Kunde null, sagt Christian Bezdeka, meldet sich auch heute noch regelmäßig. Kunde null lebt in Niederösterreich. Und weil er nicht weiß, dass er von Christian Bezdeka und Marcus Ihlenfeld "Kunde null" genannt wird, steht hier kein Name.

Trotzdem leuchten die Augen von Ihlenfeld und Bezdeka, wenn sie von ihrem ersten Kunden erzählen. Weil das erste Fahrrad immer etwas Besonderes ist: jenes, mit dem man das erste Mal Fahrtwind und Freiheit erlebt, ebenso wie jenes, das man als Erstes verkauft hat. Auch wenn seither 500.000 dazugekommen sind: Der ehemalige Marketingdirektor von Opel Österreich (Ihlenfeld) und der Industrial Designer (Bezdeka) haben seit 2013 eine halbe Million Fahrräder verkauft. Kinderfahrräder. Woom-Bikes.

"RADLNARRISCH": Marcus Ihlenfeld (links) und Christian Bezdeka sind mit 40 Prozent Marktanteil im Segment Marktführer.
Foto: Christian Fischer

Dass man da nicht mehr jeden Kunden kennt, ist klar. Kommt die Rede auf den ersten Kunden, die ersten Fahrräder, zeigt Bezdeka ein Foto. Es ist mit 20. 3. 2013 datiert – und langweilig: Es zeigt einen Container. Nur waren in dem halt die Einzelteile von 200 Fahrrädern. Die schraubten Bezdeka und Ihlenfeld dann zusammen. Eigenhändig und in einer – Achtung, Klischee! – Garage.

Dass daraus eine halbe werden würde, hätten sie aber "nie zu träumen gewagt" (Ihlenfeld). Im Gegenteil: Bis 2017 lebten die beiden nicht von, sondern für Woom – und vom Geld, das ihre Frauen verdienten. Doch dann hat es "woom" gemacht. Ganz gewaltig.

Die Nachfrage ist ... zu hoch

Längst haben die Fahrräder der beiden "Radlnarrischen" (Eigendefinition) auf vielen (Rad-)Spielplätzen und Schulhöfen die "Lufthoheit": Der Woom-Marktanteil am österreichischen Kinderfahrradmarkt liegt bei 40 Prozent. Die drei je 9.000 Bike-Kartons fassenden Lagerhallen in Klosterneuburg, in denen Woom-Räder nach der Montage Zwischenstation auf ihrem Weg nach ganz Europa machen, sind de facto leer, bevor die Lkws ausgeladen haben: Die Räder sind seit Wochen vorbestellt. Eltern, die zu Weihnachten ein Woom schenken wollen, sollten besser schon vorgestern geordert haben – sonst liegt nur ein Gutschein unter dem Baum. Schließlich wuchs Woom heuer – im radverrückten Corona-Frühling – um 60 Prozent.

Was fabelhaft klingt, erwischte, gibt Marcus Ihlenfeld zu, "uns auf dem falschen Fuß": Hätte man diesen Herbst nicht die Private-Equity-Firma Bregal der C&A-Eigentümerfamilie Brenninkmeyer und Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner in Höhe eines nicht genannten Betrags zu einem Drittel beteiligt, hätten Wachstum und Nachfrage in Europa, den USA und in China das Unternehmen wohl zerrissen. Dennoch beteuern die Gründer, dass sich im auf 100 Mitarbeiter angewachsenen Firmensitz in Klosterneuburg jeder Tag anfühle wie jener, als "Kunde null" das Start-up formal starten ließ. So wie Bezdeka und Ihlenfeld da lachen, glaubt man es ihnen sogar.

DIE NEUERFINDUNG DES RADS: Na gut, nicht ganz. Aber mit mehr Know-how die Ergonomie von Kinderrädern betreffend.
Foto: Christian Fischer

Warum? Weil die beiden 2013 das Rad neu erfunden haben. Ein bisserl zumindest. Denn bis die beiden das erste Garagen-Woom (der Name leitet sich von jenem Geräusch ab, das Kinder auf der ganzen Welt machen, wenn sie Geschwindigkeit "spielen") bastelten, waren Kinderräder bloß halbherzig geschrumpfte Erwachsenenräder. "Niemand hat sich Gedanken gemacht, wie lang die Finger eines Sechsjährigen sind und welche Kraft sie haben", sagt Bezdeka. Er wundert sich heute noch, dass vor ihm niemand kindgerechte Hebel entwarf – und den für die Hinterbremse grün einfärbte: "Kein Dreijähriger denkt ‚rechts‘ – aber ‚Grün‘ funktioniert." Damit war das unfallträchtige Thema "Rücktrittbremse" vom Tisch. Und weil sie gerade dabei waren, entsorgten die beiden gleich eines der größten Hemmnisse kindlichen Radfahrenlernens: die Stütz- oder Stürzräder.

Ihlenfeld setzte die Kids aufs Laufrad: "Da lernen sie alles, was man auf dem Rad braucht: Balance und Geschwindigkeit – plus die Freude am schlagartig erweiterten Radius." Der einstige Automann ist stolz, "zum Erstaunen der Eltern hundert Kindern binnen Minuten Radfahren beigebracht zu haben".

Willhaben-Wooms

Treten ist dann der nächste Schritt – obwohl man das Kindern früher richtig schwermachte: Kein Sportgeschäft würde es wagen, Erwachsenen 35-Kilo-Räder anzudienen – aber 25-Kilo-Kinder setzte man auf Zwölf-Kilo-Bikes. Woom senkte das Gewicht der Räder um etwa 40 Prozent. Nebenbei wurden Sättel dem kindlichen Beckenknochen angepasst, hervorstehende Schrauben – über Generationen Verletzungsklassiker – verschwanden, simple Gummizüge verhindern zu abruptes Lenken: noch ein Unfallklassiker weniger. Und so weiter.

Dass derlei einen Preis hat, überrascht nicht: Das kleinste Woom, ein Laufrad für Eineinhalbjährige, kostet 179 Euro, das größte (für 14-Jährige) 519 Euro. Abgeschreckt wird dadurch kaum wer. Auch Bezdeka und Ihlenfeld "upcyceln": Wer ein kleines Woom zurückgibt und ein neues kauft, bekommt 40 Prozent des Kaufpreises erstattet.

Beliebtheitscontest

Wobei es dieses "Abo" oft nicht braucht: Auf Willhaben und Co sind gebrauchte Wooms oft kaum günstiger als neue. Bezdeka sieht das als Assets: "Aus Kinderrädern wächst man raus – aber durch den hohen Wiederverkaufswert kostet das Rad in zwei Jahren gerade 50 Euro." Denn die Marktbeobachtung zeige, dass ein Woom meist nicht zwei, sondern drei oder mehr Kinder nacheinander glücklich mache. Darum, so die einstigen Garagenbastler, gehe es doch allen Eltern: um Glücksmomente der Kinder. Natürlich nicht nur beim Radfahren – aber eben auch.

Das klinge nach wenig – sei tatsächlich aber immens viel. Und genau deshalb auch der Kern der Woom-Philosophie: "Wir wollen nicht die Größten sein – aber die bei Kindern beliebtesten." (Thomas Rottenberg, 10.11.2020)