Geschlossene Schulen verursachen Kosten – bildungsmäßige, psychologische, soziale und ökonomische. Jeder Monat schlägt sich individuell und gesellschaftlich negativ nieder.

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Sie haben den Startschuss für einen erbitterten Kampf um die Schulen in Corona-Zeiten gegeben: Jene vier Wissenschafter (ein Mathematiker, ein Informatiker, zwei Physiker), die am Montag die sofortige Schließung aller Schulen gefordert hatten, sahen sich am Dienstag einer immer breiteren Front an Gegnern einer Schultotalsperre gegenüber – darunter unter anderen der Katholische Familienverband und die Kinderfreunde Oberösterreich.

Zuvorderst gab es von medizinischer Seite fachliche Einwände. Corona-Experte Bernd Lamprecht etwa, Leiter der Klinik für Lungenheilkunde am Keplerklinikum Linz, sagte im STANDARD-Interview: "Bisherige Beobachtungen legen nahe, dass Kinder anders als bei Influenza nicht eine so bedeutende Rolle in der Infektionskette spielen. Solange es die Infektionszahlen und die Stabilität des Gesundheitswesens erlauben, ist die Öffnung der Schulen für die Unterstufe zweifellos von Vorteil für den schulischen Lernerfolg und für das in dieser Altersgruppe so bedeutsame soziale Lernen." Erst wenn die Effekte eines "differenzierten Lockdowns" nicht ausreichten, "wären Nachschärfungen in allen Lebensbereichen notwendig und gerechtfertigt".

Fragt doch mal die Kinderärzte!

Ähnlich der Tenor von Thomas Müller, Leiter der Uniklinik für Pädiatrie I in Innsbruck. Ihn würden die mathematischen Modelle hinter den "apodiktischen Aussagen der hochrangigen Wissenschafter, die sicher rechnen können, das zweifle ich nicht an", interessieren, "aber es wäre ganz gut, wenn man auch mit Kinderärzten sprechen würde und die Annahmen der Modellierungen diskutieren könnte."

Was also tun mit den Schulen aus kinderärztlicher Sicht? "Die Fachgesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde ist gegen Schulschließungen", sagt der Pädiater: "Erst wenn alle anderen Maßnahmen nicht ausreichen, muss man selbstverständlich auch an diese Maßnahme denken." Bevor man Schulen flächendeckend schließe, sollten die Klassen verkleinert und geteilt und auf Vormittags- und Nachmittag- oder sonstigen Schichtbetrieb umgestellt werden, dann hätten akut infizierte Schüler im Klassenzimmer quasi nur noch die halbe Angriffsfläche zur Verfügung: "Dann wäre das Risiko schon halbiert", sagt Müller.

Schaut doch mal in die Einkaufszentren!

Generell würden er und die pädiatrische Kollegenschaft "noch Potenziale sehen, um die Pandemie zu bremsen: Das ist die Maskenpflicht ab der Unterstufe – hart, aber besser als kein Unterricht." Beim Stichwort Potenziale blickt Müller aber auch in Richtung Einkaufszentren: "Wie’s da zugeht am Wochenende – das kleine Schuhgeschäft oder die Boutique ist nicht das große Problem. Also bitte nicht als nächste Maßnahme den kompletten Schulschluss! Schulen müssen wirklich die letzte Maßnahme sein." Und das sagt er ganz bewusst mit dem Wissen: "Kinder haben natürlich die schwächste Lobby in diesem System."

Ein Schullockdown lässt sich auch in harte monetäre Zahlen fassen. Das Institut für Höhere Schulen (IHS) hat psychologische, soziale und ökonomische "Kosten von Schulschließungen zur Pandemiebekämpfung" analysiert. Laut IHS-Chef Martin Kocher und IHS-Bildungsexperte Mario Steiner ist es erwiesen, "dass Distance-Learning zu massiv negativen Effekte auf den Kompetenz- und Wissenserwerb der Kinder führt", vor allem Jüngere und Kinder aus benachteiligten Familien seien "stärker negativ betroffen". Die IHS-Experten kommen schließlich auf Basis von Schätzungen "auf einen durchschnittlichen jährlichen Erwerbseinkommensverlust aller betroffenen SchülerInnen von 100 bis 200 Euro pro Monat eines Schullockdowns". Daraus ergebe sich je nach konkreten Annahmen "ein Verlust von über zwei Milliarden Euro (0,5 Prozent des BIPs) oder mehr pro Schullockdownmonat". Darin inkludiert sind auch höhere Kosten für Arbeitslosigkeit, die noch zusätzliche soziale Kosten impliziere.

Hört doch mal auf die Eltern!

Ebenfalls negativ zu Buche schlagen Schulsperren mit Blick auf Betreuungspflichten berufstätiger Eltern, weil deren Produktivität reduziert werde. Vorsichtig geschätzt, entstehen dadurch Kosten in der Höhe von gut einer Milliarde Euro pro Schullockdownmonat. Zusätzliche psychische Kosten bei Kindern, Eltern und Lehrern durch Zusatzbelastungen sind da gar nicht eingerechnet. Ausgehend von diesen hohen Kosten folgern die IHS-Forscher, "dass die Schließung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen die Ultima Ratio in der Pandemiebekämpfung sein sollte". (Lisa Nimmervoll, 10.11.2020)