Interessierte konnten in einem Restaurant in Schanghai die US-Wahlberichterstattung verfolgen. Die Staatsführung hielt sich mit Kommentaren vorerst zurück.

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Während Teile der westlichen Welt Freudenorgien über den Ausgang der US-Wahlen zelebrieren, gibt man sich in China gleichgültig. Eine offizielle Erklärung stand am Sonntagnachmittag noch aus und dürfte auch noch länger auf sich warten lassen. Die Regierungspresse hatte sich in den vergangenen Wochen über den Wahlkampf größtenteils ausgeschwiegen. An der Bevölkerung vorbei geht die Wahl natürlich trotzdem nicht: Eine junge Frau in Schanghai brachte die Stimmung vergangene Woche lapidar auf den Punkt: "Trump ist schlecht für China. Biden ist schlecht für China. Aber Trump ist auch schlecht für die USA – deswegen sind wir für Trump."

Diese Einstellung bestätigt auch eine Umfrage auf der chinesischen Website Bilibili. Repräsentativ war sie nicht, aber immerhin 197.000 Leute nahmen daran teil. Das Ergebnis: 80 Prozent stimmten für Trump. Die Frage war klausuliert gestellt: "Wer kann das schöne, schöne Land besser repräsentieren? Lehrer Trump oder Lehrer Biden?" Auf Chinesisch heißen die USA Mei Guo, "schönes Land".

Demokratie – nein danke

Die Verklausulierung war notwendig, um durch die Zensur zu rutschen. Denn viel wichtiger als wer der neue Präsident der Vereinigten Staaten wird, ist der Führung in Peking etwas anderes: Es geht darum, der eigenen Bevölkerung klar zu machen, dass eine Ein-Parteien-Diktatur viel besser für das Land sei als ein demokratisches System und freie Wahlen. "Die kommunistische Partei sorgt für Ruhe und Stabilität – kommt bloß nicht auf die Idee demokratischer Experimente", so das Credo. Selbst Online-Umfragen stellen deswegen eine Bedrohung dar und tarnen sich lieber. Die USA werden zum "schönen, schönen Land", die Kandidaten zu "Lehrern".

Am Sonntag nun widmet die englische Ausgabe der staatlichen Zeitung "Global Times" dem Ausgang der Wahl immerhin drei längere Analysen. Die folgen nach wie vor dem Muster, die USA als maroden Koloss darzustellen. Der Erfolg des demokratischen Prozesses, die spontanen Feiern werden nicht erwähnt, dafür wird die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft überbetont. Der Leitartikel aber zeigt recht deutlich, was man in Peking vom neuen US-Präsidenten erwartet – und dass man sich nicht unbedingt auf leichtere Zeiten einstellt.

Heikle Lage in Taiwan

Zwar hofft man in Peking nun auf eine "Verschnaufpause" in den bilateralen Beziehungen, die sich seit 2017 in einer Abwärtsspirale befinden. Gleichzeitig ist man sich bewusst, dass der neue strategische China-Kurs Washingtons von beiden Parteien getragen ist. Zu groß ist die geostrategische Konkurrenz der beiden Supermächte.

Am brenzligsten ist der Konflikt zwischen China und den USA derzeit in Taiwan. Seit Monaten dringen immer wieder chinesische Kampfjets in den Luftraum Taipehs ein. Dort weiß man, dass nur eine amerikanische Intervention eine Invasion des Festlandes militärisch verhindern kann. Von Biden weiß man, dass er Taiwan unterstützt und eine nachhaltige Lösung anstrebt. Trump dagegen gilt als unberechenbar, und in Peking hatte man Zweifel, dass er die Situation intellektuell durchdringt. Auch in der Hongkong-Frage dürfte sich wenig ändern: Die Sanktionen gegen Partei-Kader bleiben wohl bestehen.

Supranationale Bündnisse

Wenig Entspannung erwartet man sich auch im Handelsstreit. Peking hat auf die Entflechtungsstrategie Washingtons mit der "Theorie der zwei Kreisläufe" geantwortet. Im Inneren will Peking unabhängiger von der globalen Wirtschaft werden. Das kann sich China mittlerweile leisten, da es mit Hilfe ausländischer Investitionen und ausländischen Knowhows mittlerweile gewaltige Produktionskapazitäten aufgebaut hat. Über den größten Binnenmarkt verfügt es ohnehin längst. Die Pandemie hat den Prozess beschleunigt.

Negativ aus Pekings Sicht ist aber vor allem, dass sich der neue US-Präsident wieder mehr um supranationale Bündnisse kümmern wird. So stufte man die EU im Konflikt mit den USA bisher als neutralen Block ein. Auf beiden Seiten des Atlantiks aber will man nun die China-Strategie wieder besser aufeinander abstimmen. Und schließlich fürchtet man sich in Peking vor den letzten 70 Tagen der Trump-Präsidentschaft. Der könnte in den kommenden zwei Monaten nochmals seinen ganzen Zorn über die verlorene Wahl gegen China richten – mit unberechenbaren Folgen. Am einfachsten wäre es für wohl Peking, wenn in den USA einfach gar nicht gewählt würde. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 8.11.2020)