Bereits im Frühjahr 2020, noch bevor er zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde, legte Joe Biden in einem Artikel in "Foreign Affairs" dar, wie denn seiner Meinung nach die US-Außenpolitik nach dem Abgang Donald Trumps zu "retten" sei. Damit meinte der – wenn es mit rechten Dingen zugeht – nächste US-Präsident, dass der internationale Einfluss und die politische Glaubwürdigkeit der USA, die in den vergangenen Jahren schwer gelitten hätten, erst wiederhergestellt werden müssten: Trump habe alte Verbündete verunsichert und Gegner ermutigt, die USA hätten ihre Führungsrolle eingebüßt, schrieb Biden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Sieg von Joe Biden ist nicht überall Anlass zur Freude.
Foto: AP Photo/Carolyn Kaster

Also zurück zur Zeit vor Trump? Lässt man die Perspektive des europäischen politischen Mainstreams einmal weg, wird man rasch auf etliche Staaten stoßen, die dieser Vorstellung nicht viel abgewinnen können. Israel gehört dazu oder auch Saudi-Arabien. Der Sieg von Barack Obamas Vizepräsident, als welcher Biden dort primär gesehen wird, ist nicht überall Anlass zur Freude. Die Saudis etwa, die sich erst sehr spät zu einer Gratulation durchringen konnten, kommen in Bidens "Foreign Affairs"-Artikel nicht als "alte Verbündete" vor – was sie, ganz gleich, wie man das bewertet, sind –, sondern als Fall für eine überfällige Politikkorrektur der USA.

Keine Kehrtwende

Die nahende Präsidentschaft Bidens wird also da und dort etwas Nervosität verursachen – aber auch nicht zu sehr. Biden wird manche Elemente der Trump-Politik still weiterführen: Nie im Traum etwa würde es ihm einfallen, die Normalisierung zwischen Israel und den arabischen Staaten stören zu wollen. Und für diese Politik braucht er Saudi-Arabien. Biden wird mit Sicherheit andere Methoden anwenden, um seine Ziele zu erreichen. Aber er wird keine Kehrtwende vollziehen, auch nicht in der Iran-Politik, wo er eine US-Rückkehr in den Atomdeal als möglich bezeichnet – und gleichzeitig Bedingungen stellt, die sie unwahrscheinlich machen.

Was sich die meisten Staats- und Regierungschefs weltweit von Biden versprechen, ist die Wiederkehr der Normalität. Auch bei Konflikten, die unter Biden nicht nur nicht verschwinden werden, sondern sich sogar verschärfen könnten – Stichwort China –, trägt Berechenbarkeit zur Stabilität bei. Trump hatte nun vier Jahre Zeit, seine "disruptive" Politik auszuprobieren, bei der man selten wusste, ob eine Strategie oder einfach nur seine erratische Persönlichkeit dahinterstand. Es wird Zeit für ruhigere Fahrwasser.

Zur geopolitischen Normalität gehört auch der Multilateralismus, den Trump zutiefst verachtet hat und der unter Biden wieder zum US-Politikinstrumentarium werden wird. Wie er die Krise der diversen Abrüstungsverträge bewältigen wird, steht in den Sternen. Aber immerhin, Multilateralismus hat ja verschiedene Manifestationsformen, dazu gehört das Klimaabkommen, eine Priorität Bidens, genauso wie das Militärbündnis Nato. In Brüssel muss man nun immerhin nicht mehr befürchten, dass der US-Präsident mit dem Austritt droht, wenn er schlecht geschlafen hat. (Gudrun Harrer, 11.11.2020)