Foto: OLIVIER DOULIERY / AFP

"Die erste Adresse für freie Rede": Mit diesem Versprechen wirbt Parler bereits seit rund zwei Jahren. Nun erlebt das stark an Twitter angelehnte soziale Netzwerk aber einen regelrechten Boom – und das hängt vor allem mit der US-Wahl zusammen.

Ranking

Parler führt derzeit in den USA sowohl die Download-Charts bei Apples App Store als auch bei Googles Play Store an. Mehr als vier Millionen Nutzer soll das soziale Netzwerk bereits haben, wovon eine Million in den vergangenen sechs Wochen hinzugekommen sind. Das erklärt auch die Spitzenposition in den App-Store-Charts, werden hier doch immer aktuelle Trends abgebildet.

Die Zahl der Nutzer dürfte aber noch weiter steigen. Immerhin fordern derzeit zahlreiche Aktivisten aus dem rechten politischen Spektrum – von konservativ bis rechtsextrem – ihre Anhänger dazu auf, zu Parler zu wechseln. Argumentiert wird das mit der Behauptung, dass auf Twitter bald eine Sperrwelle gegen entsprechende Meinungen anstehe. Einen Beleg für diese Behauptung gibt es bisher zwar nicht, die Initiative scheint aber Wirkung zu zeigen. Noch am Samstag lag Parler erst auf Platz 51 der Download-Charts.

Fast alles erlaubt

Was das in Nevada angesiedelte Parler tatsächlich von Twitter unterscheidet, ist eine wesentlich weniger starke Moderationspolitik. Verboten sind lediglich rechtswidrige Inhalte, Spam, Bots oder auch Aufforderungen zur Gewalt. Hassrede ist hingegen genauso erlaubt wie das Aufstellen von Falschbehauptungen. Selbst das Leugnen des Holocaust stellt für die Betreiber von Parler kein Problem dar.

Apropos Betreiber: Wer hinter Parler steht, ist weitgehend unbekannt. Einzig dass der republikanische Radiomoderator Dan Boningo, der früher auch bei Fox News tätig war, seit einigen Monaten beteiligt ist, wurde mittlerweile öffentlich. Nicht ganz überraschend ist es denn auch Boningo, der zu jenen gehört, die das Gerücht über eine große bevorstehende Sperrwelle bei Twitter gestreut hat.

Warten auf Trump

Mit dem aktuellen Boom scheint sich Parler auch als der Gewinner im sich schon länger abzeichnenden Rennen um eine rechte Twitter-Alternative abzuzeichnen, wie "Protocol" betont. Konkurrenten wie Gab oder Weme konnten sich bisher nicht so recht durchsetzen. Klar ist aber auch, dass es in diesem Rennen keinen klaren Gewinner geben wird, solange sich einer von diesen Plattformen fernhält: US-Präsident Donald Trump. Dieser könnte sich aber ohnehin bald entscheiden müssen. Mit der Amtsübergabe an den Demokraten Joe Biden verliert er auch seine Spezialbehandlung auf Twitter. Sollte er dann weiterhin wie zuletzt in rascher Abfolge Falschbehauptungen und andere problematische Postings veröffentlichen, könnte er bald gesperrt werden. Ob er dann zu einer Twitter-Alternative wechselt oder doch lieber einen eigenen Fernsehsender aufzieht – wie in der Vergangenheit immer wieder zu hören war –, ist noch einmal eine andere Frage. (apo, 10.11.2020)