Angesichts der sich zuspitzenden Corona-Pandemie, die die Menschen bei Strafe einer möglichen schweren Erkrankung dazu zwingt, einander aus dem Weg zu gehen, wirkt die Nachricht von der offenbar guten Schutzwirkung des Biontech-Pfizer-Impfstoffs elektrisierend. Hoffnung kommt auf, dass es in absehbarer Zeit gelingen könnte, das sozial distanzierende Seuchenjammertal zu verlassen – langsam, mit großem logistischem Aufwand und in kleinen Schritten, aber doch.

Nur: Was tun wir bis dahin, bis zu diesem vielbeschworenen Zeitpunkt, an dem die Infektionszahlen unter Kontrolle gebracht wurden, weil bereits genug Menschen durch Vakzine immunisiert werden konnten? Sowie: Was geschieht, sollte sich, wider Erwarten, bis auf weiteres keine Impfung als tauglich herausstellen – und sich der Ausnahmezustand auf unabsehbare Zeit verlängern?

Auch Theater haben trotz Sicherheitskonzept geschlossen.
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Die bisherigen Erfahrungen im politischen Umgang mit der Infektion in Österreich lassen hier Schlimmes befürchten, denn die vergangenen Wochen haben gezeigt: Das Virus profitiert extrem von der kalten und dunklen Jahreszeit, wenn die Menschen in geschlossenen Räumen eng zusammenkommen, sei es aus Notwendigkeit oder weil man in Österreich wie sonst wo in Europa vielfach undiszipliniert ist – ein Zug des Volkscharakters, den die Aussicht auf eine Impfung übrigens weiter schüren könnte.

Massenpädagogische Appelle

Auf diese pandemischen Herausforderungen reagiert die Bundesregierung mit einer Mischung aus massenpädagogischen Appellen und schrittweisen Einschränkungen auf einer nach oben offenen Härteskala. Ihr Vorgehen, das Massenhappenings in Einkaufszentren zulässt, während Theateraufführungen trotz Sicherheitskonzepten untersagt sind, wirkt vielfach wenig konsistent. Weitere Verschärfungen erscheinen derzeit fast unvermeidlich, sogar wenn deren Evidenz unklar ist und sie gleichzeitig großen Schaden anrichten würden – Stichwort: alle Schulen schließen.

Setzt sich dieser Stil fort – und ein Kurswechsel ist derzeit nicht in Sicht –, dürften die hiesigen Lebensrealitäten bis auf weiteres aus einer Aufeinanderfolge von Lockdown-ähnlichen Maßnahmen bestehen, unterbrochen durch kurze Perioden der Lockerungen. Rein in den Keller, raus aus dem Keller: Was das für Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen, auf ihre Einkommenssituation und den Zusammenhalt der Gesellschaft hat, ist unabsehbar. Und die Regierenden kämen dadurch noch weiter in die Rolle der missliebigen Obrigkeit.

Was aber anders machen? Hier böten sich Maßnahmen im Sinne von mehr Transparenz an. Etwa bei der Datenlage, die, was die tägliche Infektionsentwicklung angeht, immer noch von unterschiedlichen Informationen geprägt ist. Auch bundesweit koordinierte Mikrostrategien, etwa zum Schutz von Alten- und Pflegeheimen, wären sinnvoll. Und nicht zuletzt sollten einschränkende Maßnahmen schon im Vorfeld so gestaltet sein, dass die Einschränkungen dort stattfinden, wo die Infektionsgefahr am größten ist – und nicht dort, wo es am einfachsten geht oder der Widerstand am geringsten ist.

Das würde die Einsicht stärken, dass wir in der Corona-Krise alle im selben Boot sitzen. Und es würde das Vertrauen in die Politik stärken. Dieses werden wir sehr brauchen, wenn die Impfung einmal da ist und es um die Bereitschaft vieler Menschen gehen wird, sich für eine Immunisierung zu entschließen. (Irene Brickner, 10.11.2020)