In der Darstellung von Menschen mit wenig Geld hapert es auch in den Medien noch immer.

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Der Begriff Klassismus ist noch immer nicht sehr geläufig, obwohl das Phänomen selbst ein altes und noch immer enorm präsent ist. Wie drückt sich Klassismus, also die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft, aus? Wie geht es Menschen aus Arbeiter*innenfamilien, wenn sie es an eine Uni schaffen? Und was machen herabwürdigende Bilder und Berichte über Armut mit uns? Diesen und anderen Fragen geht das soeben erschienene Buch "Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen", herausgegeben von Francis Seeck und der dieStandard-Autorin Brigitte Theißl, nach. Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Buch, den Beitrag "Medial ausgegrenzt: Warum Klassismus ein Thema für den Journalismus werden muss" von Brigitte Theißl.

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Francis Seeck, Brigitte Theißl (Hg.), "Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen", 280 Seiten, 16 Euro, Unrast-Verlag, Münster 2020.
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"Es ist zum Heulen: die Menschen, die ihm zukreischen und wie sie aussehen.Es sind die hässlichsten Menschen Wiens, ungestalte, unförmige Leiber, strohige, stumpfe Haare, ohne Schnitt, ungepflegt, Glitzer-T-Shirts, die spannen,Trainingshosen, Leggins. Pickelhaut. Schlechte Zähne, ausgeleierte Schuhe. Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten sind ein schönerer Menschenschlag. Und jünger." (Zöchling 2015)

Im Sommer 2015, jenem Sommer, der einst als leuchtendes Beispiel zivilgesellschaftlichen Engagements galt und mittlerweile zu jenem umgedeutet wurde, der sich nicht wiederholen dürfe, begibt sich eine Redakteurin des österreichischen Nachrichtenmagazins "Profil" auf Recherchereise. Eine Reise an verschiedene Orte, an denen geflüchtete Menschen aus Syrien und Afghanistan unterwegs sind, um die Grenze nach Österreich und später Deutschland überqueren zu können. #refugeeswelcome posten Tausende in den sozialen Netzwerken, an den Bahnhöfen haben sich Freiwillige eingefunden, um die erschöpften Ankommenden mit dem Nötigsten zu versorgen. Währenddessen steht Heinz-Christian Strache, zu dieser Zeit noch Bundesparteiobmann der FPÖ, am Wiener Viktor-Adler-Markt und hetzt gegen Geflüchtete, gegen "Asylbetrüger". Jene johlende Menge, die die Redakteurin dort antrifft, wird sie in der Reportage "Hilfe für Flüchtlinge: Meine Freundin weint" als die "hässlichsten Menschen Wiens" beschreiben, sie sieht ungepflegte FPÖ-Anhänger*innen, die kein Geld haben für teuren Zahnersatz oder Maßanzüge. "Die von mir beschriebene Hässlichkeit ist keine ästhetische Kategorie, sondern eine moralische", entgegnet die Redakteurin ihren Kritiker*innen (Zöchling 2015). Der Österreichische Presserat sieht das anders: Die Reportage verstoße gegen Punkt 7 des Ehrenkodex für die österreichische Presse, den "Schutz vor Pauschalverunglimpfung und Diskriminierung", entscheidet das Gremium.

Nazi-Orks

Dass bei der Beschreibung und der bildlichen Darstellung rechter Wähler*innen gerne auf klassistische Stereotype zurückgegriffen wird, ist nicht neu. Reportagen über Wahlkampfveranstaltungen der bierzeltaffinen FPÖ sind in Österreich seit jeher beliebt. Journalist*innen begeben sich dafür gerne in Wiener Außenbezirke oder auf Kundgebungen mit Volksfest-Charakter und rücken Menschen mit aufgebrezelten Hunden oder mit den in der "Profil"-Reportage genannten "Glitzer-T-Shirts" ins Licht. Auf Hässlichkeit – ob in ästhetischer oder moralischer Hinsicht – zielte auch ein vieldiskutierter Artikel im "Vice"-Magazin im Jahr 2013. "Der Nazi-Ork von Hellersdorf" titelte der Autor und stellte einen Mann, der vor einer Asylunterkunft in Berlin-Hellersdorf seinen Arm zum Hitlergruß erhoben hatte, als "formlose und teigige Gestalt" vor, er sprach von "dem dumpfesten Pöbel, der an einem Montagvormittag genügend Zeit und Muße hat, rechte Parolen zu skandieren, anstatt wie wahrscheinlich normalerweise den Tag mit Bier aus Plastikflaschen zu begrüßen". "Liebe Hellersdorfer Nazis, bitte hört auf, euch so zu gebärden, als wärt ihr Deutschland, denn das seid ihr nicht. Ihr seid einfach ungebildet, mehr nicht", so sein Schlussappell (Brenner 2013).

Aus dieser Botschaft, die der Autor wohl als antirassistische beabsichtigte, lässt sich ein bürgerlicher Distinktionswunsch herauslesen – der Text taugt zum klassistischen Vorzeigestück –, zugleich verkennt sie strukturellen Rassismus: Rassismus gerinnt zur Bildungslücke, er wird zum Problem einer vermeintlich 'unansehnlichen' Unterschicht, statt ihn als umfassende Diskriminierungs- und Unterdrückungsform zu benennen. Die skizzierten Beispiele entstammen nicht dem Boulevard, sondern einem österreichischen Qualitätsmedium ("Profil") sowie einem Lifestylemagazin ("Vice"). Letzteres fällt zwar durch Clickbait-Journalismus (Clickbaiting beschreibt das Phänomen, mit reißerischen Überschriften oder Bildern Leser*innen zum Klick auf die Inhalte zu motivieren und so mehr Werbeeinnahmen zu generieren. Warum Klassismus ein Thema für den Journalismus werden muss, Anm. der Autorin), in der Regel aber nicht durch hetzerische Berichterstattung auf und bereitet Rassismus ebenso wie Sexismus und Homofeindlichkeit regelmäßig kritisch auf.

Klassismus, wie bitte?

Dass die beiden Texte die interne Qualitätskontrolle passierten, legt den Schluss nahe, dass Klassismus als Form der "individuellen, institutionellen und kulturellen Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund des tatsächlichen, vermuteten oder zugeschriebenen sozial- oder bildungspolitischen Status" (Kemper/Weinbach 2009: 7) in deutschsprachigen Redaktionen kaum Thema einer Qualitätsdiskussion ist. Trotz steigender Zahl an Publikationen zum Thema verwundert dies kaum: Im deutschsprachigen Raum beginnt sich der Klassismusbegriff erst langsam zu etablieren, auch in der Antidiskriminierungsarbeit bleibt er Randthema. "Als ich vor etwa acht Jahren angefangen habe, Workshops zum Thema 'Klassismus' zu geben, war der Begriff noch völlig unbekannt (oder: wieder unbekannt geworden). Zu meinem ersten öffentlichen Workshop kamen genau drei Leute", erzählt Tanja Abou, die unter anderem als Social-Justice-Trainerin in Berlin arbeitet (Abou 2017: 1).

Hinzu kommt, dass von Klassismus Betroffene kaum vernetzt oder in Interessenverbänden organisiert sind. Politische Selbstorganisierung sei der "effektivste Antiklassismus", schreibt Andreas Kemper, der sich europaweite "Initiativen gegen Altersarmut, Bildungsbenachteiligung von Arbeiter*innenkindern, Arbeitslosen- und Obdachlosen-Initiativen, Initiativen von Alleinerziehenden" wünscht (Kemper 2015: 30). Denn auch wenn im deutschsprachigen Raum verschiedene Initiativen von Alleinerziehenden oder Wohnungslosen existieren, sind es meist Organisationen ohne ausreichende finanzielle und personelle Ressourcen, die nur sehr beschränkt Einfluss auf politische Debatten nehmen können. Dass Berlin im Mai ein eigenes Landesantidiskriminierungsgesetz verabschiedete, in dem erstmals auch der soziale Status als Diskriminierungsgrund anerkannt wurde, kann somit als großer Fortschritt gelesen werden.

Deutschlands frechster Arbeitsloser

In welcher Form Journalist*innen über soziale Ungleichheit, Ausgrenzung und Armut berichten, wie Klassismus betroffene in TV-Dokus oder Reportagen porträtiert werden oder aber gänzlich unsichtbar bleiben, prägt unsere Vorstellungen als Rezipient*innen entscheidend mit. Massenmedien wirken als Sozialisationsinstanz, sie "übermitteln Vorstellungen von der Welt und sind an der Tradierung von Stereotypen über Generationen hinweg beteiligt", formuliert die Kommunikationswissenschaftlerin Martina Thiele (2015: 50).

Stereotype klassistische Berichterstattung hat viele Gesichter. Während in manchen Beiträgen die Abwertung von Menschen, die Sozialhilfe beziehen, ganz subtil über versteckte Schuldzuweisungen passiert, hat eine brachial-klassistische Berichterstattung im Boulevard eine lange Tradition. "Hartz-IV-Empfänger gibt es bei 'Bild' nur in faul", titelt der kritische "Bildblog" 2019 in einem Beitrag, der die geballte Ladung Klassismus der "Bild" zu einem Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts zusammenfasst. "Wird Faulheit nicht mehr bestraft?", fragte damals die "Bild" und berichtete aus dem Alltag eines Deutschen, der seit zwanzig Jahren erwerbslos sei: "Deutschlands faulster Hartz-IV-Empfänger (seit 20 Jahren arbeitslos) über seinen gemütlichen Alltag: 'Normalerweise stehe ich gegen Mittag auf'" ("Bildblog" 2019).

Seit Jahrzehnten betreibt die "Bild"-Zeitung eine regelrechte Kampagne gegen Erwerbslose und Hartz-IV-Bezieher*innen, die in der Berichterstattung rund um Arno Dübel, den "frechsten Arbeitslosen Deutschlands", gipfelte. Dass die Kampagne auch bei den Leser*innen der Boulevardzeitung ihre Wirkung nicht verfehlte, zeigen Christian Baron und Britta Steinwachs in ihrer 2012 erschienen Untersuchung "Faul, frech, dreist. Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch Bild-Leser*innen" (vgl. Baron/Steinwachs 2012).

Beschämt und ausgestellt

Ein ähnliches Spiel mit klassistischen – oftmals verwoben mit rassistischen – Stereotypen betreiben Reality-TV-Formate sowie Scripted-Reality-Shows, die Erwerbslose und Armutsbetroffene vorführen und belehren, ihre Lebenswelten ausstellen und an der neoliberalen Erzählung 'Jeder ist seines Glückes Schmied' weiterstricken. Als ein "Auftauchen der 'neuen Unterschicht' im Reality-Fernsehen und die Intimisierung ihrer Lebensweisen" beschreibt Medienwissenschaftlerin und Soziologin Irmtraud Voglmayr das Phänomen. Dabei spiele auch Geschlecht eine zentrale Rolle, wie sie anhand der österreichischen Reality-Soap "Teenager werden Mütter" zeigt. Das Reality-Fernsehen produziere "neue vergeschlechtlichte Bedeutungen von Klasse, ausgetragen am Körper der Frauen" (Voglmayr 2015: 46 f.).

So sind es junge Mütter, deren vermeintliche Verantwortungslosigkeit in der ATV-Produktion ausgestellt wird, in wieder anderen Formaten treten Schuldnerinnen und Alleinerzieherinnen auf, die von Expert*innen beschämt und belehrt werden. Solche TV-Formate, deren Protagonist*innen häufig in Satiresendungen zusätzlich beschämt werden, fungierten "als moralische Barometer" dafür, was in einer Gesellschaft als akzeptabel gelte, sagt die britische Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie. "Meine These lautet, dass sich diese Grenze in den vergangenen Jahren deutlich verschoben hat. Die frühere Unterscheidung zwischen 'selbst verschuldeter' und 'unverschuldeter' Armut existiert heute nicht mehr, der Ton auf Social-Media-Plattformen wird aggressiver, medial werden Frauen vorgeführt, die angeblich zu Unrecht Sozialleistungen beziehen, zu viele Kinder haben oder sich 'schamlos' verhalten", so McRobbie im Interview (Theißl 2017).

Wie geht respektvolle Armutsberichterstattung?

Aber auch abseits von Doku-Soaps und Scripted Reality ist Armutsberichterstattung von Stereotypen geprägt. "Zu häufig werden Kinder in negative Rollenklischees gedrängt, Vorurteile durch die Art und Weise der Berichterstattung verstärkt oder Kinder und Jugendliche (für politische Debatten) instrumentalisiert", so das Ergebnis einer österreichischen Medienstudie zu sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Hinblick auf Boulevardblätter (Armutskonferenz 2017: 46).

Statt Armut und soziale Ausgrenzung als strukturelles Problem mit gesamtgesellschaftlichen Folgen zu besprechen, stehen medial häufig Einzelschicksale im Fokus – Geschichten von Personen, die nicht als Expert*innen ihrer Lebenssituation, sondern als Opfer porträtiert werden. "Dabei ist Verteilungsgerechtigkeit ein Thema, das alle Menschen einer Gesellschaft betrifft", formulieren die Expert*innen der Armutskonferenz, die einen Leitfaden für eine respektvolle Armutsberichterstattung erstellten (Armutskonferenz 2014). Im Leitfaden bieten die Redakteur*innen Anhaltspunkte für Journalist*innen, wie eine respektvolle Armutsberichterstattung gelingen kann, die Armut darstellt, aber nicht ausstellt; die von Armut Betroffene als Expert*innen wahrnimmt; die Armut und soziale Ausgrenzung in ihre gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einbettet, anstatt sie als Ausdruck eines individuellen Versagens in Szene zu setzen. (Brigitte Theißl, 10.11.2020)