Der Große Bruder von George Orwells Roman "1984" lässt auch in der Gegenwart grüßen.

Foto: Les Films en Vrac

Es sorgt nicht gerade für Wohlbehagen, wenn man die Dystopien von früher vermehrt im Heute wiedererkennt. Zwei davon stammen von britischen Autoren, deren Wege sich immer wieder kreuzten. Die zwar kaum einstündige, aber prallvolle Dokumentation George Orwell, Aldous Huxley, abrufbar in der Arte-Mediathek, spürt ihnen nach, fördert Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Leben wie im Werk zutage.

Im Buch 1984 erzählte der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Orwell von einer freudlosen, vom Großen Bruder lückenlos überwachten Arbeitergesellschaft, in der das Individuum gnadenlos zermalmt wird. Der Dandy Huxley zeichnete in Schöne neue Welt eine nicht wirklich wünschenswerte Alternative: eine oberflächliche, zur Konformität konditionierte Spaßgesellschaft. Im Verlauf der mit biografischen Details und Gegenwartsbezügen gespickten Dokumentation wird klar, dass man sich hinsichtlich der Plausibilität erst gar nicht für eines der beiden Modelle entscheiden muss. Für beide lassen sich, von der Datenspeicherung über Designerbabys bis zu sozialen Punktesystemen, irritierend viele Belege finden.

Das gilt natürlich auch für das große gemeinsame Thema der beiden Romane: Manipulation der Sprache und Geschichtsfälschung. In einem Ausschnitt, der eine Passage von 1984 aufs Unheimlichste paraphrasiert, erklärt der feiste Redner eines Veteranentreffens: "Was ihr seht und was ihr lest, ist nicht das, was passiert!" Es wird dieser Tage kaum jemanden wundern, wer hier forderte, der Wahrnehmung der eigenen Augen und Ohren zu misstrauen und stattdessen nur auf ihn zu hören: Donald Trump. (Karl Gedlicka, 12.11.2020)