Christoph Feurstein moderierte auch das "Thema" zum Terroranschlag am Montag.

Foto: Screenshot ORF-TVthek

Das ORF-Chronikmagazin "Thema" widmete sich am Montagabend möglichen Folgen der Videos vom Terroranschlag in Wien in sozialen Medien und auf Newsportalen. Den Beitrag illustrierten Ausschnitte von Handyvideos vom Schwedenplatz, der Seitenstettengasse mit Schüssen, dem berühmt gewordenen Ruf "Oaschloch" (und "Motherfucker") eines Anrainers und panisch flüchtenden Menschen. Die Videos lösten neuerliche Diskussionen auf Twitter aus.

Retraumatisierung könnten die Bilder bei Betroffenen auslösen, lautet etwa ein Vorwurf an die "Thema"-Redaktion und den ORF. Das Chronikmagazin zeigte nicht jene Erschießungsvideos, die "Oe24" und krone.at am Abend des Anschlags gebracht hatten.

"Niemand wurde mit diesen Bildern alleine gelassen"

DER STANDARD ersuchte über die ORF-Kommunikation die "Thema"-Redaktion um Stellungnahme zur Frage, warum sie diese Videos zum Beitrag brachte, und nach den Überlegungen dahinter.

  • Update: Sendungschefin Andrea Puschl über die Sendung:"Thema hat am 9. November in vier Beiträgen über den Anschlag in Wien berichtet. Im größten Teil der Sendung kamen die Zeugen, die Helfer und die Helden der Terrornacht zu Wort. Ein Beitrag beleuchtete den Hintergrund des Täters, einer die psychischen Langzeitfolgen. Im letzten Beitrag stellten wir uns die Frage: was machen die schrecklichen Bilder, die in der Tatnacht in den Social Media gepostet, geteilt und auch in Privatsendern gezeigt wurden, mit jungen Menschen? Um unseren ZuseherInnen, die nicht auf Social Media sind, einen Eindruck zu geben, haben wir uns entschieden, fünf kurze Einstellungen in der Gesamtlänge von 20 Sekunden – selbstverständlich ohne Täter und Opfer – zu zeigen. Genau diese Bilder wurden auch von ExpertInnen im Beitrag analysiert – niemand wurde mit diesen Bildern alleine gelassen. Wir bedauern, sollte sich jemand durch den Beitrag verletzt fühlen. Weder über den ORF-Kundendienst noch die ORF-Social-Media-Kanäle hat uns diesbezügliche Kritik am Beitrag erreicht."

"Keine Videos mit dem Täter"

ORF-Fernseh-Magazinchefin Waltraud Langer begegnete Kritik auf Twitter mit: "Empfehle, einfach die Sendung anschauen. Viele Zeugen, Helfer, Expertinnen kamen zu Wort. Keine Videos mit dem Täter. Verstehe extrem gut, wie nah das Ereignis geht. Alles andere wäre unverständlich."

Der Beitrag referierte Werbestopps kommerzieller Kunden als Reaktion, befragte den Geschäftsführer des Presserats zum Negativrekord von 1.500 Beschwerden über die Videos. Der Medienexperte und -berater Peter Plaikner erklärte dazu in "Thema", die kommerziellen Werbestopps "könnten ein Signal für die öffentliche Verwaltung sein, dass Medien, die permanent gegen ethische Regeln des Journalismus verstoßen, auch nicht mehr vom Staat subventioniert werden". Wahrnehmbar ins Bild kam in dem Beitrag dazu nur "Oe24", nicht aber die "Krone".

Abgleichen mit Schreckensbildern im Kopf

Im Beitrag erklärte ein Jugendlicher seine entsetzte Wahrnehmung der Videos auf Social Media, die manche allein für Clicks und Likes online stellten. Die Psychologin Caroline Culen von der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit berichtete, ihr hätten Jugendliche erklärt, es sei für sie wichtig gewesen, reale Bilder vom Anschlag zu sehen, um sie mit den "schrecklichen Bildern" in ihrem Kopf abzugleichen. Sie seien geradezu "erleichtert" gewesen, dass "auf den Videos nicht so viel zu sehen" war, wie sie sich vorgestellt hätten. (fid, 10.11.2020)