Seit 10. Oktober verfügt die römisch-katholische Kirche mit Carlo Acutis über ihren ersten seliggesprochen Millennial. Bezeichnenderweise wird der 2006 verstorbene Informatik- und Internetenthusiast bereits als möglicher Schutzpatron des World Wide Web gehandelt. Gleichzeitig mit der Seligsprechung ging das Bild des in einem Glassarkophag aufgebahrten "Influencers Gottes" um die Welt – in Trainingsjacke, Jeans und Nike-Turnschuhen.

Selig- und Heiligsprechungen sind und waren stets Ausdruck zeithistorischer Umstände, kirchlicher, aber auch gesellschaftlicher Entwicklungen. Und sie wurden bereits vor der Schnelllebigkeit von über das Internet verbreiteten Fotos von Bildern begleitet.

Ein Superstar im Wortsinn

Einer der populärsten Heiligen des Barock war Johannes von Nepomuk, dessen Seligsprechung sich 2021 zum 300. Mal jährt. Heute ist er vor allem als "Brückenheiliger" bekannt, da sich Statuen dieses Heiligen häufig bei oder auf Brücken befinden. Geschuldet ist dies seinem Martyrium: Weil der böhmische Priester das Beichtgeheimnis nicht preisgeben wollte, wurde er auf Befehl König Wenzels IV. in die Moldau gestürzt († 1393), wo fünf um sein Haupt angeordnete Sterne erschienen, die später ein wichtiges Erkennungszeichen seiner Darstellungen wurden.

Werner Feiersinger schuf 2007 für die U2-Station Stadlau in Wien eine zeitgenössische Interpretation des "Brückenheiligen" Nepomuk.
Foto: Wiener Linien (https://www.wienerlinien.at/eportal3/ep/channelView.do/channelId/-55029)

Johannes war als barocker "Modeheiliger" letztlich eine allgegenwärtige Figur: Neben den Statuen fertigte man zahlreiche Grafiken, Andachtsbilder, Altargemälde, Fresken und Anhänger mit Darstellungen des Heiligen an. Mit dieser faszinierenden medialen Omnipräsenz und dem Nepomuk-Kult im 18. Jahrhundert beschäftigt sich derzeit ein Projekt am Forschungsbereich Kunstgeschichte des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes (IHB) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Die Zunge als Zeichen der Verschwiegenheit

Die Verehrung des heiligen Johannes von Nepomuk war Teil der barocken Lebenswirklichkeit, und es waren nicht nur seine Eigenschaften als "Brückenheiliger" und Bewahrer vor Wassergefahren, die ihn so beliebt machten. Er war auch Schutzpatron der Priester, Flößer und Müller und sollte seine Verehrer und Verehrerinnen vor der Pest und vor übler Nachrede schützen. Heutzutage wäre er deshalb vielleicht zum Schutzpatron gegen Klatsch und Tratsch, Mobbing und Shitstorm ernannt worden. Kurz vor seiner Seligsprechung hatte man seinen Leichnam exhumiert und dabei Gewebereste im Schädel gefunden. Aufgrund der Form und der rötlichen Farbe meinte man darin die nichtverweste Zunge von Johannes von Nepomuk zu erkennen. Letztere wurde zum Symbol für dessen Verschwiegenheit und ihre Darstellung ein wichtiges Element der Nepomuk-Bilder. Erst bei einer 1979 erfolgten Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich nicht um die Zunge, sondern um einen Rest der Gehirnmasse gehandelt hatte.

Johannes-von-Nepomuk-Kapelle in Straß im Straßertale.
Foto: BSonne, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Diese Umstände muten heute in unserer "entzauberten" Welt recht eigenartig an, unterstreichen aber die fundamentale Bedeutung des Heiligenkults als Teil der frühneuzeitlichen Vorstellungswelt. So wie bei der jüngsten Seligsprechung der römisch-katholischen Kirche mit dem Bild des sportlich gekleideten Seligen ein jugendlicheres Image der Kirche verbreitet werden sollte, wurde im 18. Jahrhundert mit Bildern der vermeintlich konservierten Zunge die Wirkmächtigkeit des Kultes anschaulich untermauert. Illustrierte Lebensbeschreibungen Johannes von Nepomuks, die kurz nach dessen Seligsprechung publiziert wurden, berichten von der reichen Lebensgeschichte des böhmischen Märtyrers und zahlreichen von ihm vollbrachten Wundern. Dennoch sind es bei genauerer Betrachtung zwei Episoden, die später für sein Branding ausschlaggebend sein sollten: die Beichte der Königin Johanna sowie der Brückensturz des Heiligen.

Gebetszettel mit einer Darstellung der Zunge Johannes von Nepomuks.
Foto: Dommuseum Salzburg / Josef Kral

Der Heilige als Allzweckwaffe in Krisen aller Art

Die Fülle an Funktionen, die man Johannes von Nepomuk zuschrieb, macht ihn zu einer gleichsam omnipräsenten Allzweckwaffe für die Bewältigung menschlicher und politischer Krisen, wodurch wiederum bewährte Heiligenkulte in eine Art Legitimationsdruck geraten konnten. Mit seinem Reim "Aber diese Nepomucken! Von des Torgangs Lucken gucken und auf allen Brucken spucken lauter, lauter Nepomucken!" machte bereits Rainer Maria Rilke 1896 auf die erstaunliche Konjunktur dieses "Modeheiligen" aufmerksam. (Stefanie Linsboth, Werner Telesko, 14.11.2020)