Während die Polizei noch nicht einmal ermittelt hat, wie der Wiener Attentäter an den Tatort und an seine Waffe gelangt ist, weiß die Regierung offenbar schon genau, wie der nächste Anschlag verhindert werden kann. Eine sechsseitige Punktation soll die Linie vorgeben, nach der bis Dezember erste Gesetzesentwürfe erarbeitet werden sollen.

Nach besonnenem Regierungshandeln sieht das nicht aus, eher nach dem bereits durch die Corona-Krise bekannten Muster. Die türkis-grüne Koalition wird von einer Ausnahmesituation "überrumpelt", weil sie Warnsignale nicht wahrgenommen hat, und will das dann mit groß inszenierter Ankündigungspolitik kompensieren.

Bei der Beurteilung aller Maßnahmen, die nun kommen sollen, muss man sich eines vor Augen halten: Dieser Anschlag hätte auf Grundlage vorhandener Gesetze verhindert werden können, wenn das Innenministerium keine gravierenden Fehler gemacht hätte. Der Täter hätte in U-Haft genommen werden können, wenn der Verfassungsschutz die Justiz über den versuchten Munitionskauf in der Slowakei informiert hätte. Man muss bei diesem Anlassfall nicht überlegen, ob Freiheit oder Sicherheit mehr wiegt. Die Balance, die Österreich gefunden hat, wäre ausreichend gewesen.

Kerzen und Blumen an einem der Tatorte des Terroranschlags in Wien.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Das muss auch zentral für die Beurteilung der zwei brisantesten Vorschläge sein. Der eine stammt von der Regierung: Sie will, dass Jihadisten in Gewahrsam bleiben, wenn sie ihre Haftstrafe verbüßt haben. Das ist zwar eine gelindere Maßnahme als eine sogenannte "Präventivhaft", die auch Unbescholtene miteinschließt. Dennoch bleibt es eine Maßnahme, die Menschen nicht für ihr konkretes Handeln, sondern für ihre Gedanken und ihre Ideologie einsperrt.

Recht auf Privatsphäre

Die zweite heikle Maßnahme wird gerade auf EU-Ebene vorangetrieben: der Kampf gegen Verschlüsselung elektronischer Nachrichten. Auch hier stellt sich die Frage nach der Evidenz. Fast alle Attentäter weltweit waren auf dem Radar von Sicherheitsbehörden; zu oft sind – wie in Österreich – wichtige Hinweise ignoriert oder falsch beurteilt worden. Verschlüsselung und somit das Recht auf Privatsphäre hat so viele wichtige Funktionen, dass man sie vehement verteidigen muss. Übrigens ist es schon seltsam, dass hochrangige Politiker und Spitzenbeamte, die gegen Verschlüsselung agitieren, allesamt auf dem extrasicheren Messenger Signal zu finden sind.

Abseits von diesen zwei äußerst diskussionswürdigen Punkten sind viele Punkte im Maßnahmenpaket der Regierung als durchaus sinnvoll zu bezeichnen. Die jetzt vorgeschlagene verpflichtende Weitergabe strafprozessualer Informationen vom Verfassungsschutz an die Justiz hätte den Anschlag verhindern können. Auch Nachschärfungen im Islamgesetz ergeben Sinn, waren "Hotspots" in der Moscheenlandschaft doch jahrelang noch geöffnet, obwohl man um das dortige Radikalisierungspotenzial wusste. Außerdem zu loben: ein Fokus auf Deradikalisierung, eine Verschärfung der Waffengesetze und die schon lang nötige Reform des BVT.

Allerdings darf die Regierung nicht glauben, die Causa sei damit erledigt. Neue Gesetze sind der eine Teil der Reaktion. Die genaue Prüfung, was vor dem Attentat schiefgelaufen ist, bleibt mindestens so wichtig. Hier wäre eine ähnliche Eile wie bei der Maßnahmenverkündung höchst angebracht. (Fabian Schmid, 11.11.2020)