Die Polizei entschuldigte sich bei Passanten und Anrainern: "Dies hätte so nicht stattfinden dürfen."

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Ein weißes Auto fährt durch die Josefstädter Straße im achten Wiener Gemeindebezirk. Es wird von der Polizei eskortiert. Über Lautsprecher werden Schüsse abgespielt. Es folgt ein Gebetsruf der Muslime durch einen Muezzin. Ein Video davon kursiert derzeit auf Twitter und sorgt mehrere Tage nach dem Terroranschlag für Aufsehen. Die Menschen auf der Straße wirken verunsichert, zu sehen ist, wie viele Leute ihre Handy zücken, um das Geschehen zu filmen. Von Passanten wird das Auto ausgebuht, ist auf einem anderen Video zu sehen.

Verantwortlich für die Aktion ist der ehemalige Pegida-Sprecher und rechte Publizist Georg Immanuel Nagel, der am Sonntag via Telegram bestätigte, die Störaktion durchgeführt zu haben.

Sonntagmittag stellte die Polizei klar, dass die Kundgebung für 9 bis 10 Uhr mit zehn Personen unter dem Titel "Toleranz und Vielfalt" angemeldet worden sei. Zum Zeitpunkt der Versammlungsanzeige sei kein Untersagungsgrund vorgelegen. Der Verantwortliche für die Kundgebung habe angegeben, dass die Lautsprecher lediglich zum Abspielen orientalischer Musik verwendet würden.

Nach Abfahrt der Kundgebung um 9.20 Uhr sei zunächst ausschließlich diese gespielt worden. In weiterer Folge seien jedoch insgesamt viermal Maschinengewehrsalven für die Dauer von ein bis zwei Minuten sowie antimuslimische Parolen wiedergegeben worden.

Das weitere Vorgehen sei mit dem Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung abgeklärt worden. Die Kundgebung sei um 10 Uhr beendet worden. Die Polizei weiter: Gegen die anwesenden Personen seien Verwaltungsanzeigen, unter anderem wegen Störung der öffentlichen Ordnung, erstattet und Erhebungen wegen des Verdachts der Verhetzung eingeleitet worden.

Später entschuldigte sich die Polizei noch bei "den Menschen, welche durch diese Versammlung verängstigt wurden". Sie gestand ein: "Dies hätte so nicht stattfinden dürfen." Eine interne Aufarbeitung sei bereits eingeleitet worden.

Nagel bezeichnete die Fahrt mit dem Auto durch die Josefstadt als Einzelaktion. "Hier im achten Bezirk lässt es sich noch schön leben, während die Arbeiterbezirke längst zu Migrantenghettos geworden sind", schreibt er auf Telegram.

"Leute wachrütteln"

"Wir patriotische Aktivisten, welche die Überfremdung unserer Vaterstadt nicht einfach hinnehmen wollen, haben also beschlossen, der Josefstadt einen morgendlichen Besuch abzustatten, um ihnen eine lautstarke Kostprobe von dem zu geben, was sie den anderen auch zumuten. Wer uns den Terror bringt, der sollte sich über ein bisschen Lärm nicht beschweren."

Seine Absicht sei gewesen, die Leute wachzurütteln. "Ich hoffe, dass niemand erschreckt wurde, das war sicher nicht meine Absicht." Wer sich über den Lärm mehr aufrege als über echten Terror, habe "völlig falsche Prioritäten", so Nagel.

Kritik an der Polizei

David Stögmüller, Nationalratsabgeordneter der Grünen, zeigte sich fassungslos, dass die Polizei nicht sofort eingegriffen habe. Er kündigte an, eine parlamentarische Anfrage vorzubereiten.

Auch die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein (Grüne) forderte Aufklärung. Auf Twitter kritisierte sie: "Es schaut so aus, dass hier die Polizei in Wien Hetzerei mitten in Wien begleitet."

Polizei untersagt Anti-Frankreich-Demo

Untersagt hat die Polizei unterdessen eine Anti-Frankreich-Demo vor der französischen Botschaft am Schwarzenbergplatz. Diese wurde bei der Polizei für Sonntagnachmittag für 100 Teilnehmer angemeldet. Die Abhaltung wurde von der Versammlungsbehörde geprüft, zunächst wurde die Demonstration nicht untersagt. Sonntagvormittag fand allerdings eine erneute Prüfung der Versammlungsanzeige statt. Es habe sich nach einer neuerlichen Prüfung ein Gesamtbild ergeben, das Rückschlüsse darauf ziehen lasse, dass "der Zweck der Versammlung den Strafgesetzen zuwiderläuft", informierte die Wiener Polizei in einer Aussendung.

Versammlungen sind von der Behörde laut Gesetz zu untersagen, wenn deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet. Außerdem können Versammlungen, die der politischen Tätigkeit von Drittstaatsangehörigen dienen und den anerkannten internationalen Rechtgrundsätzen und Gepflogenheiten oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen, den demokratischen Grundwerten oder außenpolitischen Interessen der Republik Österreich zuwiderlaufen, untersagt werden, heißt es in Paragraf 6 des Versammlungsgesetzes.

"Radikale Islamisten"

Die FPÖ hatte sich über die Genehmigung der Demonstration in Wien empört gezeigt. Sie forderte eine sofortige Rücknahme der Genehmigung. "Die Spitze des Innenministeriums und die Wiener Polizeiführung dürften aus dem Terroranschlag am Montag nicht viel gelernt haben. Es ist schockierend, dass nur sechs Tage später heute radikale Islamisten vor der französischen Botschaft am Schwarzenbergplatz aufmarschieren und für einen Boykott Frankreichs demonstrieren dürfen", kritisierte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl in einer Aussendung.

Wie das "Volksblatt" berichtet, hat die Stadt Frankfurt eine ähnliche Demo wegen "Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit" untersagt. In Wien wurde die mit dem Slogan "Boykott France" beworbene Kundgebung als "Demo gegen Mohammed-Karikaturen" angemeldet. Als Veranstalter sind laut dem "Volksblatt" zwei pakistanischstämmige Österreicher angeführt.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) begrüßte das Verbot der Anti-Frankreich-Demo in einer Aussendung: "Es darf keinen Raum für die Ideologie des Islamismus geben. Wir lassen uns unsere freie Demokratie, die Grundrechte und unser Versammlungsrecht nicht missbrauchen. Es gibt keine Toleranz gegenüber menschenverachtendem und totalitärem Gedankengut."

Engmaschigere Prüfung

Er kündigte an, dass von radikalem Gedankengut getragene Versammlungen zukünftig von vornherein unterbunden werden und bezog sich auf die Islamistendemo genauso wie auf die rechte Störaktion. Extremistische Gruppen hätten den Sonntag dazu benutzt, die Wienerinnen und Wiener zu beunruhigen und eine Stimmung der gegenseitigen Ablehnung und des Hasses zu erzeugen, so Nehammer.

Der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, sei ab sofort angewiesen, Versammlungen mit radikalem und extremem Gedankengut "genauestens zu prüfen", gab der Innenminister bekannt. (Rosa Winkler-Hermaden, APA, 8.11.2020)