Der fast leere Markusplatz in Venedig, August 2020.

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Acqua alta am 24. November 2019.

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2019 wetterten die Bewohner Venedigs noch gegen die Kreuzfahrtschiffe. Jetzt wünschen sich die Hafenarbeiter diese wieder sehnlichst zurück.

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Die Geschäfte am Markusplatz sind zum Großteil geschlossen, genau wie vor einem Jahr. In der Nacht auf den 13. November wurde Venedig von einer katastrophalen Flutwelle überschwemmt. Das Wasser – angetrieben durch Schirokko-Wind – stieg auf 187 Zentimeter über dem Meeresspiegel. Das war der höchste Stand seit der verheerenden Überschwemmung im Jahr 1966, als 194 Zentimeter erreicht wurden.

Coronavirus

Seit dieser dramatischen Nacht ist Venedig nicht mehr dieselbe Stadt. Das Symbol des Massentourismus, in dessen Gassen sich täglich bis zu 130.000 Menschen tummelten, ist zum Erliegen gekommen. Zwar hat die Unesco-Stadt relativ schnell die Schäden behoben, die Touristen sind seit dem dramatischen November 2019 aber ferngeblieben. Drei Monate nach der Acqua alta, wie die Venezianer das ihnen vertraute Phänomen bezeichnen, brach in Norditalien die Coronavirus-Epidemie aus, die die Lagunenstadt und ganz Italien zu einem beispiellosen Lockdown zwang. Seitdem hat der touristische und wirtschaftliche Niedergang Venedigs begonnen, für den bisher noch kein Ende in Sicht ist.

Der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, gedachte des Hochwassers vor einem Jahr: "Das Szenario war einfach apokalyptisch. Ich hätte es damals nie für möglich gehalten, dass wir heute weiterhin so hart kämpfen müssen – und zwar gegen einen unsichtbaren Feind, wegen dem wir in einen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Notstand geschlittert sind."

Geschlossene Lokale und Geschäfte

"365 Tage sind seit der außerordentlichen Flutwelle des vergangenen Novembers ins Land gezogen, doch Venedig kämpft immer noch um seine Zukunft. Nach dem Hochwasser konnten wir uns vor Fasching noch einmal aufraffen, sind aber kurz darauf in den Coronavirus-Albtraum gestürzt, der immer noch nicht zu Ende ist. 30 Prozent der Lokale und Geschäfte rund um den Markusplatz sind geschlossen", klagt Claudio Vernier, Präsident des Verbands der Kaufleute, laut lokalen Medien.

Arrigo Cipriani, Inhaber der historische Harry's Bar, die als Künstlertreff berühmt ist, gibt sich nicht geschlagen. "Das Hochwasser im vergangenen November war fürchterlich, doch ich hatte genau wie nach der ärgsten Flutwelle aller Zeiten im Jahr 1966 am nächsten Tag bereits mein Lokal wieder geöffnet", berichtete der Unternehmer.

Mose

Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist Venedig jetzt besser für weitere Flutwellen gerüstet. Im Oktober wurde erstmals das mobile Dammsystem Mose erfolgreich eingesetzt. Trotz Acqua alta von 125 Zentimetern blieb der Markusplatz trocken. Bürokratie, Korruptionsskandale und unterschiedliche politische und wirtschaftliche Interessen hatten das Milliardenprojekt immer wieder verzögert. "In einem Jahr ist es uns trotz Corona-Pandemie gelungen, Mose fertigzubauen. Dieses Infrastrukturprojekt hat eine umstrittene und komplizierte Geschichte hinter sich. Jetzt ist aber ein langes Kapitel glücklicherweise zu Ende gegangen. Wir können bei Hochwasser die Barrieren aufstellen, um die Lagune vor den Fluten zu schützen", sagte die dafür zuständige Regierungskommissarin Elisabetta Spitz.

Der Minister für die Beziehungen zum Parlament, Federico d'Incà, zeigt sich hinsichtlich der Zukunft der Stadt optimistisch, drängt jedoch zu weiterem Handeln. "Heute ist die Lagunenstadt dank Mose sicherer. Das Dammsystem allein genügt aber nicht, um Venedig zu schützen. Wir müssen auch entschlossener in den Kampf gegen den Klimawandel investieren", sagte der Minister.

Gespenstische Stille

Venedig, das im vergangenen September seinen Mitte-rechts-Bürgermeister Luigi Brugnaro für ein zweites fünfjähriges Mandat wiedergewählt hat, kämpft jetzt um den Neustart des Fremdenverkehrs. Viele Hotels sind geschlossen. Wegen der restriktiven Anti-Covid-Maßnahmen sind alle Lokale ab 18 Uhr gesperrt. Venedig versinkt abends in eine gespenstische Stille. Inhaber von Ferienwohnungen und Bed & Breakfast suchen nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten für ihre leerstehenden Immobilien.

Die Mitarbeiter des Hafens verlangen die Rückkehr von Kreuzfahrtschiffen in die Lagunenstadt. Die Krise der Kreuzfahrtbranche gefährde die Zukunft tausender Personen in Venedig. Kreuzfahrtschiffe, für deren Bann die Stadtbewohner jahrelang gekämpft hatten, waren ein wichtiges Element für den Tourismus in der Stadt. Die Reedereien Costa Crociere und MSC entschlossen sich für Triest statt Venedig als Starthafen für Kreuzfahrten in der Adria. Andere Kreuzfahrtgesellschaften wie Royal Caribbean und Norwegian Cruise Line, deren Schiffe von Venedig abfuhren, planen erst 2021 einen Neustart ihrer Reisen von der Lagunenstadt aus.

Der Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro, zeigt sich mit den Hafenmitarbeitern solidarisch. "Ich stehe an der Seite der Hafengemeinschaft. Wir müssen die Jobs retten, die 5.000 Familien ernähren", sagte der Bürgermeister. Er will Druck auf die Regierung ausüben, damit die Kreuzfahrtindustrie in Venedig wieder starten kann. (APA, 12.11.2020)