Der Maßnahmenvollzug wird zurzeit vor allem für geistig abnorme Rechtsbrecher genutzt

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Die Bundesregierung will verurteilte Terroristen auch nach der Verbüßung ihrer Haftstrafe hinter Gittern sehen, wenn von ihnen weiterhin eine Gefahr ausgeht. Jihadisten sollten in Gewahrsam sein, solange sie nicht deradikalisiert seien, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Mittwoch bei der Präsentation des Antiterrorpakets. Als geeigneten Hebel für eine "Sicherungshaft" sieht Türkis-Grün den Maßnahmenvollzug, der in Österreich vor allem geistig abnorme Rechtsbrecher betrifft.

Für den Kriminalsoziologen Reinhard Kreissl sitzen im Maßnahmenvollzug schon jetzt "zusehends Leute, die dort nicht reingehören". "Man kann unliebsame Personen wegsperren", kritisiert der forensische Neuropsychologe und Gutachter Johannes Klopf den Maßnahmenvollzug. Würden dort nun auch Jihadisten untergebracht werden, befürchtet Klopf ein "totales Chaos".

Unklar ist, wie die Regelung der Regierung genau ausgestaltet wird. Es gibt derzeit gesetzliche Vorgaben für geistig abnorme und süchtige Täter sowie für Rückfallstäter, wobei letzterer Paragraf kaum zur Anwendung gelangt. Eine Anknüpfung der Terrorgefahr an geistige Abnormität wird von den Experten mit Sorge gesehen. "Psychiatrisierung ist Entpolitisierung", sagt Kreissl. Man kenne aus Diktaturen, etwa dem Stalinismus, die Vorgehensweise, politische Dissidenten zu psychiatrisieren, warnt der Leiter des Vienna Centre for Societal Security (Vicesse).

"Im Bereich Terrorismus sind Täter hoch zurechnungsfähig", sagt auch Klopf. Diese hätten im Maßnahmenvollzug "gar nix verloren". Damit gelange man nämlich zum nächsten Problemfeld: zur Frage der Begutachtung.

"Natürlich kann man Psychiaterinnen und Psychologen täuschen", sagt der Psychiater Patrick Frottier, einst ärztlicher und therapeutischer Leiter der zentralen Sonderanstalt und Begutachtungsabteilung für geistig abnorme Rechtsbrecher. "Zu glauben, dass jemand nach einer halben Woche nicht weiß, welche Antworten wir hören wollen, ist lebensfremd", so Frottier.

Die Graustufen der Begutachtung

Mit der differenzierten Einschätzung von Gutachtern könnten Richter nicht viel anfangen, denkt Kriminalsoziologe Kreissl. Auf die Frage, ob eine Person noch gefährlich sei, werde man ein "einfaches Ja oder Nein von einem Gutachter nie bekommen". Das wäre aber nötig, um juristische Klarheit zu schaffen.

Was wären also Alternativen zum Maßnahmenvollzug? Auch demokratische Regierungen haben immer wieder probiert, eine Art von Präventivhaft einzuführen. In Großbritannien existierte von 2005 bis 2012 eine "Verwahrung für die öffentliche Sicherheit". Sie kam bei Tätern zur Anwendung, deren Vergehen nicht mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden konnte, die aber als "gefährlich" galten. Diese Form der Präventivhaft funktionierte aus mehreren Gründen nicht – unter anderem weil britische Gefängnisse ohnehin als überfüllt gelten.

Deutsche "Sicherungsverwahrung"

In Deutschland gibt es die sogenannte Sicherungsverwahrung, bei der verurteilte Täter nach der Strafverbüßung auf ihre Gefährlichkeit begutachtet werden. Über die Sicherungsverwahrung müsse in der Regel schon im Urteilsspruch entschieden werden und nicht nachträglich während der Haft, erklärt Jörg Kinzig, Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen. "Das Kardinalproblem all dieser Regelungen ist natürlich die Frage, wie man menschliches Handeln prognostizieren kann", sagt Kinzig. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMGR), der die nachträgliche Sicherungsverwahrung in Deutschland kippte, seien rund 70 Personen aus der Haft entlassen worden. "Die wenigsten wurden rückfällig", so Kinzig. Dadurch zeigt sich, dass die Maßnahmen immer auch Personen betreffen werden, die eben doch nicht so gefährlich wie angenommen sind.

Einig sind sich alle Experten, dass Jihadisten langjährige intensive Betreuung brauchen. Die sogenannte Führungsaufsicht in Deutschland setze auf das Motto "Helfen und überwachen", so Kinzig. "Man muss nicht lieb und nett, sondern klar und konsequent sein", sagt der Psychiater Frottier. "Ein Jugendlicher, der Schwierigkeiten macht, ist ein Jugendlicher, der Schwierigkeiten hat." Wichtig sei es, verständliche Regeln vorzugeben, bei deren Einhaltung aber zu unterstützen. Maßnahmen wie die angedachte Streichung der Sozialleistung seien "klar der falsche Weg".

Überwachung von Gefährdern samt detaillierter Informationsanalyse ist auch für Kreissl das Nonplusultra: "Wir müssen die Fähigkeiten des Sicherheitsapparats verbessern." Bei fast jedem Anschlag müssen Behörden einräumen, den Attentäter auf dem Radar gehabt zu haben. "Der Apparat versinkt in Informationen, verlangt aber immer mehr davon", so Kreissl.

Grüner Abwehrkampf

Politisch steht die "Sicherungshaft" schon lange auf dem Wunschzettel der ÖVP. Sie galt als einer der größten Zankäpfel bei den türkis-grünen Koalitionsverhandlungen. Ursprünglich war geplant, auch als "gefährlich" eingestufte Asylwerber präventiv in Haft nehmen zu können. Eine verfassungskonforme Ausgestaltung dieser Regelung wäre nach Ansicht vieler Experten schwierig geworden. Der Hebel über den Maßnahmenvollzug, also das Abzielen auf bereits verurteilte Personen, dürfte hier weitaus weniger problematisch sein. In Deutschland stellte das Bundesverfassungsgericht schon 2004 fest, dass prinzipiell auch die unbefristete Sicherheitsverwahrung legitim ist. (Fabian Schmid, 12.11.2020)