Die Aussicht auf einen wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 ist ein Lichtblick in Zeiten der sich zuspitzenden Pandemie in Europa – doch eine Reihe von Fragen ist offen.

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Am Montag meldeten die Pharmafirmen Biontech und Pfizer einen wichtigen Durchbruch bei ihrem Impfstoff BNT162b2. Nach bisherigen Auswertungen der Phase-3-Studie sei das Vakzin zu mehr als 90 Prozent wirksam, was von unabhängigen Experten übereinstimmend als großer Erfolg beurteilt wird. Bei einigen Wissenschaftern und auch an der Börse hat die Nachricht sogar Euphorie ausgelöst. Doch bis der Impfstoff in ausreichendem Maß vorliegt und bei den Menschen ankommt, sind noch etliche Hürden zu nehmen. Ein Überblick, wie es nun weitergeht.

Frage: Welche offenen Fragen gibt es noch rund um die Wirksamkeit des Impfstoffs von Biontech/Pfizer?

Antwort: Das sind gar nicht so wenige. Unklar ist etwa die Altersstruktur jener Probanden, bei denen der Impfstoff Wirkung bzw. eben keine Wirkung zeigte. Diese Daten wären insbesondere wichtig, um zu wissen, ob damit auch die von Corona besonders betroffene Risikogruppe der älteren Menschen geschützt wird. Man weiß außerdem noch nicht, wie lange die Wirkung des Impfstoffs anhält und ob er auch vor einer Infektion oder nur vor einer Erkrankung schützt.

Frage: Was ist der Stand des Zulassungsverfahrens?

Antwort: Die beiden Firmen wollen nächste Woche das Zulassungsverfahren in den USA und vermutlich auch in Europa offiziell beantragen, Daten werden bereits in Form eines "Rolling Review" laufend übermittelt. Bis nächste Woche sollen die Daten nicht mehr nur von 94, sondern von 164 Probanden vorliegen, die sich infizierten und bei denen zu klären ist, aus welcher Gruppe (echter Impfstoff oder Placebo) sie stammten. Außerdem muss man abwarten, bis die Hälfte der rund 20.000 Personen, die den echten Impfstoff erhielten, eine Nachbeobachtungszeit von zwei Monaten absolviert haben.

Frage: Wie lange kann das Zulassungsverfahren dauern?

Antwort: Das hängt von den Studienergebnissen ab und davon, wie schnell die Zulassungsbehörden tatsächlich prüfen können. Klar ist, dass es sich um eine sogenannte Notfallzulassung handeln wird. Das kann auch sehr zeitnah geschehen. Der in den USA tätige Virologe Florian Krammer rechnet damit, dass zumindest in den USA ein oder mehrere Impfstoffe bis Ende des Jahres auf dem Markt sein werden.

Frage: Wird der Impfstoff von Biontech/Pfizer danach noch weiter überprüft?

Antwort: Ja, zumindest zwei Jahre lang, und zwar sowohl hinsichtlich seiner Sicherheit wie auch hinsichtlich seiner Wirksamkeit, die mit der Zeit abnehmen könnte.

Frage: Wie viel von dem Vakzin von Biotech/Pfizer wird zur Verfügung stehen?

Antwort: Laut den Angaben von Biontech und Pfizer werden das bis Ende 2020 "nur" 50 Millionen Dosen sein, bis Ende 2021 dann 1,3 Milliarden, wobei pro Immunisierung zwei Dosen nötig sind, die im Abstand von drei Wochen injiziert werden. Das Erstaunliche dabei: Biontech als eigentlicher Erfinder und Entwickler besitzt die nötige Infrastruktur zur Herstellung und ist nicht auf Pfizer angewiesen.

Frage: Gibt es besondere logistische Herausforderungen bei der Verteilung des Impfstoffs?

Antwort: Ja. Der Impfstoff muss langfristig bei minus 80 Grad Celsius gelagert werden, was insbesondere bei der Verteilung in ärmeren Ländern Probleme machen könnte. Die meisten Uni-Kliniken und modernen Krankenhäuser verfügen aber über solche Kühlmöglichkeiten. Die gute Nachricht ist, dass zumindest für die letzten fünf Tage vor der Verimpfung eine Lagerung im normalen Kühlschrank ausreicht. Im Dezember sollte laut Biontech-Chef Uğur Şahin dann klar sein, ob dieser Zeitraum bis zu zwei Wochen betragen kann.

Frage: Was weiß man über den Preis des Impfstoffs?

Antwort: Die USA haben 100 Millionen Dosen des Impfstoffs geordert und zahlten dafür 1,95 Milliarden Dollar – mit der Option auf weitere 500 Millionen Dosen. Da die Impfung aus zwei Teilen besteht, macht das umgerechnet rund 33 Euro pro Immunisierung. Es ist davon auszugehen, dass die Impfung in weniger reichen Ländern günstiger sein wird. Die EU wollte 300 Millionen Dosen ordern, ein Vertrag wurde heute abgeschlossen.

Frage: Wie sieht es mit der möglichen Zulassung anderer Impfstoffe gegen Covid-19 aus?

Antwort: Derzeit sind weltweit über 220 Impfstoffkandidaten in Entwicklung. Davon werden 68 bereits am Menschen getestet, elf davon sind in der letzten klinischen Prüfungsphase 3. Kurz vor Abschluss dieser Phase steht neben Pfizer/Biontech unter anderen der Impfstoff von Astrazeneca und jener des US-Unternehmens Moderna, dessen Vakzin so wie das Produkt von Pfizer/Biontech ein sogenannter mRNA-Impfstoff ist. Ebenfalls sehr weit ist der Kandidat des chinesischen Pharmakonzerns Sinovac.

Frage: Warum wurden die Tests mit diesem chinesischen Impfstoff in Brasilien nun gestoppt?

Antwort: Aufgrund einer "schwerwiegenden Nebenwirkung", so die brasilianische Gesundheitsbehörde Anvisa am Montag. Zu dieser sei es am 29. Oktober gekommen. Zu Ort und Art der Nebenwirkung wurden keine Angaben gemacht. Das brasilianische Forschungsinstitut Butantan, das die Studien durchführt, sprach von einem Todesfall. Dieser habe aber nichts mit dem Impfstoff zu tun gehabt.

Frage: Wie ist der Stand der Dinge beim russischen Sputnik-5-Impfstoff?

Antwort: Der Sputnik-5-Impfstoff wurde in Russland schon im August offiziell registriert. Ab 1. Jänner 2021 soll er der Bevölkerung zur Verfügung stehen. Russlands Präsident Putin nannte ihn "sicher und nebenwirkungsfrei" und behauptete kurz nach der Ankündigung der Pharmakonzerne Pfizer und BionTech, dass Sputnik-5 ebenfalls zu über 90 Prozent effektiv sei. Eine Phase-3-Studie ist bisher aber noch nicht abgeschlossen, die Daten stammen von bereits geimpften Personen und nicht aus klinischen Studien. Sprich: Wie gut dieser Impfstoff tatsächlich schützt und welche Nebenwirkungen er haben kann, ist derzeit unklar.

Frage: Hat Österreich bzw. die EU Verträge mit Biontech/Pfizer?

Antwort: Ja, seit Dienstag: Die EU-Kommission hat ihren Vertrag zur Lieferung des Impfstoffs von Biontech und Pfizer fertig ausgehandelt. "Die Verhandlungen mit der Pharmaindustrie sind abgeschlossen", bestätigten Kommissionskreise am Dienstag, "der Vertrag ist in trockenen Tüchern." Vorverträge gibt es unter anderem auch mit Astrazeneca/Oxford. Für Österreich sind im Zuge dessen bisher sechs Millionen Impfdosen reserviert, die für drei Millionen Bürger reichen würden. Sinnvollerweise sollten alle Menschen über zwölf Jahren geimpft werden. Dafür bräuchte es bei aktuellem Bevölkerungsstand rund 15,7 Millionen Impfdosen. Ziel sei es über das EU-Beschaffungsprogramm ausreichend Impfdosen für alle Bürger zu beschaffen, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.

Frage: Gibt es einen ungefähren Zeitplan, wann der Impfstoff von Biontech/Pfizer – oder ein anderer – in Europa bzw. Österreich zur Anwendung kommen wird?

Antwort: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) zeigt sich "optimistisch, dass wir tatsächlich eine gute Chance haben, dass im ersten Quartal 2021 die ersten Lieferungen von Impfdosen nach Österreich gelangen und damit schrittweise das Risiko von Covid-19 verringert wird". Die Impfstoffexpertin Christina Nicolodi hofft ebenfalls auf die ersten Impfungen Ende März. Alle Impfstrategien sehen vor, zunächst das Gesundheitspersonal zu immunisieren.

Frage: Hat man in Österreich schon entschieden, wie ein Corona-Impfstoff verteilt werden soll?

Antwort: Nein, konkrete Festlegungen, welchen Bevölkerungsgruppen Priorität eingeräumt werden soll, gibt es noch nicht. Laut Gesundheitsministerium arbeitet das nationale Impfgremium derzeit "intensiv an einer Impfstrategie basierend auf möglichen unterschiedlichen Zielgruppen". Der Beschluss, welche Zielgruppe dann wann geimpft wird, hänge davon ab, welche Impfstoffe "mit welchen Eigenschaften und welcher Wirksamkeit" letztlich zur Verfügung stehen. Begonnen werden soll mit den Impfungen aber dort, "wo das größte persönliche und systemische Risiko besteht", heißt es aus dem Ministerium.

Frage: Ist man in Österreich damit anderen europäischen Staaten hintennach?

Antwort: Ja. In Deutschland zum Beispiel hat die Ständige Impfkommission zusammen mit der Wissenschaftsakademie Leopoldina und der Ethikkommission bereits am Montag beschlossen, dass zuerst Pflegekräfte und Ärzte und dann Menschen aus Risikogruppen – Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen – immunisiert werden.

Frage: Ist dieser Rückstand Österreichs ein Problem?

Antwort: Offenbar. Die unabhängige Impfstoffexpertin Nicolodi kritisiert, dass eine solche Festlegung in Österreich bisher fehlt. Sie habe bereit vielfach an die Verantwortlichen appelliert, hier nicht zu viel Zeit verstreichen zu lassen. Nicolodi schlägt vor, den zu Beginn wohl nur in relativ geringen Mengen zur Verfügung stehenden Impfstoff in einem ersten Schritt Angehörigen systemrelevanter Berufe wie Ärzten und Pflegekräften, Angehörigen des Sicherheitsapparats und des Bildungssystems zu geben. Danach stünden die von Corona besonders gefährdeten älteren Jahrgänge "oder aber die wirtschaftlich aktiven Menschen zwischen 18 und 65 Jahren" zur Wahl. Die Expertin würde in diesem zweiten Schritt letzteren den Vorzug geben: Die Immunisierung der Erwachsenen jüngeren und mittleren Alters schütze die Älteren im Endeffekt besser.

Frage: Wird in Österreich eine Corona-Impfpflicht kommen?

Antwort: Nein. Gesundheitsminister Anschober hat auch bereits mehrmals klar ausgeschlossen, dass eine solche eingeführt wird. (Irene Brickner, Ricarda Opis, Johannes Pucher, Klaus Taschwer, 10.11.2020)