Der britische Premier Boris Johnson will mit dem Gesetz Teile des EU-Austrittsvertrags aushebeln.

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London – Das britische Oberhaus hat das umstrittene Binnenmarktgesetz, mit dem die Regierung den Brexit-Deal aushebeln will, erneut klar abgelehnt. Das House of Lords stimmte am Montagabend mit überwältigender Mehrheit gegen die entscheidenden Klauseln – mit 433 zu 165 Stimmen. Premierminister Boris Johnson muss nun entscheiden, ob er dem Votum der Lords folgt oder nicht.

Eine erste Abstimmung über das Gesetz im Oktober war ähnlich klar ausgefallen. Mehrere Abgeordnete argumentierten, das Gesetz würde den Frieden in Nordirland gefährden und dem Ansehen Großbritanniens in der Welt schaden.

Gesetz soll Austrittsabkommen aushebeln

Mit dem Gesetz will die Regierung Teile des Austrittsabkommens zwischen London und der EU aushebeln. Das war auf starken Protest der Opposition und der EU gestoßen. Sie warfen Johnson Rechtsbruch vor und leiteten ein Verfahren wegen Verletzung des EU-Austrittsvertrags ein.

Im Oberhaus sitzen viele Kritiker Johnsons. Die Abgeordneten im Unterhaus hatten hingegen mit deutlicher Mehrheit für das Gesetz gestimmt. Nun kommt es zu einer Art Pingpongspiel zwischen Unter- und Oberhaus. Aus der Regierung hieß es am Montag bereits, man werde das Gesetz nach den Änderungen im Oberhaus wieder entsprechend rückändern.

Knackpunkt: Nordirland

Das Gesetz könnte Sonderregeln für Nordirland im Brexit-Abkommen zunichtemachen, die eine harte Grenze zum EU-Staat Irland und neue Feindseligkeiten dort verhindern sollen. Johnson spricht von einem notwendigen "Sicherheitsnetz" – auch nach der US-Wahl noch.

Oppositionsführer Keir Starmer hatte Johnson nach dem Sieg des US-Demokraten Joe Biden aufgefordert, das Gesetz zu entschärfen. "Wir werden bald einen Präsidenten im Oval Office haben, der ein leidenschaftlicher Verfechter des Karfreitagsabkommens ist", schrieb der Labour-Chef in einem Gastbeitrag für den "Guardian". Mit dem Karfreitagsabkommen wurde 1998 der jahrzehntelange blutige Nordirlandkonflikt beendet. "Wie Regierungen in aller Welt wird er es missbilligen, wenn unser Premierminister damit weitermacht, dieses Abkommen zu untergraben." Biden hat irische Wurzeln: Sein Ururgroßvater wanderte einst aus Irland in die USA aus.

Zum Jahreswechsel endet die Brexit-Übergangsphase, in der weitgehend noch alles beim Alten geblieben ist. London und Brüssel ringen noch immer um einen Handelspakt ab 2021. Ohne Vertrag drohen Zölle und andere Handelshürden.

Marktzugang für Finanzdienstleister

Deshalb geht Großbritannien in puncto Finanzmarktzugang nun einseitig voran: Im Streit über den Marktzugang von Finanzdienstleistern nach der Übergangsphase sagte Finanzminister Rishi Sunak am Montag, dass Großbritannien der EU seine Regeln nennen werde. Man wolle nicht mehr auf eine Entscheidung aus Brüssel warten.

Der Zugang zu EU-Märkten für den riesigen britischen Finanzdienstleistungssektor wird bei den Brexit-Verhandlungen separat unter dem sogenannten Äquivalenzprinzip-System behandelt. Bei diesem geht es darum, dass britische Finanzinstitute in der EU auch ohne EU-Pass Geschäfte machen können – und umgekehrt –, falls beide Seiten ihre jeweiligen Regeln anerkennen. Sunak zufolge will Großbritannien der EU ein Bündel von Äquivalenzentscheidungen bei einer Reihe von Finanzaktivitäten anbieten. Das sei unabhängig davon, was die EU am Ende beschließe. Weitere Äquivalenzentscheidungen seien möglich, wenn sie in Großbritanniens Interesse lägen. Für einen Dialog mit der EU bleibe man offen. (APA, red, 10.11.2020)