Zürich/Wien – Über 10.000 Vogelarten sind der Wissenschaft heute bekannt – von winzigen Kolibris über farbenprächtige Papageien bis hin zu den flugunfähigen Pinguinen und Straußen. Ein internationales Team mit über 150 Wissenschaftern hat nun einen umfassenden genetischen Atlas dieser Vielfalt erstellt und dafür im Fachjournal "Nature" die Genome von 363 Vogelarten vorgestellt. Die Genomdatenbank soll die größte für eine Wirbeltiergruppe werden und repräsentiert jetzt schon fast alle weltweit vorkommenden Vogelfamilien.

Vom kleinsten Vogel der Erde, der Bienenelfe (Mellisuga helenae),...
Foto: Charles J Sharp

Alle Vögel sollen erfasst werden

Die aktuelle Studie ist Teil des internationalen Bird 10.000 Genomes Project, kurz B10K. Ziel des umfassenden Genom-Projektes ist es, die Erbinformationen aller Vogelarten des Planeten zu sequenzieren, um einen umfassenden Stammbaum der Tiere zu erstellen. B10K verarbeitete bis Anfang Juli rund 2.500 Proben, die 2.400 Arten aus 1.370 Gattungen, 300 Familien und 36 Ordnungen repräsentieren. Mit den bisher gesammelten Daten konnten die Forschungsteams nun erstmals eine Vergleichsstudie der evolutionären Muster im Erbgut eines Großteils der bekannten Vogelarten durchführen.

Das Projekt, an dem auch Wissenschafter der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien beteiligt waren, verlangte neue statistische und bioinformatische Methoden, sagte der Evolutionsbiologe und Mitautor der Studie, Lukas Keller, von der Universität Zürich. Er hat mit Kollegen das Genom einer nordamerikanischen Vogelart, der Singammer (Melospiza melodia), beigesteuert. Sie gehört zu einer der insgesamt 267 Arten, die bisher noch nie sequenziert wurden.

... bis zum größten Vogel, dem Afrikanischen Strauß (Struthio camelus): Beim B10K-Projekt sollen letztlich die Genome aller bekannten Vogelarten sequenziert werden.
Foto: AFP/HECTOR RETAMAL

Neue evolutionäre Erkenntnisse

Die Forscher sequenzierten zunächst über 18 Billionen Basenpaare (die Grundbausteine der Erbinformation) und setzten diese danach im Computer zusammen. So stellten sie u.a. bereits den Verlust von 498 Genen in Vögeln fest. Die Herkulesaufgabe, die den Anschein von Briefmarkensammeln haben mag, lohnt sich laut Keller aber: "Ich rechne mit einer großen Zahl von evolutionären Erkenntnissen."

Die Genomdaten liefern ebenfalls wichtige Ressourcen für den Naturschutz. So lassen sich damit etwa Populationsrückgänge kartieren oder Verwandtschaftsbeziehungen identifizieren. Ebenfalls ermöglicht die Sammlung, jede Genmutation in Vogelarten in "Schädlichkeitskategorien" einzuteilen. Wenn eine Population viele schädliche Mutationen aufweise, könne man versuchen, ihre Häufigkeit durch Aussetzungen aus anderen Populationen zu reduzieren, sagte Keller. (red, APA, 12.11.2020)