Das deutsche Biotechnologieunternehmen Biontech könnte mit einem neuen Impfstoff zum Corona-Bezwinger werden.

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Bion... was? Das fragten sich bis vor kurzem viele, wenn die Rede auf Biontech kam. Das deutsche Biotechnologieunternehmen, das ausgeschrieben "Biopharmaceutical New Technologies" heißt, ist spätestens seit Bekanntgabe von erheblichen Fortschritten bei der Entwicklung eines gut verträglichen Impfstoffs gegen Covid-19 in vieler Munde.

Biontech ist 2008 von dem Wissenschafterehepaar Uğur Şahin (sprich: U’ur Schahin) und Özlem Türeci (sprich: Türedschi) gegründet worden. Von Anfang an mit dabei war auch ein gebürtiger Wiener: Christoph Huber. Alle drei sind Mediziner, alle drei hat der Zufall in Mainz zusammengeführt, alle drei sind auch zwölf Jahre nach Gründung des Unternehmens noch mit an Bord.

Gründer mit Migrationshintergrund

Şahin (54), der einer Gastarbeiterfamilie aus dem Süden der Türkei entstammt und mit vier Jahren nach Deutschland kam, ist Vorstandschef von Biontech; Türeci (53), Tochter eines aus Istanbul nach Deutschland emigrierten Mediziners, ist als Chief Medical Officer sozusagen die Chefärztin in der Vorstandsetage. Und der Österreicher Huber (76), ein Pionier der Krebsforschung und viele Jahre Ordinarius für Innere Medizin sowie Leiter der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Mainz, ist nach wie vor im Aufsichtsrat des Unternehmens vertreten. Und ebendort, in der beschaulichen Hauptstadt von Rheinland-Pfalz, Mainz, befindet sich unweit der Altstadt und des Geburtshauses des berühmtesten Sohnes der Stadt, Johannes Gutenberg, der Unternehmenssitz von Biontech.

Das Wissenschafterpaar Uğur Şahin und Özlem Türeci hat die Firma Biontech 2008 in Mainz gegründet.
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Im Jänner habe er in der britischen Fachzeitschrift Lancet zum ersten Mal über das unbekannte Virus und den Ausbruch in der chinesischen Stadt Wuhan gelesen, ließ Şahin das Manager Magazin wissen. Daraufhin habe er zu seiner Frau Özlem gesagt: "Im April sind bei uns die Schulen dicht." Damit lag Şahin freilich falsch. Alles ging viel schneller.

Krebsimmuntherapien und mehr

Mit Biontech hingegen scheinen Şahin und Türeci goldrichtig zu liegen. Zunächst konzentrierte man sich bei Biontech auf Technologien und Medikamente für individualisierte Krebsimmuntherapien. Das Startkapital kam überwiegend von den Zwillingsbrüdern Andreas und Thomas Strüngmann. Das Gründerteam und die aus der Tegernsee-Gegend stammenden Investoren kannten sich bereits von der Mainzer Firma Ganymed – auch sie eine Gründung von Şahin und Türeci. In Ganymed steckt ebenfalls Geld der Zwillingsbrüder aus Oberbayern. Diese wissen, wie Pharma geht. Die Strüngmann-Brüder haben das Unternehmen Hexal in Holzkirchen (bei München) aufgebaut, das zum zweitgrößten deutschen Hersteller von Nachahmerpräparaten nach Ratiopharm aufsteigen sollte.

2005 verkauften sie Hexal für 5,6 Milliarden Euro an den Schweizer Pharmakonzern Novartis. Vom Geschäft mit Medikamenten wollten sie aber nicht lassen. In den vergangenen Jahren steckten die Brüder über ihre Beteiligungsgesellschaft Athos rund 1,3 Milliarden Euro in Biotechfirmen. Allein in die Mainzer Biontech flossen knapp 260 Millionen.

Gang an die Technologiebörse Nasdaq

Im Oktober 2019 erfolgte die Erstnotiz von Biontech an der US-Technologiebörse Nasdaq. Noch mehr Geld kam ins Unternehmen. Athos-Chef Helmut Jeggle, der auch Aufsichtsratschef von Biontech ist, sagte der Welt, hinsichtlich der Forschungsqualität könne Deutschland zwar im internationalen Vergleich mithalten. Aber nur in den USA gebe es solche Finanzierungsmöglichkeiten und genügend Interesse und Verständnis von Investoren, die sich auf diese sehr innovativen Technologien spezialisiert haben. Kurz vor dem Börsengang hat auch die Gates-Stiftung von Microsoft-Gründer Bill Gates und dessen Frau Melinda umgerechnet rund 50 Millionen Euro in Biontech gesteckt.

Mitte Jänner 2020 schließlich, als das Coronavirus noch eine auf China beschränkte Bedrohung zu sein schien, startete Biontech das Projekt "Lightspeed" (Lichtgeschwindigkeit) zur raschen Entwicklung eines gut verträglichen, potenten Impfstoffes gegen Sars-CoV-2. Dieses basiert auf der Boten-RNA-Technologie (mRNA), bei der Moleküle als Informationsträger zur Stimulierung des Immunsystems genutzt werden.

Kooperation mit Pfizer

Wie in anderen Bereichen setzt das Mainzer Unternehmen auf Kooperationen. Gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer will es den Impfstoff zunächst in den USA und Europa entwickeln, während es für China eine Zusammenarbeit mit Fosun in Schanghai eingegangen ist. Beide Konzerne beteiligten sich finanziell an den hohen Entwicklungskosten. Weitere Mittel erhielt Biontech von der deutschen Regierung, der das Unternehmen im Gegenzug die Zurverfügungstellung von Impfdosen als Option zugesagt hat.

An der Goldgrube 12 lautet die Anschrift von Biontech in Mainz.
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So vielversprechend ein Impfstoff sein mag, bis zur Markteinführung kostet er nur. Biontech beschäftigt inzwischen zwar über 1300 Mitarbeiter, verdient aber noch kein Geld: 2019 hat das Unternehmen bei einem Umsatz von knapp 109 Millionen Euro einen Verlust von fast 180 Millionen Euro geschrieben. Der Grund: Biontech hat noch kein einziges Medikament auf dem Markt, dafür diverseste Produktkandidaten in klinischen Studien. Das Hauptaugenmerk gilt jetzt aber den Impfstoffkandidaten gegen Covid.

Produktion schon angelaufen

Parallel zur Forschung an einem Vakzin und noch vor Zulassung desselben hat Biontech massiv in den Ausbau der Produktionskapazitäten investiert. Von der Schweizer Novartis hat das Unternehmen die biotechnische Produktionsanlage in Marburg übernommen. Biontech will sie zur größten europäischen Fertigung von gentherapeutischen Impfstoffen ausbauen. Laut Plan sollen dort bis zu 750 Millionen Dosen des Impfstoffs hergestellt werden, im ersten Halbjahr 2021 sollen es 250 Millionen sein. Bis das Werk umgerüstet ist, wird Biontech erste Dosen in bestehenden eigenen Anlagen sowie in den Werken des US-Partners Pfizer herstellen. Bis Jahresende will man so auf 100 Millionen Dosen kommen.

In Mainz residiert Biontech an der Adresse "An der Goldgrube 12". Sollte der Mainzer-Marburger Impfstoff tatsächlich wie von vielen erhofft den Siegeszug antreten, wäre das auch für die vielen Aktionäre von Biontech eine gute Nachricht. Und für das Gründerehepaar, das noch immer 18 Prozent am Unternehmen hält, auch. Der Aktienkurs von Biontech hat sich seit vergangenem März bereits mehr als verdreifacht. Das junge Unternehmen ist inzwischen gut 20 Milliarden Dollar (gut 17 Milliarden Euro) wert und damit drei- bis viermal so teuer wie die Lufthansa oder die Commerzbank.

EU-Kommission fixierte Verträge

Und der Aktienkurs dürfte weiter steigen. Die EU-Kommission hat am Dienstag bekanntgegeben, einen Vertrag zur Lieferung des Covid-Impfstoffs von Biontech und Pfizer fertig ausverhandelt zu haben.

(Günther Strobl, 10.11.2020)