Wahlweise kann man als Mann oder Frau in die Geschichte starten.

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Ein Burger ist ein Burger ist ein Burger. Nun also: mit Wikinger-Dressing. Die Assassin's Creed-Reihe, Ubisofts seit 13 Jahren regelmäßig wiederkehrender Geschichtsunterricht für Videospieler, lädt erneut ins Open-World-Abenteuer nach der patentierten Gameplay-Formel, und eins darf man gleich an den Anfang stellen: Wer sich von Valhalla einfach mehr vom selben populären Actionrollenspiel mit neuer Fassade erhofft hat, wird nicht enttäuscht werden.

Ubisoft

Mit Assassin's Creed: Origins und dem Nachfolger Odyssey wurde der Serie ab 2017 eine neue Richtung gegeben, die nun wohl – wie bei den Vorgängern auch schon der Fall – mit wechselndem Setting so lange iteriert wird, bis irgendwann ob dieser Ideenlosigkeit wieder Verdruss einkehrt. Noch ist es nicht so weit, denn dieser Ausflug ins nordeuropäische Frühmittelalter ist trotz kleiner Schwächen durchaus unterhaltsam geraten.

Wikinger erobern Europa

Der Schauplatz der Handlung ist zuerst Südnorwegen, danach der Osten Englands. Ende des 9. Jahrhunderts siedelten sich hier Wikinger-Invasoren an und trafen sowohl im Kampf als auch in Allianzen mit Angeln, Sachsen und Pikten aufeinander. In Assassin's Creed: Valhalla schlüpfen Spieler in die Rolle von Eivor – je nach Wahl als Wikingerkrieger oder -kriegerin. Die (oder der) ist als kampfstarke Begleiterin Sigurds, eines Prinzen des Rabenklans, wie gewohnt als Mädchen für alles im Einsatz: Als Anführerin bei Raubzügen im Drachenboot erstürmt und beraubt sie mit KI-Begleitung Klöster und Burgen, als einsame Späherin erkundet sie pulsierende Städte wie das frühmittelalterliche London und York, als angehende Assassinin schaltet sie Wachen und Soldaten aus dem Hinterhalt aus und deckt wie in Odyssey Person für Person die große Templerverschwörung hinter den Kulissen auf.

Die Optik gehört bei "Valhalla" sicher zu den größten Stärken.
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In seinen Grundelementen ist Valhalla seinen beiden direkten Vorgängern sehr ähnlich, die Neuerungen finden sich im Detail: der Ausbau der Basis ist so eine, der Fokus auf Raubzüge eine weitere. Die in den früheren Spielen absurd ausufernde Flut an ausrüstbaren Gegenständen wurde radikal eingedämmt, stattdessen ist man mit dem Aufleveln einiger weniger Rüstungen und Waffen beschäftigt. Natürlich gibt es Änderungen am gewohnt riesigen Fertigkeitenbaum, zusätzlich dazu lassen sich spezielle Kampfmanöver in Büchern erlernen, die gut in der Spielwelt versteckt warten.

Eine Welt voller Leben

Wie sich überhaupt die genauere Erforschung der Umgebung lohnt: Statt ausufernder Nebenquests gibt es nun unter dem Titel "World Events" abseits der Kampagnenhandlung eine Vielzahl an kleinen und kleinsten Mini-Missionen, die dazu dienen, der Welt Leben und Charakter einzuhauchen. Diese reichen von ultrabanalen Sammelaufträgen bis hin zu ein paar recht kreativen Kleinstaufgaben, in denen Beobachtungsgabe gefordert ist.

Die große Handlung dreht sich um die Gründung eines Königreichs ebenso wie um die persönliche Geschichte der Heldin, die hier vor moralische Dilemmata gestellt wird. Und es geht um die wiederkehrende Frage nach "guter" Herrschaft und der Verantwortung der Herrschenden gegenüber ihren Untergebenen. Wer um die Vorkommnisse und Skandale weiß, die dieses Jahr Ubisoft generell und die Entwicklung dieses Spiels besonders begleitet haben, darf da durchaus ein wenig die Augenbraue anheben.

Neben der Action warten auch Minigames auf euch, bei denen ihr entspannen könnt.
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Was ist gelungen?

Valhalla bietet wie Origin und Odyssey ein bis in kleinste Details glaubhaft gestaltetes und in Sachen audiovisuelle Präsentation spektakuläres Szenario, das in seiner Inszenierung nicht nur Hobbyhistorikern immer wieder Anerkennung abringt. Auch wenn Norwegen und England auf den ersten Blick nicht die offenkundigen Schauwerte der Pyramiden oder der Akropolis aufzubieten haben, ist diese Welt voll mit beeindruckenden Panoramen, Landschaften und Gebäuden. Die Story der Kampagne, die klugerweise je nach Provinz in Episoden zu mehr narrativer Kohärenz gebündelt wird, verzichtet wie das detaillierte Szenario selbst großteils auf platte Klischees.

Ob man die Entscheidung begrüßt, das gewohnte Sidequest-System durch "World Events" zu ersetzen, ist Geschmackssache: Einerseits erfüllen diese Häppchen die Welt mit Leben, andererseits sind sie nur wenig relevantes zusätzliches Beschäftigungsangebot in einem Spiel, das ohnedies davon nicht zu wenig aufbietet. Genau das ist für viele Fans allerdings auch ein Pluspunkt: Valhalla ist so riesig, dass sich auch ein wochenlanger Winterurlaub in diesem Spiel ausgeht, in dem man sich dank wieder verschärfter Meuchelmord-Mechanik sogar mehr als Assassine fühlen darf als in den letzten beiden Teilen. Auch übermächtige Gegner lassen sich nämlich nun wieder mit genügend Geschick aus dem Hinterhalt erledigen.

Was ist weniger gelungen?

Originalität wird bei Fortsetzungen von Millionen-Blockbustern kaum erwartet, auch hier ist sie nur in Spurenelementen zu finden. Wer sich an Ubisofts Open-World-Freizeitparks schon gründlich sattgesehen hat, braucht auch Valhalla keinen Besuch abstatten, denn das treibt gewissermaßen die Untugenden dieser Blockbusterblaupause auf die Spitze.

Ständige Beschäftigungstherapie, Masse an Aktivitätsangebot statt Klasse, Backtracking, Looten und, ja, auch Grinding gehören zum Konzept. Überdies darf man wieder – optional – echtes Geld im Shop ausgeben, für Waffen, Tiere, Landkarten oder Upgradematerial. Die gerade im späteren Spielverlauf nötigen wiederholten langen Backtracking-Wanderungen lassen sich allerdings dadurch auch nicht verkürzen, ebensowenig wie die schnell mühsam werdende Suche nach versteckten Eingängen, Schätzen und Schlüsseln.

Kämpfe bestreitet ihr zumeist nicht mehr allein, sondern gemeinsam mit eurem Clan.
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Was Spielmechaniken betrifft, ist vor allem der Parkour-Teil gewohnt schwammig geraten, was besonders beim heimlichen Anschleichen oder bei panischen Fluchten für Ärger sorgt. Zudem wachsen die Charaktere, sowohl männliche als auch weibliche Hauptfigur und Nebenpersonen, in ihrer klischeehaften Backstory und oft ermüdenden pragmatischen Wikingergrimmigkeit ein bisschen weniger ans Herz als die mediterranen Vorgängerhelden; die SF-Handlung in der nahen Zukunft reißt wie gewohnt an festgelegten Punkten aus dem Urlaub in der bunten Vergangenheit.

Fazit

Ein Burger ist ein Burger ist ein Burger: Man bekommt, was zu erwarten ist, und es schmeckt verlässlich gut. Assassin's Creed: Valhalla bietet ein bombastisch inszeniertes Open-World-Actionrollenspiel nach großteils bekanntem Ubisoft-Rezept, in dem die wenigen Neuerungen substanziell wenig Unterschied zu den Vorgängern ausmachen.

Über die Sinnhaftigkeit einzelner Änderungen am Rezept lässt sich trefflich streiten, im Prinzip ist Valhalla allerdings mehr vom sehr soliden Selben und als simpler Winter-Eskapismus in Zeiten von Lockdowns und Quarantäne fast perfekter Eskapismus. Wer Odyssey und Origins mochte, bekommt hier Nachschlag – mit Wikinger-Dressing. (Rainer Sigl, 12.11.2020)