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Bewohnerinnen des Dorfes Thulasendrapuram im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu feiern Kamala Harris. Shyamala Gopalan, die Mutter der soeben zur US-Vizepräsidentin gewählten Harris, zog einst von dort nach Kalifornien.

Foto: Reuters/STRINGER

In den vergangenen Jahren stellten wohl viele immer wieder folgendes Gedankenspiel an: Was wäre, wenn sich eine Frau all das leisten würde, was sich Donald Trump geleistet hat? Noch dazu eine ältere, etwas dickere, die schon mehr als eine Insolvenz hingelegt hat – von Pleiten mit nicht so cleveren Geschäftsideen wie dem Vertrieb überteuerter Steaks über Brettspiele (eine Art Monopoly natürlich) bis zu Kasinos in Atlantic City, allesamt in den Sand gesetzt? Wenn sie ihr Vermögen mithilfe von Papas Geld und exorbitanten Steuernachlässen gemacht hätte? Wenn sie nachweislich und ständig die Unwahrheit sagen würde, über Dinge spräche, von denen sie schlicht keinen Schimmer hat, mit sexueller Belästigung angegeben hätte und ein um Jahrzehnte jüngeres Model ihren Ehemann nennen würde? All das war bei Donald Trump möglich. Bei einer Politikerin ist es unvorstellbar. Frauen in der Politik können froh sein, wenn sie halbwegs sachlich beurteilt werden.

Jedenfalls ist jetzt die Freude groß, dass nun – trotz vier Jahren Trump – zum ersten Mal eine Frau, noch dazu eine nichtweiße Frau, Vizepräsidentin der USA wird. Die Erwartungen sind da freilich groß. Vielleicht zu groß. Denn neben dem Problem des immer noch herrschenden plumpen Sexismus ihnen gegenüber müssen Politikerinnen auch mit der Schwierigkeit umgehen, dass sie von vielen als große Heilsbringerinnen betrachtet werden. Dass sie, wie bei Frauen so oft, einfach alles hinbekommen müssen, um akzeptabel zu sein.

Aus Erfahrung kann Empathie werden

Das ist nicht fair. Es ist zwar nur logisch, dass von der Besetzung mit Frauen, insbesondere schwarzen Frauen oder Frauen mit einer Migrationsgeschichte in ihrer Familie, eine große Strahlkraft ausgeht. Und es ist tatsächlich wichtig, nicht ständig nur Männer in hohen Positionen zu sehen – für alle, nicht nur für Mädchen und junge Frauen. Allein schon ihre Erfahrungen als Frauen, als BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) werden sicher ihre Wortwahl und bis zu einem gewissen Grad auch die Politik beeinflussen. Eine Erfahrung, die dem zertifizierten Sexisten und Rassisten Trump völlig fehlt. Wer diese Erfahrungen aber hat, übersetzt sie im besten Fall in Empathie mit diskriminierten Menschen. Die diesbezüglichen Hoffnungen in die ehemalige Staatsanwältin Kamala Harris, deren Vater aus Jamaika und deren Mutter aus Indien stammt, sind zu Recht groß.

Doch das meiste wird sie aufgrund ihrer politischen Überzeugungen tun und wohl auch wegen politischer Zwänge, die ein solches Amt mit sich bringt. Darüber vielleicht schon in ein paar Monaten maßlos enttäuscht zu sein bedeutet auch, mit zweierlei Maß zu messen. Und wir sollten nicht vergessen: Vom US-Präsidenten Donald Trump zu einer Vizepräsidentin Kamala Harris, das ist doch schon mal was. (Beate Hausbichler, 11.11.2020)