Angus Young (Mitte) und Brian Johnson (zweiter von rechts) legen es mit AC/DC auch 2020 sehr rockig an.

Foto: Josh Cheuse

Einen Preis in Gescheitheit wird diese Band nicht mehr gewinnen. Am ehesten noch in der sympathischen Unterkategorie "Gescheit blöd". Immerhin aber geht es beim Rocken nicht darum, der klügste Kopf beim Headbangen und Weghacken zu sein. Rocken bedeutet, auf die Gitarre einzudreschen und damit an die Grenzen des Erfahrungshorizonts zu gelangen. Es ist der Ausnahmezustand. Rock ’n’ Roll ist Adrenalin. Wirklich hart zu rocken, das ergibt den ultimativen Flash. Der schießt einem ein, wenn man das intensive Lebensgefühl mit einer Stricknadel aus der Steckdose hervorlocken will.

Zugegeben, ein abgerockter Vergleich. Aber AC/DC bedeutet nun einmal Wechselstrom/Gleichstrom. Und die meisten Sachen, die der Menschheit seit hundert Jahren das Gefühl geben, mitten im Leben zu stehen, kommen aus der Steckdose!

Auf dieser Grundlage betreibt die australische Band um Gitarrist Angus Young seit 1973 eine einzigartige Handwerkskunst. Sie beruht darauf, immer sofort Vollgas zu geben, auf Anschlag zu drehen, auf die Zwölf zu gehen. Dazu verwendet man ausgesucht gemein klingende, staubtrockene und über die Lautstärke angezerrte Riffs und Akkorde auf der Gitarre.

Zen-Meister der Ekstase

Für die braucht man nicht wie ein Student weiter oben auf den Bünden mit Barrégriffen und der Zunge im Mundwinkel herumnudeln. Man lernt weiter unten auf der Anfängerpiste die Grundlagen des Umgreifens. Dort bleibt man dann auch und wird ein Zen-Meister der Ekstase und des mit größter Disziplin ausgeübten Durchzuckens. Von AC/DC lernen heißt haushalten lernen!

Für die aktuelle Single Shot in the Dark kommt man etwa mit D, A, G, und C durch. Selbstverständlich ist alles in Dur gehalten. Moll tut nur in den Fingern weh, und die anderen Burschen lachen einen als Mädchen aus. Neben E und dazwischen einmal heimlich einem Griff mit der Zunge im Mundwinkel reichen diese Akkorde nicht nur fürs Lagerfeuer mit den Pfadfindern, sondern auch für das nächste Konzert im Wiener Ernst-Happel-Stadion.

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Egal aber, ob man es live mit Holzscheiteln in der Natur oder mit einer Zig-Trillionen-Watt-Lichtanlage im Stadion anlegt, es wird schwer werden, so wie AC/DC zu klingen.

Die Band um das Brüderpaar Angus und Malcolm Young an den Gitarren hat ihren Stil seit 1973 stur auf das Wesentliche reduziert. Man kann heute nach einem halben Jahrhundert der Selbstoptimierung im Rocken sagen, dass das jetzt erscheinende späte Album Power Up ebenso gut 1980 erscheinen hätte können. Damals wären die heteronormativen Neandertaler-Texte im Reimzwang wahrscheinlich auch noch nicht so aufgefallen. Neben Highway-Symbolik und dem Motiv der überhöhten Geschwindigkeit bei anschließender Einfahrt in ein schwarzes Loch (Hölle oder so) kreisen die Lyrics von AC/DC gern um Frauen und den Bewegungsapparat beider Geschlechter.

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Nachdem Originalsänger Bon Scott 1980 im Suff gestorben war und der zentrale musikalische Direktor Malcolm Young an der Rhythmusgitarre ihm 2017 aufgrund einer alkoholbedingten Demenzerkrankung folgte, haben AC/DC schon wieder einige schwierige Jahre hinter sich. Sänger Brian Johnson wurde vor vier Jahren offenbar taub und kurzfristig durch Guns-n’-Roses-Diva Axl Rose ersetzt. Der brach sich damals rechtzeitig zum Tourbeginn den Fuß und musste live im Rollstuhl singen. Es klang aber gar nicht so schlecht.

Bassist Cliff Williams mochte schlicht und einfach nicht mehr. Schlagzeuger Phil Rudd hatte einige Probleme mit der Justiz wegen Anstiftung zum Mord oder so einer Lappalie. Bandbaby Stevie Young, mit 63 Jahren nur um zwei Jahre jünger als Angus Young, ersetzte Onkel Malcolm schon 2014.

Power Up klingt nun in alter Besetzung wie immer, also genau wie AC/DC. An Vorgängerarbeiten wie Rock or Bust oder Black Ice kann sich niemand erinnern. Der letzte große Song der Band nennt sich Thunderstruck und datiert von 1990.

Lautes Niederbügeln

Vielleicht mag Brian Johnson heute nicht mehr so gut hören. Live geht es bei dieser Kunst aber ohnehin mehr um die Schallwellen, die einen niederbügeln. Und eigentlich ist es egal, ob man einmal ein altes Lied mit einem neuen verwechselt.

Brian japst angestochen scharf wie eh und je irgendwas mit "Shot in the dark" und "Walk in the park". Dann fährt zur kurzen Spannungsauflösung ein Minisolo von Angus Young dazwischen. Brian Johnson reißt den Arm in die Höhe, und der Fußballchor setzt ein.

Es gibt einen traditionellen Boogie mit Demon Fire und mit No Man’s Land einen bluesigen Rocker. Highway von links, Highway von rechts. Die Lady "all night long" taucht natürlich auch auf, aber als total versexte Hexe. Nach zwölf Songs ist alles zu Ende. Live werden davon maximal zwei Songs gespielt werden. Das ist dann die Zeit, wo sich das Publikum kurz zurückzieht. Man will schließlich anschließend nicht Highway to Hell oder TNT verpassen (Christian Schachinger, 11.11.2020)