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Lernen auf Distanz kann auch viele Vorteile haben. Schüler der Oberstufe werden ihre Lehrer zumindest in den nächsten Wochen nur über den Bildschirm sehen.

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Schüler der Oberstufe absolvieren seit letzter Woche wieder ihren Unterricht zu Hause. Kein neues Szenario, man kennt das ja bereits vom Frühjahr. Die Frage ist nun: Sind diesmal Lehrer und Schüler besser vorbereitet und ausgestattet? Geht jetzt wirklich etwas weiter im Unterricht? Trotz der Distanz? Oder kämpft man sich noch immer durch technische Probleme? Trifft auf unorganisierte Lehrer oder abwesende Schüler?

Ein Blick in einige Elternforen reicht, um festzustellen, dass Homeschooling bei vielen Familien nicht so reibungslos abläuft, wie sie es erhofft hatten: "Neulich saß mein 15-Jähriger wieder 40 Minuten mit den anderen Schülern vor dem leeren Bildschirm, weil die Lehrer es nicht geschafft haben, die Gruppen einzurichten oder die Moderation zu machen. Das ist absurd – nach den Erfahrungen des Frühjahrs", schreibt eine Wienerin auf Facebook.

Mit solchen Erfahrungen ist sie offenbar nicht allein. Denn abgesehen davon, dass viele Eltern im Lockdown 2.0 nicht mehr wissen, wie sie Homeschooling und Job unter einen Hut bekommen, sind sie verärgert darüber, dass nicht zumindest die Schulen durch bessere Organisation des Distance-Learnings für Entlastung sorgen.

Einige haben außerdem Bedenken, dass ihre Teenager das Thema Schule überhaupt noch ernst nehmen, wie ein User im STANDARD-Forum schreibt:

Teenager schwer zu motivieren

Die Befürchtung, dass Jugendliche nach einer langen Phase des Distance-Learnings verloren gehen, hat auch Johannes Bauer, Direktor des Bundesgymnasiums in der Wasagasse in Wien. Die Pädagogen konnten in den letzten Monaten deutlich spüren, dass die Motivation der Schüler bei Fernunterricht nur mit ganz viel Kraft aufrechtzuerhalten ist. "Dabei haben wir an unserem Standort sehr engagierte Schüler, die meisten aus einem sozioökonomisch stabilen Haushalt", sagt er. Viele hätten aus dem Frühjahr ganz einfach die Erfahrung abgespeichert, dass ohnehin nicht mehr viel aus dem Schuljahr wird und man einfach das Beste daraus macht. Deswegen ist Bauer am Übergangstag letzte Woche noch einmal in jedes Klassenzimmer gegangen. Er hat den Schülern ins Gewissen geredet. Erklärt, wie wichtig es ist, auch zu Hause eine Struktur aufrechtzuerhalten: "Zieht auch an, frühstückt was, und setzt euch dann vor den Laptop, so als würdet ihr in die Schule gehen", hat er ihnen gesagt.

Ob die Worte des Schulleiter etwas gebracht haben? Zumindest scheinen die Eltern an diesem Standort zufrieden mit der Abwicklung des Digital-Unterrichts: "Die Lehrer waren in den letzten Monaten immer bemüht und in ständiger Kommunikation mit den Schülern und auch uns Eltern", sagt eine Mutter. Während der Corona-Krise wurden sogar zwei Fragebögen an Lehrer, Schüler und Eltern ausgehändigt und diese gemeinsam mit dem Sozialforscher Christoph Hofinger vom Sora-Institut ausgewertet. "Die Idee war von einer Kollegin – und es war eine gute Idee", sagt Bauer. Durch die Befragung wurde etwa schnell sichtbar, dass Schichtbetrieb in den Klassen bei weitem nicht so effizient ist wie Homeschooling. Doch dem Schulleiter geht es nicht nur um Effizienz: "Uns ist der mentale und emotionale Status eines Schülers genauso wichtig wie sein viraler." Wenn Lehrer etwa merken, dass Schüler immer wieder im Distance-Learning fehlen oder nicht mehr gut erreichbar sind, dann wird in erster Linie Hilfe angeboten statt gedroht. Die Schüler sollen das Gefühl haben, dass die Lehrer auch von der Ferne ein offenes Ohr haben.

Eine Schule, in der es klappt

Auch auf den zweiten Lockdown hat sich die Schule bestens vorbereitet, weshalb der Umstieg auf Distance-Learning letzte Woche für alle Beteiligten reibungslos ablief. "Unsere Informatiker verbringen schon seit Monaten viele Stunden damit, immer wieder neue Lösungen für neue Gegebenheiten zu finden", sagt Bauer. Lehrer wurden bereits zum Schulstart intensiv auf Onlineunterricht mit den Programmen MS Teams und One-Note geschult – und zwar von drei Kollegen aus dem IT-Team. "Meine Kollegen saßen viele Nachmittage in Kleingruppen zusammen und haben gelernt", sagt er. Zeitgleich hat das Team für alle Klassen und Fächer MS-Teams-Gruppen angelegt und erfragt, wer einen Laptop für zu Hause braucht.

"Arbeitsverweigerer" gab es da in seinem Team nicht. Sicher sei der Umstieg auf Fernunterricht für einige Lehrer schwieriger gewesen als für andere – einige hatten nicht einmal WLAN zu Hause –, doch genau hier hat Bauer versucht, emphatisch zu bleiben und mit möglichst viel Ruhe an die Sache heranzugehen: "Das ist wie eine neue Sportart, die man lernen muss: Da gehört erst einmal ein gutes Mentaltraining dazu." Für ihn stand also an erster Stelle, die Lehrer so weit zu motivieren, dass sie diese neue "Sportart" auch wirklich lernen wollen. Natürlich kam es auch vor, dass Eltern um 8 Uhr früh bei ihm in der Direktion anriefen, verärgert, weil sie mit ihren Kindern vor dem PC sitzend auf den Lehrer warteten. "Ich sage in solchen Situationen immer: Wir sind alle Menschen, die von den aktuellen Ereignissen belastet sind. Wenn ich als Chef jetzt hergehe und hart durchgreife, würde das unmittelbar zum Zusammenbruch einiger Lehrer führen. Auch wir sind keine Wunderwuzzis."

Auch an der Vienna Business School Akademiestraße mit insgesamt 900 Schülern scheint der Zusammenhalt unter den Lehrern der Schlüssel zum Erfolg zu sein. "Ein IT-Koordinator erstellte Instruktionsvideos, bei technischen Fragen unterstützen sich die Kollegen gegenseitig", sagt die Schulleiterin Evelyn Meyer. Kommunikation unter den Kollegen sei ganz wichtig. Um diese auch in Zeiten von Social Distancing aufrechtzuerhalten, gibt es nun eine digitale Kaffeeküche. Einmal täglich in einer großen Pause treffen sich die Lehrer im virtuellen Raum, tauschen sich aus und plaudern.

Die Stimmung scheint gut. Die Umstellung auf Distance-Learning sei ohne große Aufregung über die Bühne gegangen. Von Elternseite hört man hier keine Klagen, aber viel Positives: "Meine Tochter hat zu Hause Unterricht wie im Präsenzunterricht, und alles klappt einwandfrei", sagt eine Mutter auf Nachfrage des STANDARD. Eine andere erzählt: "Jetzt werden etwa mathematische Rechnung über einen geteilten Bildschirm erklärt, und die Schüler diskutieren währenddessen in kleinen Chatgruppen – unserem Sohn gefällt das sogar besser."

Distance-Learning als politische Illusion

Für Meyer ist die Erstellung eines alternativen Leistungsbeurteilungskonzepts momentan die größte Herausforderung: "In den Klassen wurden in diesem Schuljahr bisher etwa zwei Schularbeiten geschrieben – bis Jänner sollen es aber acht sein." Das ist auch ein Thema, das vielen Schülern und Eltern Sorgen bereitet. Wie komme ich zu einer validen Note, wenn sowohl Unterricht als auch Prüfungen nur über den Bildschirm ablaufen? Vonseiten des Ministeriums gibt es bis dato dazu jedenfalls noch keine Idee.

Spannend ist, dass es auch an einer Privatschule zu Engpässen von Laptops kommt. "Manche Schüler teilen sich den Computer jetzt mit Geschwistern oder Eltern. Da mussten wir teilweise das Handy für den Unterricht einsetzen", sagt Meyer. Was viele nämlich nicht wissen: Die immer propagierten Gratis-Endgeräte für Schüler gelten nicht für Privatschulen. "Da werden wir einfach ausgeschlossen, das kann eigentlich nicht sein", so Meyer.

Johannes Bauer, der Gymnasiumsdirektor, spricht genau wie Evelyn Meyer von einem privilegierten Standpunkt aus über das Thema Distance-Learning. In ihrer Schule sitzen zum Großteil Jugendliche aus stabilen familiären Verhältnissen. Und dennoch sind sie sich darin einig, dass gerade in sozial schwachen Familien Distance-Learning eine irrsinnige Belastung sein kann – egal ob Unter- oder Oberstufe. "Es ist eine Illusion der Politiker, zu glauben, dass bei Schulschließungen nicht etliche Kinder und Jugendliche auf der Strecke bleiben", sagt Bauer. (Nadja Kupsa, 12.11.2020)