Manch kleiner Nahversorger kommt mit einem blauen Auge durch das Jahr. Andere kämpfen um ihre Existenz.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Elisabeth Ortner war knapp davor, den Rollladen vor ihrer Tür für immer zu schließen. "Im August habe ich mich gefragt, warum ich hier eigentlich noch sitze." Ihr Kinder-Secondhandgeschäft finanzierte seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie gerade einmal die Fixkosten. Leben konnte sie davon nicht. Im September und Oktober ging es mit dem kleinen Shop in Wien-Döbling überraschend bergauf. "Betriebsam wie in einem Bienenstock war es plötzlich." Ehe kurz vor dem Stillstand der Gastronomie die Stimmung erneut kippte. "Ich sah den Menschen ihre Nervosität förmlich an. Es war beklemmend."

"Die Leute brauchen Geld"

Ortner sitzt inmitten eines bunten Mosaiks an Spielzeug, Büchern und Kindermode. Ihr Geschäft sei Spiegelbild der Gesellschaft, sagt die frühere Bilanzbuchhalterin. Beim ersten Lockdown misteten Familien daheim aus. Ortner stoppte die Aufnahme, um nicht in Ware unterzugehen. Bis heute hält die Flut an Anfragen für Ankäufe an. "Die Leute brauchen Geld. Junge Familien leiden unter der Krise am stärksten. Aber auch Besserverdiener stecken zurück." In der Folge werde Bekleidung wieder vermehrt getauscht. "Man hilft sich untereinander aus."

Ortner erzählt von Kunden, denen monatlich 300 bis 400 Euro fehlen. Von Eltern, die in der Gastronomie arbeiteten und denen schlagartig der gesamte Verdienst wegbrach. Von Ehen, die am Homeoffice scheiterten. Und von Stammgästen, die sich seit Monaten kaum außer Haus wagten. "Ein bisserl bin ich hier ja auch Therapeutin."

Langfristig werde der Secondhandmarkt die Krise besser als andere Branchen meistern, glaubt Ortner. Dafür sorge allein das gestiegene Bewusstsein für Nachhaltigkeit. Die Hilfen vom Staat fielen für sie bisher bescheiden aus: Zweimal 500 Euro erhielt die Unternehmerin. Der Hauseigentümer erließ ihr eine Monatsmiete.

Ernüchternde Bilanz

Österreichs Händler sind von der Krise schwer getroffen, viele verlieren heuer die Hälfte des Umsatzes. Die erste Bilanz nach einer Woche geschlossener Gasthäuser, verstärktem Homeoffice und nächtlichen Ausgangsbeschränkungen fällt ähnlich ernüchternd aus. Der Handelsverband beziffert die Umsatzverluste für Branchen wie den Mode- und Schmuckhandel mit 80 Prozent. Der Lebensmittelgroßhandel mit der Gastronomie als Kunde erleben Totalausfälle. Ob die Geschäfte allesamt weiter offen bleiben, ist ungewiss: Angst geht um, dass der zweite Lockdown bald auch weite Teile des Handels erfassen könnte.

Rainer Will, Chef des Handelsverbands, pocht auf das volle Spektrum an von der EU vorgesehenen Wirtschaftshilfen: Alle Unternehmen mit Lockdown-bedingten Einbußen sollten gestützt werden, ohne Ober- und Untergrenzen. Der Staat müsse Prozent für Prozent für den Umsatzausfall dieser Betriebe aufkommen. Sollte der Shutdown auf den Handel ausgedehnt werden, gehöre ihm erlaubt, Ware an Kunden auszugeben. "Es geht um Arbeitsplätze."

Zufluchtsorte

Ellen Schuster klopft derweil auf Holz. Ihre Modeboutique im Norden Wiens beklagt keinen Schaden. Sie sei hier Grätzelwirtin und psychologische Anlaufstelle, erzählt sie augenzwinkernd mit Blick auf einen ausladenden Kronstuhl unter einem goldenen Spiegel. Die Leute suchten Zufluchtsorte. Sie kämen auf einen Kaffee, einen Plausch – und gingen mit farbenfrohen Kleidern unterm Arm nach Hause. Der Innenstadt hat Schuster den Rücken gekehrt. "Bei den hohen Mieten habe ich nur Geld verbrannt." Als Nahversorgerin in Döbling fühle sie sich wohler.

Eine ihrer Nachbarinnen ist Sonja Joham. Sie stand zum Höhepunkt der Krise vor der Wahl, arbeitslos zu werden oder sich selbstständig zu machen. Die junge Floristin wagte Letzteres. Als "Blumenmädchen" eröffnete sie im Oktober neu. Gerade einmal drei Brautsträuße band sie seit dem Ausbruch von Covid-19. Was ihr der November bringen wird, hängt an Entscheidungen von Virologen. Ihre Zuversicht will sie nicht verlieren. "Ein eigenes Geschäft war immer mein Traum. Blumen tun gerade jetzt der Seele gut."

Essen statt Urlaub

Nach wie vor lebhaft eingekauft wird jedenfalls bei kleinen Lebensmittelhändlern, bestätigen Greißler von Wien-Landstraße bis Währing. Viele Eltern wussten in der Zeit der Schulschließungen ja gar nicht, dass ihre Kinder so viel essen, erinnert sich Petra Dirtl, die für Pöhl und Mayr am Kutschkermarkt Delikatessen verkauft. Im Sommer verzichteten ihre Kunden rundum notgedrungen auf Urlaub, sparten dabei jedoch nicht an gutem Essen. Und die wachsende Lust auf regionale Lebensmittel halte bis heute an.

Keine Spur von Krise erlebt Daniela Baumanns Bücherstube in der Gymnasiumstraße. Jahrelang schenkten Passanten dem unauffälligen Geschäft wenig Bedeutung. Doch seit dem Lockdown hat sich der Kreis der Kunden, die sich hier in der Vielfalt der Bücher verlieren, stark erweitert. Auch der November gibt Baumann aus wirtschaftlicher Sicht keinen Grund zu klagen. "Endlich zählen kleine eigentümergeführte Geschäfte zu den Gewinnern."

Lächeln durch die Glastür

Geschlossene Geschäfte machen ihr keine Angst. "Wir haben Kunden Büchersackerln im März vor unsere Stube gestellt und einander durch die Glastür angelächelt." Ihre Wahl trafen diese unkonventionell: Baumann breitete lesenswerte Titel auf dem Boden aus und fotografierte sie. Viele Wiener kauften mehr, als sie vorhatten. Und statt des "reichen Onkels Amazon in Amerika" ließen sie ihr Geld dem Händler ums Eck zukommen. "90 Prozent unserer Bücher sind Einzeltitel", sinniert Baumann. "Das ist nicht sehr wirtschaftlich, aber interessant." Geld vom Staat hat sie nie beantragt. (Verena Kainrath, 10.11.2020)