Neues Wiener Tagblatt vom 7. Dezember 1889

Der gemaßregelte Krampus

Ein Freund unseres Blattes, ein alter Beobachter des Wiener Lebens schreibt uns: Stellen Sie sich meine Freude vor, als ich auf dem diesjährigen Nikolomarkte am Hof den guten braven Zwetschkenkrampus wieder vorfand. Den Zwetschkenkrampus! Er war seit einer Reihe von Jahren verschwunden; der haarige Krampus, auch eine Freude der Jugend, nahm immer groteskere Gestalten an und daneben kam der zuckerbäckerne in Flor, dessen Schöpfer sich in ihrer Geschmacklosigkeit sogar so weit versteigen in als "Gigerl" auftreten zu lassen. Und nun ist wieder auf einmal der Zwetschkenkrampus da. Ich glaube das hat seinen volkswirtschaftlichen Grund.

Kein Krampus ist so billig und doppelseitig verwendbar, wie der Zwetschkenkrampus, er ist ein moralisches Warnungsmittel für die bösen Kinder und nebstbei angenehm zu verzehren. Alle die teuren künstlerisch aufgeputzten Krampusse blieben stehen, die billigen gingen reißend ab, am Abend vor dem Nikolotage waren keine Zwetschkenkrampusse mehr am Lager. Selbstverständlich war neue am gestrigen Nikolotage wieder vorrätig. Aber merkwürdig, sie entbehrten des Schmuckes, der die Zwetschkenkrampusse vom vorhergehenden Tage ausgezeichnet hatte: des goldenen Schmuckes auf den einzelnen getrockneten Zwetschken. Man kennt ja das billige Flittergold, das wie angeflogen auf den zu vergoldenden Gegenständen leicht aufsitzt. Es war nicht Mangel an "Gold", nicht Nachlässigkeit bei der Herstellung, eine höhere Ursache hat das Gold verschwinden gemacht.

Das wachsame Auge des Marktkommissärs hat das Flittergold auf den Krampussen entdeckt und den Verkäufern derselben die strenge Order gegeben, keine solchen mehr in Handel zu bringen, weil die Kleinen das Gold mitessen und ihre Gesundheit beschädigen könnten. O, heilige Hygiene! Du lässt die Bakterien hinein in unser Hochquellenwasser, du lässt der Wien liebliche Miasmen (sehr gesundheitsfördernd) entsteigen, du lässt den altberühmten Staub von Wien luftig wirbeln, damit die Lungenkranken auch etwas Gutes haben, du lässt unsere Kanalisation unangetastet, du bist nicht imstande, eine Menge wohltätiger Verfügungen durchzusetzen, welche notwendig sind, um die Gesundheit der Bewohner Wiens zu schützen – aber hier beim vergoldeten Krampus hältst du mit ernster Miene stille und zerstörst mit kategorischer Order die Tradition, welche sich an das Gebilde von Menschenhand zu Ehren Mephistopheles' heftet. Damit ist aber der Gegenstand nicht abgetan.

Der Krampus ist es zwar, denn der Nikolotag ist vorbei, aber das Christkindl steht vor der Tür mit dem Tannenbaum mit der Hand. An selbigen Tannenbaum werden aber gleichfalls, nach altem Brauche vergoldete Nüsse und Äpfel gehängt – heilige Hygiene, wenn du konsequent vorgehst, musst du auch da behördlich einschreiten. Denn so ein vergoldeter Apfel ist ja auch zum Verspeisen bestimmt und hat weit mehr Gold auf seiner Haut, als der ganze Zwetschkenkrampus auf seinem dürren Leibe. Die Nüsse müssen eventuell geknackt werden, der innere Kern wird durch das Gold nicht infiziert, aber der goldene Apfel, um den ist uns bange. Die nächsten Tage werden uns zeigen, ob unsere Befürchtung berechtigt ist.

Vorarlberger Volksblatt vom 7. Dezember 1889

Köln. Versammlung gegen den Sklavenhandel 

In der am 25. November hier abgehaltenen großen Versammlung gegen den Sklavenhandel hatte der Missionär P. Amrhein zwei Negerknaben [Anm. des Bloggers: bitte den zeithistorischen Kontext bei dieser Bezeichnung beachten] bei sich. Der eine derselben, ein tiefschwarzer Sudaneser hat nach der Schilderung der Herrn Missionäre trotz seiner Jugend alle Gräuel der Sklaverei selber erfahren. Erst 15 Jahre alt, habe er zehn Jahre in Gefangenschaft gelebt, er sei fünf mal geraubt und zehn mal verkauft worden; er sei entsprungen, sei wieder eingefangen und befreit worden. Auf den Reisen, die er mit seinen verschiedenen Herren zu machen gehabt, habe er auch den Weg von Innerafrika nach dem Roten Meer zurückgelegt, der in der Luftlinie 400 Stunden, in Wirklichkeit wohl das fünffache betrage. Bei dem einen Herrn sei er wie ein Sohn des Hauses, bei andern schlimmer wie ein Tier behandelt worden. Die Lebens- und Leidensgeschichte dieses Knaben mit ihren Hunderten von Einzelheiten stelle das Wesen und Treiben des afrikanischen Sklaventums vor Augen.

Er sei nur ein Fall von hunderttausenden ähnlichen. Dieser Knabe wurde mit 14 andern beim Hüten der Ziegen in seiner Heimat nordwestlich von den großen Binnenseen von den Arabern geraubt. Den Höhepunkt erreichten seine unsäglichen Leiden, als er einem alten, bosheitsvollen Araber verschachert wurde, der ihn sofort peitschte und in Fesseln schmiedete. In Zorn und Verzweiflung und auch in Angst, dass er am folgenden Tag zu Tode gepeitscht würde, zog nachts der neben dem Araber liegende gefesselte Knabe mit den Füßen einen am Boden liegenden Dolch herbei, zerschnitt seine Bande, tötete den schlafenden Herrn und entfloh. Nach zwei Tagen wurde er aufgegriffen und zurückgeschleppt. Als er vernahm, dass er getötet oder ihm die Hände abgehauen werden sollten, habe der Knabe gebeten, ihn nicht zu töten, sondern zu verkaufen. Ein anwesender Sklavenhändler zahlte den Preis und brachte den Knaben auf ein Schiff, das von einem englischen Kreuzer eingeholt wurde. Ehe die Engländer die Sklaven befreien konnten, wurden die Unglücklichen alle ins Meer geworfen, glücklicherweise an einer seichten Stelle, so dass der Knabe gerettet werden konnte. Er kam erst nach Italien und dann ins Kloster Sankt Ottilien. Jetzt bereitet er sich auf die Taufe vor, lernt gut und betet schon mit Dank für das göttliche Walten.

Freie Stimmen vom 7. Dezember 1889

Zwei schöne Doggen

getigert und grau, 6 Monate alt, werden sehr groß, sind zu verkaufen.
Anfragen im Dalmatiner-Keller, Villach

Doggen aus dem Dalmatiner-Keller
ANNO | Österr. Nationalbibliothek

(Kurt Tutschek, 7.12.2020)

Tutscheks Zeitreiseadventkalender