Nicht nur belgische Rinderzüchter – hier bei der Agrarmesse in Libramont – fürchten die Konkurrenz aus der südamerikanischen Pampa. Rindfleisch aus Argentinien ist in der Produktion billiger als jenes aus Europa.

Foto: AFP / John Thys

Wien/Brüssel – Agrargüter gegen Industrieprodukte: Das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay klingt wie ein simpler Kuhhandel.

Tatsächlich steckt dahinter ein komplexer Deal, über dessen Details seit mehr als 20 Jahren verhandelt wird. Heute, Montag, ist der Handelspakt wieder einmal Thema auf EU-Ebene. Angesichts der US-Wahl und der Covid-Pandemie dürfte er jedoch nur ein Randthema in der Ratssitzung zu auswärtigen Angelegenheiten sein. Für Österreich, das den Deal in der derzeitigen Form ablehnt, wird Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) mitdiskutieren.

Union uneins

Die Mercosur-Verhandlungen sind zwar offiziell abgeschlossen, bis die Übersetzungen in alle EU-Amtssprachen auf dem Tisch liegen, dürfte hinter verschlossenen Türen aber weiter debattiert werden – denn die Union ist angesichts des vorliegenden Kompromisses mehr als gespalten. Im EU-Parlament gibt es keine Mehrheit für diesen Deal.

Die europäische Agrarwirtschaft lobbyiert dafür, Billigimporte aus Südamerika zu verhindern. "Im Agrarbereich gibt es noch Zölle von über 50 Prozent, und zusätzlich erhalten EU-Landwirte enorme Subventionen, die 37 Prozent des gesamten Budgets der EU ausmachen", erklärt Lisandra Flach, Leiterin des Zentrums für Außenwirtschaft am Münchner Ifo-Institut, warum sie eine baldige Ratifizierung für unwahrscheinlich hält. Was vom Deal bisher an die Öffentlichkeit gelangte, enthält außerdem kaum Umwelt- und Klimaschutzauflagen, was in zahlreichen EU-Staaten für Ärger sorgt.

Zusatzvereinbarungen

Im Gespräch sind deshalb Zusatzvereinbarungen, die die Vorbehalte einiger Länder aufweichen sollten. Solche Anhänge könnten etwa die Rodung von Regenwäldern oder soziale Standards betreffen. Mit einem Abschluss des Abkommens noch heuer rechnet aber niemand – auch weil Österreich bei seinem Veto zum bisherigen Abkommen bleiben will, wie im Kabinett Schramböck versichert wird.

Die Industriellenvereinigung (IV) spricht sich vehement für das Abkommen aus. Es sei für die europäische Industrie wichtig, sagt eine Sprecherin. Die Corona-Pandemie zeige, wie wichtig offene Märkte sind. Eine europäische Handelspolitik, die weltweiten Marktzugang schafft, sei von vitalem Interesse, so die IV.

Schenkt Österreichs Regierung einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Akonsult Gehör, handelt sie damit im Sinn einer überwältigenden Mehrheit im Land. Laut der von Greenpeace beauftragten Erhebung wollen knapp neun von zehn Österreichern nicht, dass die Regierung dem Deal zustimmt. Etwa gleich viele der 500 befragten Personen fürchten, dass das Abkommen schlecht für das Klima sein könnte. Nur eine klare Absage würde der demokratischen Beschlusslage des Nationalrats entsprechen, sagt Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Sebastian Theissing-Matei.

Beipackzettel

Gegner des Freihandelsdeals hoffen, dass mögliche "Beipackzettel" nicht doch irgendwann zugunsten des Deals ausschlagen werden. "Wir kennen solche wirkungslosen Anhänge aus anderen Abkommen", sagt Alexandra Strickner, Handelsexpertin von Attac Österreich. An den negativen Folgen für das Klima würden diese nichts ändern, weil sie nicht sanktionierbar sind. "Auch mit Zusatzdokumenten steht das Abkommen in eklatantem Widerspruch zum europäischen Green Deal."

Handelsexperte Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft unterstützt den Ruf nach ökologischen und sozialen Standards. Allerdings sieht er darin kein Argument gegen, sondern ein starkes Argument für das Mercosur-Abkommen: Dass die EU ohne ein Abkommen den Schutz von Umwelt und Bevölkerungsgruppen besser gewährleisten kann, dürfe bezweifelt werden. Die Opposition zum Mercosur-Abkommen sei hauptsächlich an Brasilien und dessen rechten Präsidenten gerichtet, nicht aber gegen die drei anderen Länder, so der Ökonom. Es handle sich aber um kein bilaterales, sondern um ein regionales Abkommen, "das nicht drei Länder für vermutete Verstöße des vierten Landes bestrafen sollte".

Signal gegen Protektionismus

Eine Einigung hält Langhammer nur dann für realistisch, wenn die anderen Mercosur-Staaten Brasilien dazu drängten, vereinbarte Standards nach EU-Vorstellungen durchzusetzen. Nach zwei Jahrzehnten der Verhandlungen wäre Mercosur ein wichtiges Signal gegen weltweit aufkeimenden Protektionismus.

Ob ein europäisch-südamerikanischer Freihandelsdeal unterm Strich wirtschaftliche Vorteile bringen würde, ist umstritten. Ifo-Expertin Flach erwartet vom Abkommen, dass sich der Handel und auch die Einkommen in der EU positiv entwickeln würden. Beim Mercosur-Abkommen würden sogenannte komparative Vorteile stärker ins Gewicht fallen als bei Freihandelsabkommen mit Kanada oder den USA. Die Verbraucher beider Wirtschaftsräume würden profitieren, sagt die Ökonomin.

Warnung vor Spätfolgen

Das Gegenteil behaupten Ökonomen des Seattle to Brussels Network in ihrem offenen Brief an die zuständigen Minister der EU-Staaten. Die EU-Kommission habe sich auf Basis fehlerhafter Modellrechnungen für Mercosur entschieden, kritisieren die Wissenschafter. Die sozialen und ökologischen Spätfolgen würden nicht einbezogen, außerdem setzte die Berechnung auch Vollbeschäftigung in beiden Wirtschaftsräumen voraus. "Ein Witz ist natürlich, dass die EU mit einem langfristigen Wachstumseffekt von 0,1 Prozent rechnet", sagt Mitunterzeichner Kurt Bayer. Man müsse sich angesichts dieser Prognose fragen, ob es das wert sei. (Nora Laufer, Aloysius Widmann, 9.11.2020)