Der Flüchtling Bol (Sope Dirisu) versucht in "His House" einen Neuanfang in einem Londoner Außenbezirk.

Aidan Monaghan / Netflix

Der Horrorfilm ist immer auch Projektionsfläche. Klar, es geht um Urmenschliches, um Angst in all ihren Spielarten, um Angstlust, um Schock. Doch nicht erst seit Get Out hat das Genre auch einen sozialkritischen Impetus. Was Jordan Peeles von der Kritik gefeiertes Debüt von 2017 auszeichnete, war die kulturelle Aneignung. Der amerikanische Regisseur dachte den Social Thriller neu, indem er Horror und Satire mit einer expliziten Kritik am amerikanischen Rassismus zusammendachte.

Dass Peele in Get Out ebenfalls in den vier Wänden eines Hauses einen mehrdeutigen Spuk abfackelt, ist nicht die einzige Verbindung zu His House. Remi Weekes reiht sich mit seinem Debüt in eine junge, fruchtbare Tradition ein, denn auch er kapert das Genre und erzählt ein Geflüchtetendrama als tiefenpsychologischen Schocker. Zu Lachen gibt es bei dem britischen Regisseur weniger als bei Peele und auch in Sachen Grusel geht es gerade in der ersten Hälfte des bei Netflix veröffentlichten Films eine ganze Spur heftiger zu. His House ist ein ambitionierter, überdrehter, für ein Debüt erstaunlich stilsicherer Film.

Netflix

Horror, schon bevor der Spuk richtig losgeht: Menschen auf der Flucht, erst in einem Jeep, dann, umgeben von bedrohlicher Dunkelheit und nichts als rauem Meer, zusammengepfercht auf einer wackeligen Nussschale, schließlich hilflose Leiber im Wasser. Ein Trauma unserer Zeit, gegossen in die Bilder der ersten Filmsekunden. "Wovon hast du geträumt?", fragt Rial (Wunmi Mosaku). "Von unserer Hochzeit", lügt Bol (Sope Dirisu). "Das erklärt die Schreie", lächelt seine Frau.

Das Paar ist aus dem Südsudan geflohen, hat in den Wellen Tochter Nyagak verloren und erhofft sich einen Neuanfang in England. Wobei Letzteres eigentlich nur für Bol gilt. Er ist der Antreiber in Sachen Integrationsbemühungen, zwingt Rial dazu, mit Messer und Gabel zu essen, obwohl für sie alles nach Metall schmeckt. Und er wiederholt mantraartig: "Das ist unser Haus." Gemeint ist die Bruchbude in den schäbigen Außenbezirken Londons, in der das Paar während des laufenden Asylverfahrens wohnen darf, wohnen muss. "Ein Palast", meint der Sachbearbeiter, "größer als meine eigene Wohnung". Eine Tür fällt aus der Angel, die Kakerlaken wohnen in einem Pizzakarton und die Löcher in der Wand entpuppen sich als Löcher in Bols Seele.

Der Horror vor der Tür

His House verhandelt den inneren und den äußeren Horror: Ersteres im Sinne des klassischen, stark auf den Effekt zielenden Haunted-House-Thrills. Wir folgen Bol in die Dunkelheit des Hauses, wo Schattenwesen und Hexerei auf ihn warten: ein Seelenstriptease mit mythischer Grundierung. Übergänge zwischen Realität, Wahn und Vergangenheit werden immer fließender.

Andererseits lauert der Schrecken vor der Tür: der Schrecken der Erwartungen, nicht aufzufallen, sich anzupassen, geduldet, aber nicht erwünscht zu sein. Das ist die vielleicht bitterste Erkenntnis dieses filmischen Mashups über (Flucht-)Traumata, Identität, Schuld und Alltagsrassismus. Denn so furchteinflößend die Dunkelheit im Haus zunächst auch sein mag, so drastisch sind die Schritte, die Bol nach einem erzählerischen Twist gehen muss: An dem Horror vor der Haustür wird all das wenig ändern. (Jens Balkenborg, 10.11.2020)