Das erste Foto des Schattens eines Schwarzen Lochs, das 2019 veröffentlicht wurde, gilt längst als ikonisch. Der Physiker Heino Falcke, der daran maßgeblich beteiligt war, hat nun mit Kollegen das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße im Visier.
Foto: APA / AFP / European Southern Observatory

So ähnlich muss es sich anfühlen, wenn man sich einem Schwarzen Loch nähert. Raum und Zeit verschmieren, wie in einem Tunnel geht es unaufhaltsam weiter. So wird auch Heino Falcke durch den Nachmittag des 10. April 2019 gezogen, hinauf auf die Bühne des Pressesaals der Europäischen Kommission in Brüssel.

Wenige Augenblicke noch, dann wird er das präsentieren, wofür er mehr als 20 Jahre gekämpft hat. Gegen Einwände von Fachkollegen, gegen technische Probleme, gegen Querelen im Team, mit Verbündeten, mit Hartnäckigkeit, mit seinem Charme: Falcke zeigt das erste Bild eines Schwarzen Lochs, zeitgleich mit weiteren Forschern an insgesamt sechs Orten weltweit.

Ikonisches Bild

Es ist ein verwaschener Fleck in Schwarz und Orange, erstellt aus den Daten mehrerer Radioteleskope, die für das "Event Horizon Telescope" (EHT) zusammengefügt wurden. Das Bild, das genau genommen nicht das Schwarze Loch selbst zeigt, sondern dessen Schatten sowie die strahlende Materie, die um den Gravitationsgiganten rotiert, erscheint auf Newsportalen, in Nachrichtensendungen und auf Titelseiten. Es ist ikonografisch wie die "Blue Marble", jene Fotografie der blauen Erde vor dem Schwarz des Alls, die die Apollo-17-Besatzung 1972 aufgenommen hatte.

Für Falcke ist es eine Befreiung: "Endlich konnten wir das Bild mit allen teilen." Sein Traum und die kühne Ankündigung seit Mitte der 1990er-Jahre, man könne die Umrisse eines Schwarzen Lochs abbilden, waren endlich erfüllt. Zu sehen ist das Schwerkraftmonster in der Galaxie M87 mit der 6,5-milliardenfachen Masse der Sonne.

Der deutsche Radioastronom Heino Falcke ist Professor an der Radboud-Universität Nijmegen in den Niederlanden.
Foto: Doris Breuer

Teleskop mit Erdgröße

Um das 55 Millionen Lichtjahre entfernte Objekt darzustellen, braucht es eine Technik, die eine Orange auf dem Mond ausmachen könnte. Es gelang durch das Zusammenschalten von acht Radioteleskopen, was ein virtuelles Teleskop von der Größe der Erde ergibt – und durch die Leistung von 200 Forscherinnen und Forschern, die ihre Instrumente immer weiter verbessert haben, die Analyse der Daten, die theoretische Grundlagen sowie Simulationen und Tests, um sicher zu sein, dass das kalkulierte Bild der Realität entspricht.

Die Geschichte ist ein wahrer Wissenschaftskrimi. Falcke hat ihn aufgeschrieben – gemeinsam mit Jörg Römer in dem Buch "Licht im Dunkeln". Es schildert die Jagd nach dem Bild aus der Perspektive des Radioastronomen, verwoben mit einer populärwissenschaftlichen Reise durch den Kosmos und dessen Phänomene sowie der Biografie Falckes, heute 54 und Professor an der Radboud-Universität Nijmegen.

Zentrum der Milchstraße

Kurz vor der Buchpremiere sitzt er in einem Berliner Hotel und erzählt, wie alles angefangen hat: "Der Blick in den Nachthimmel hat mich fasziniert, und natürlich wollte ich auch Astronaut werden." Das Wissenwollen und Durchdenken brachte ihn nach dem Abitur in Frechen bei Köln zum Physikstudium.

Von der Teilchenphysik, die ihn zunächst ebenfalls reizte, wandte er sich wieder ab. "Ich hatte das Gefühl, die haben sich festgerannt, die Astrophysik versprach mehr, also ging ich dahin." An der Uni Bonn promoviert er über Schwarze Löcher und arbeitet als Wissenschafter am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, wo er seine Idee vom Bild entwickelt und im Austausch mit Kollegen immer weiterspinnt.

Nun hat er es, doch die Arbeit sei längst nicht getan, sagt Falcke. Neben dem Schwarzen Loch in M87 haben die Forscher auch das im Zentrum unserer Milchstraße auf der To-do-Liste stehen, genannt Sagittarius A*. Es ist aber viel unruhiger als M87, und daher gibt es bisher keine scharfen Bilder. "Die Materie bewegt sich sehr turbulent um Sagittarius A*", sagt Falcke und vergleicht das Geschehen mit einer Fackel auf dem Turm einer Gasbohrung, die zusätzlich rotiert.

Wissenschaft und Glaube

Im Laufe seiner Karriere musste Falcke auch Rückschläge hinnehmen, Ungerechtigkeit, Verletzungen. Er berichtet davon in seinem Buch – und dass er gerade in aufwühlenden Zeiten Geborgenheit im Glauben findet. Der sei ihm stets wichtig gewesen, er engagierte sich in der Jugendarbeit der evangelischen Kirche, machte mit 25 eine Ausbildung zum Prädikanten und gestaltet bis heute als Laienprediger Gottesdienste.

Falcke ist einer von wenigen Naturwissenschaftern, die ihren Glauben bewusst in die Öffentlichkeit tragen. Wie geht das zusammen? Schließlich treibt er die Physik und das, was sie erklären kann, immer weiter voran, was die "Nische für Gott" immer kleiner macht.

Falcke sieht es anders: "Wir wissen heute viel mehr als jemals zuvor, wissen aber auch viel mehr von dem, was wir nicht wissen können", sagt er. Die Lücke der Unkenntnis, die Gott ausfüllen soll, sei größer und grundsätzlicher geworden, als sie jemals war. Der Frage nach dem Ursprung von allem habe sich die Naturwissenschaft kein Stück nähern können. "Wer es wagt, über die Grenzen der Physik hinaus zu fragen, kommt an Gott nicht vorbei", findet er.

Er warnt davor, alles allein mit Wissenschaft erklären zu wollen. Wer nach dem Woher, Wohin und Warum frage, sei ein Leben lang auf der Suche. Religion, Philosophie und Wissenschaft spielten hierbei eigene Rollen. Keine davon sollte die ganze Weltdeutung für sich allein beanspruchen. "Wissenschaft ist kein absolutistischer Welterklärer, sondern ein Fest menschlicher Kreativität und Neugier."

Bei Falckes Bemühungen um Bilder von Schwarzen Löchern gehe es nicht allein um Bilder, sondern darum, mittels präziser Messungen die Vorgänge am Rand der extremen Objekte besser zu verstehen: wie die Materie durchgeknetet wird, Magnetfelder entstehen und mit Strahlungsausbrüchen zusammenwirken.

Außerirdisches Teleskop

Längst haben er und weitere Forscher das Konzept eines Event Horizon Imager (EHT) im Weltraum entworfen: Drei Satelliten kreisen um die Erde und empfangen Radiowellen, die dann verknüpft werden, wie bisher die Signale des EHT. Dieser EHT jedoch würde eine noch höhere Auflösung bieten, als es mit irdischen Teleskopen möglich ist.

Statt eines schemenhaften Lichtflecks könnte er einzelne Ringe darstellen, die auf rotierende Materie verweisen und so die Struktur viel genauer herausarbeiten. Das Konzept wurde der europäischen Raumfahrtagentur Esa vorgeschlagen, sagt Falcke. Selbst wenn es sich gegen viele andere Ideen durchsetzte, der Start wäre erst Mitte des Jahrhunderts.

Aber es gibt ja noch eine weitere Vision: ein Radioteleskop auf der Rückseite des Mondes. Dort lassen sich Signale mit sehr großer Wellenlänge empfangen, die von der Erdatmosphäre geschluckt werden. Die Radioastronomen könnten viel näher an den Urknall "heranlauschen", als es heute möglich ist, die Chance auf spektakuläre Forschungsergebnisse ist groß.

Etliche Konzepte wurden bereits diskutiert, umgesetzt wurde aber keines davon. Mit Ausnahme eines niederländisch-chinesischen Experiments, an dem auch Falcke beteiligt ist, bei dem 2019 Radioantennen auf einem Satelliten an der Rückseite sowie unmittelbar auf der Oberfläche des Mondes aktiviert wurden. Sie werden zeigen, welches Potenzial ein ausgefeiltes Radioteleskop auf dem Mond hat. (Ralf Nestler, 16.11.2020)