höher als seine guten Beziehungen zu einem Diktator. Das bedeutet uns sehr viel.

STANDARD: Lukaschenko scheint in Belarus noch genug Hebel zu haben, um Druck auszuüben. Ein Generalstreik in den Staatsbetrieben ist zuletzt ins Leere gelaufen. Verlieren die Proteste an Schwung?

Tichanowskaja: Es stimmt, vielleicht haben wir uns vom Generalstreik mehr erwartet. Aber die Menschen beginnen, sich in Streikkomitees zu organisieren und aus den staatlichen Gewerkschaften auszutreten. Immer mehr zeigen sich solidarisch.

STANDARD: Die Proteste haben sich zu Beginn als geopolitisch neutral positioniert, weder prowestlich noch prorussisch. Inzwischen wird Lukaschenko von Wladimir Putin unterstützt, und die EU unterstützt die Demokratiebewegung. Hat sich die Ausrichtung der Proteste verändert?

Tichanowskaja: Die EU steht in Belarus nicht für die Opposition, sondern für den Schutz der Menschenrechte ein. Die russische Führung ist außerdem sehr vorsichtig in ihren Aussagen geworden. In den Medien haben sie begonnen, die Wahrheit über die Proteste zu berichten. Ich sehe das als Zeichen, dass sie abwarten, was passiert. Lukaschenko wird für die Belarussen nie wieder eine Führungsfigur sein. Wozu ihn noch weiter unterstützen?

STANDARD: Haben Sie eine Strategie, wie Sie mit Russland umgehen wollen?

Tichanowskaja: Russland ist ein wichtiger Handelspartner, und wir wollen auch in Zukunft gute Beziehungen zu Moskau. Aber zentral sind unsere Souveränität, unsere Unabhängigkeit und die Nichteinmischung in unsere Politik.

STANDARD: Ein Ausspruch von Ihnen ist im Wahlkampf legendär geworden: "Ich will nur meinen Mann und meine Kinder zurück und wieder meine Frikadellen braten." Gilt das nach wie vor?

Tichanowskaja: Natürlich! (lacht) Aber vielleicht mache ich doch noch eine Ausbildung, damit ich Belarus etwa beim Schutz der Menschenrechte nützlich sein kann.

STANDARD: Als Präsidentin sehen Sie sich nicht?

Tichanowskaja: Nein, ganz sicher nicht.