Die Überreste eines Wohnhauses in Bergkarabach.

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Stepanakert/Jerewan/Baku – Die Südkaukasusregion Bergkarabach hat bei den anhaltenden Kämpfen mit Aserbaidschan nach eigener Darstellung erneut dutzende Soldaten verloren. Die Zahl der Getöteten stieg um 44 auf 1.221, wie die Behörden der umkämpften Region am Montag mitteilten. Die Führung in Bergkarabach warf Aserbaidschan vor, weiter die Hauptstadt Stepanakert massiv unter Beschuss zu nehmen – auch mit verbotener Streumunition.

Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium in Baku wies die Vorwürfe zurück. Wegen Zensurbestimmungen während des Kriegszustands macht Baku keine Angaben zu Verlusten bei den eigenen Streitkräften. Aserbaidschan räumte hingegen ein, einen russischen Militärhubschrauber Mi-24 abgeschossen zu haben.

Das Außenministerium in Baku sprach von einem versehentlichen Abschuss, wie die russische Staatsagentur Tass meldete. Baku sei bereit, eine Entschädigung dafür zu bezahlen. "Die aserbaidschanische Seite entschuldigt sich (...) für diesen tragischen Vorfall." Dieser sei nicht gegen Russland gerichtet gewesen, hieß es.

Er sei auf armenischem Gebiet – in einer Bergregion nahe der Grenze zur aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan – abgestürzt, teilte das russische Verteidigungsministerium in Moskau mit. Dabei seien zwei Besatzungsmitglieder getötet, ein weiteres verletzt worden. Zu dem Vorfall sei es außerhalb der Kampfzone in Bergkarabach gekommen, hieß es. Sie liegt mehr als 100 Kilometer entfernt davon. Armenien als Verbündeter Russlands sicherte Unterstützung bei der Aufklärung zu.

Verwirrung um die Stadt Schuschi

Weiter unklar war die Lage um die strategisch wichtige Stadt Schuschi (aserbaidschanisch: Şuşa). Aserbaidschan hatte am Sonntag erklärt, die Stadt zurückerobert zu haben. Armenien wies dies als Falschmeldung zurück. In Jerewan heißt es, dass aserbaidschanische Truppen lediglich eine Anhöhe in einem Vorort von Schuschi unter Kontrolle hätten und von dort aus die Hauptstadt Stepanakert beschössen. Aufnahmen der eingenommenen Stadt oder verlässliche Angaben von unabhängigen Beobachtern gibt es bisher nicht. Schuschi gilt als Schlüsselstadt, die Behörden in Bergkarabach hatten selbst mitgeteilt, dass ihr Verlust am Ende auch eine Niederlage im Kampf um die ganze Region bedeuten würde.

23 weitere Orte unter aserbaidschanischer Kontrolle

Am Montag gab Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev außerdem bekannt, dass das Militär seines Landes weitere 23 Ortschaften unter seine Kontrolle gebracht habe. "Es lebe die aserbaidschanische Armee!" und "Karabach ist Aserbaidschan!", schrieb Aliyev am Montag bei Twitter. Seit Beginn der Offensive am 27. September wurden nach aserbaidschanischen Angaben mehr als 200 Ortschaften erobert. Die Behörden in Bergkarabach und Armenien bestätigten das nicht.

Die armenischen Streitkräfte hätten in verschiedenen Richtungen feindliche Angriffe abgewehrt, teilte das Verteidigungsministerium in Jerewan am Montag mit. Demnach gab es neben den besonders schweren Kämpfen um Schuschi auch Kämpfe um Martuni, Martakert, Tagaward und andere Ortschaften. Überall seien die Attacken zurückgeschlagen worden. In Karin in der Nähe von Schuschi sei eine ganze Gruppierung mit Artilleriefeuer "vernichtet" worden.

Jahrzehntelanger Konflikt

Die schweren Gefechte um Bergkarabach dauern seit Ende September an. Aserbaidschan verlor in einem Krieg nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor rund 30 Jahren die Kontrolle über die bergige Region mit etwa 145.000 Bewohnern. Seit 1994 galt eine brüchige Waffenruhe. Aserbaidschan kann sich in dem Konflikt auf seinen "Bruderstaat" Türkei berufen, Russland wiederum ist Schutzmacht Armeniens. (rio, APA, dpa, 9.11.2020)