Foto: Tuxedo Labs

Ein Indie-Spiel, das eine Woche nach Release fast 6.000 User-Rezensionen mit größtenteils euphorischem Grundtenor einsammeln kann, darf man getrost als Überraschungserfolg bezeichnen, obwohl: Das von einem schwedischen Zweimannteam seit drei Jahren entwickelte Teardown, soeben im Early Access erschienen, galt Insidern schon länger als heißerwarteter Geheimtipp. Die Vorfreude auf das ungewöhnliche Spiel wurde immer wieder durch Tweets des Entwicklers und zuletzt durch einen Gamescom-Trailer geschürt; nun ist das Spiel sensationell in den Early Access gestartet.

IGN

Minecraft + Physik

Auf den allerersten Blick meint man, eine Minecraft-Mod mit hübsch atmosphärischen Lichteffekten vor sich zu haben, doch der Schein trügt: Die Voxel-basierte Engine ist von Grund auf neu entwickelt und bietet nicht nur überraschend hardwarehungrige, aber dafür beeindruckende Licht- und Wettereffekte, die Minecraft weit in den Schatten stellen, sondern auch eine detaillierte Physik-Engine, die zugleich das zentrale Gameplay-Element ist. In der Welt von Teardown ist so gut wie jedes Objekt mehr oder weniger korrekt physikalisch zerstörbar, und das Spiel gibt uns jede Menge Werkzeug genau dafür in die Hand – vom Vorschlaghammer über Schweißbrenner bis hin zu Sprengstoff und sogar Abrissmaschinen.

Zu Beginn gilt es einfach, ein kleines Abrisshaus dem Erdboden gleichzumachen, doch unmittelbar darauf entführt eine Rahmenhandlung von Mission zu Mission immer tiefer in kriminelle Machenschaften. Der Clou, der Teardown zu mehr macht als einer beeindruckenden Zerstörungs-Sandbox, liegt in der Missionsstruktur: Wenn man den jeweiligen Level betritt, hat man unbegrenzt Zeit, sich herumzubewegen, sich die Situation und vor allem die Lage der Zielobjekte – meist Gegenstände, die gestohlen oder zerstört werden sollen – anzusehen und mit Vorschlaghammer und Werkzeug Phase zwei vorzubereiten.

Geplant wird auf einer strategischen Karte.
Foto: Tuxedo Labs

Sobald nämlich der erste von der Missionsbeschreibung geforderte Gegenstand eingesammelt wurde, beginnt ein Countdown von 60 Sekunden, bis die Polizei kommt. In dieser Minute gilt es die verbliebenen Missionsziele und den Fluchtwagen zu erreichen – eine Unmöglichkeit, wenn nicht in Phase eins der kürzeste Weg schlau vorbereitet wurde. Dabei bleibt der Kreativität aller Raum der Welt: Von eingerissenen Ziegelmauern bis hin zu gefällten Bäumen, vom Einsatz von allerhand Fahrzeugen bis hin zu Baumaschinen, neuerrichteten Hilfskonstruktionen und vielem mehr reichen die Möglichkeiten, einen möglichsten raschen Raubzug durchzuziehen, sobald der Countdown läuft.

Weil unterschiedliche Materialien von Wänden und Hindernissen und räumliche Lage den direkten Weg meist verkomplizieren, geraten die sorgsam gestalteten Levels zu witzigen Experimentierfeldern. Schon jetzt, knapp zwei Wochen nach Veröffentlichung im Early Access, demonstrieren zahlreiche Videos, wie unterschiedlich die Spielerschaft die gestellten Aufgaben bewältigt – vom banalen, naheliegenden Durchtunneln ganzer Gebäude bis hin zu spektakulären Raubzügen, bei denen Kettenreaktionen aus Explosionen, akrobatische Sprungmanöver und geniale Konstruktionen zum Einsatz kommen.

Zwanzig Missionen werden bislang im Early Access geboten, im Create-Mode darf man sich, optional anhand von fünf Vorlagen, selbst am Levelbau versuchen.

Die Optik erinnert an Spiele wie "Minecraft".
Foto: Tuxedo Labs

Was ist gelungen?

Originalität wird zu selten vom Publikum belohnt, bei Teardown überzeugen aber sowohl Aufmachung als auch originelle Spielidee. Der Klötzchenlook von Minecraft wird dank toller Licht-, Partikel- und Wettereffekte ansehnlich aufgewertet, die Zerstörung und der Umbau der Welt machen dank Physik-Engine jede Menge Spaß, und der stressige Fluchtversuch am Ende gibt dem ansonsten planlosen Sandkastenspiel ein konkretes Ziel vor.

Was ist weniger gelungen?

Zeitlimits sorgen bei vielen Spieler für Stress – wer alle Umgebungen für den friedlichen Sandbox-Modus ohne Zeitlimit freischalten will, kommt dennoch in der Kampagne nicht ums Lösen der zeitbasierten Aufgaben herum. Auch die Physik-Engine, so detailliert sie auch im Vergleich zu jener anderer Spiele sein mag, ist von tatsächlichem Realismus noch meilenweit entfernt. Dass sich Teardown trotz Gangster-Rahmenhandlung und "kriminellen" Settings eher nach Speedrun als Bankraub anfühlt, mag auch manche Spielerinnen und Spieler enttäuschen.

Zeitlimits erschweren die Missionen.
Foto: Tuxedo Labs

Fazit

Teardown ist ein Sandkasten für kreative Zerstörung, die sich dank Fluchtmechanik in den Dienst schlauer Planung stellt. Es ist anzunehmen, dass im Verlauf des Early Access noch mehr Inhalt, aber auch Optionen für Spieler ohne Lust auf Zeitdruck nachgereicht werden. Bis dahin ist die hübsche Abrisssimulation ein absolut unterhaltsamer Spielplatz für alle, die virtuell die Abrissbirne krachen lassen und zugleich an der perfekten Route tüfteln wollen. Ein Spiel, das als Experimentierkasten noch ein langes Leben haben wird – vor allem wenn irgendwann auch Mods ins Spiel kommen dürfen. (Rainer Sigl, 13.11.2020)