"In unserer Salzmine spukt es!", erzählt der Wirt des Orts Fendollin an der Schwertküste. Eigentlich sollten um diese Zeit Festivitäten zu Ehren der Götter stattfinden, doch in der Mine gab es einen mysteriösen Felssturz. "Könnt ihr uns helfen und die Geister vertreiben?", fragt er in die Heldengruppe. Ich stehe an einer Bar, trinke ein Bier und fühle mich noch nicht ganz involviert. Wobei: Korrekterweise bin es nicht wirklich ich, der da steht. Es ist mein Avatar, also quasi mein virtueller Charakter in diesem Spiel.

So stellt man sich die Action eines Abenteuers vor.
Foto: Dungeons & Dragons

In der Realität sitze ich mit sieben anderen Leuten, ausgerüstet mit Stiften, seltsamen Würfeln und Papier, um einen schmucklosen Tisch im Nachbarschaftszentrum Gretl in Wien-Margareten. Helden, Götter, Geister oder auch das Bier – all das existiert nur in unseren Köpfen. Wie spielen ein Abenteuer im Dungeons & Dragons-Universum. D & D, wie es von Fans abgekürzt wird, gilt als das erste sogenannte Pen-&-Paper-Rollenspiel. Die sind vergleichbar mit Videospielen, nur eben ohne Bildschirm. Der gesamte Handlungsplot basiert auf den Erzählungen des Spielleiters. Wir Spieler richten unsere Spielzüge danach aus. D & D ist ein Mix aus Gesellschaftsspiel und Improvisationstheater mit einer gehörigen Portion Vorstellungskraft. Und um sich alles merken und nachvollziehen zu können, braucht man Stift und Papier.

Vergangenes Jahr knackte das Rollenspiel die Marke von 40 Millionen Spielern weltweit. In zig Foren im Internet teilen die Spieler Abenteuer, stellen Charaktere vor oder geben Taktiktipps. Allein auf der Streamingplattform Twitch folgen dem Spiel fast 400.000 Menschen. Und nur in Wien gibt es vier Läden, die sich auf das fürs Spiel nötige Zubehör spezialisiert haben.

Trotzdem gelten Pen-&-Paper-Rollenspiele gemeinhin als schwer zugänglich, komplex und nerdig. In Wien gibt es nun aber einen Kurs, der Neulinge in die Welt von Dungeons & Dragons einführt – und das auf spielerische Art und Weise.

Zaubern oder bam-bam?

Ideengeber und Leiter des Einsteigerkurses ist Valentin Farkasch. Er spielt seit eineinhalb Jahren D & D mit seinen Freunden und will Anfängern den Einstieg in diese Fantasiewelt erleichtern. Die Geschichte und die Charaktere, die wir spielen, hat er sich ausgedacht.

Wie wenig Erfahrung wir haben, merkt man spätestens dann, als Farkasch die Charaktere vorstellt, die alle auf kompliziert ausschauenden Bögen erklärt werden. "Willst du zaubern oder lieber bam-bam?", fragt Farkasch und verteilt die letzten Helden. Dabei achtet er auf eine gesunde Mischung: Krieger, Magier, Schurken. Den Charakter, den ich mir ausgesucht habe und der immer noch biertrinkend an der Bar in der Taverne steht, ist Milo Teeblatt, ein schurkischer Halbling. "Hobbit dürfen wir aus rechtlichen Gründen nicht sagen", erklärt mir Farkasch. Mein Charakter ist zwar nicht wahnsinnig glamourös, hat aber ein paar Fähigkeiten: Er kann sich tarnen, ist im Umgang mit Schwert und Bogen versiert und recht mutig.

In echt gibt es nur Figuren...
Foto: Pollerhof

Unsere Charaktere bilden eine Heldengruppe, die nun in Richtung jener offenbar von Geistern bewohnten Höhle aufbricht. Oder besser: Wir sagen dem Spielleiter, dass wir uns auf den Weg machen. Mutig, wie es mein neuer Alias wohl ist, wirft er also vor dem Eingang seinen Bierkrug zur Seite und stapft voran in die Dunkelheit. Die richtige Stimmung erzeugt Farkasch mit vorgefertigter Musik und Hintergrundgeräuschen, die er über seinen Laptop abspielt. Wenn er als ein Nebencharakter mit uns spricht, verstellt er die Stimme. Die Immersion funktioniert erstaunlich gut, das Nachbarschaftszentrum Gretl wird in unserer Fantasie zur stalagtiten- und -mitenbesetzten Mine.

Als wir wenige Schritte ins Unbekannte gemacht haben, fällt hinter uns ein Fels vor den Ausgang und schließt uns ein. Das alles erzählt Farkasch zumindest, wir stellen es uns bildlich vor. Wenig später erscheinen merkwürdige Gestalten, "Schatten", wie Farkasch sie beschreibt, aus dem Geröll – jetzt beginnt der erste Kampf, ein wichtiger Teil der D&D-Welt.

Der Würfel entscheidet

...und Würfel. Davon gibt es ganz schön viele, je nachdem, was für eine Art Aktion ausgeführt wird und wie gut ausgebildet der Charakter ist.
Foto: Pollerhof

Der läuft so ab: Ich eröffne dem Spielleiter, was ich machen will, etwa einen Pfeil abschießen. Er sagt mir, welchen Würfel ich benutzen und welchen Wert ich damit erreichen muss. Schaffe ich es, den Wert zu würfeln, gelingt die Aktion. Schaffe ich das nicht, misslingt sie. Denn was bei einem Videospiel im Hintergrund ausgerechnet wird, passiert in einem Pen-&-Paper-Rollenspiel durch den Zufall des Würfels. Je besser die Fähigkeiten des Charakters sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Aktionen auch gelingen.

Zur besseren Visualisierung hat Farkasch die Situation aus Pappe nachgebaut, auf die wir unsere Figuren stellen. Der Kampf verläuft gut, das Würfelglück ist auf unserer Seite. Ich verschieße Pfeile, unser Krieger haut mit seiner großen Axt zu, und der Magier zaubert uns einen Bonus auf unsere Rüstungen.

Zum Ende des Abenteuers steht uns der Oberschurke, ein riesiger Schatten, gegenüber: "Ihr kriegt meinen Schatz nie!" Na, mal schauen. Mein Charakter nutzt seine Fähigkeiten, schleicht sich von hinten heran und jagt dem Wesen einen Pfeil durch den nichtmaterialisierten Kopf. Für diesen erfolgreichen Angriff aus dem Hinterhalt bekomme ich einen Bonus, so steht es auf dem Charakterbogen.

Die Suche nach dem Schatz

Während mein Charakter unseren Erfolg mit einem Tänzchen zelebriert, suchen die anderen nach dem Schatz, indem sie dem Spielleiter sagen, dass sie unter einem auffälligen Geröllhaufen nachschauen. Und tatsächlich, hier liegen Gold, zwei verzauberte Brillen und magischer Staub. Ich schnappe mir das Gold und steige empor Richtung Minenausgang. Meinen Charakter darf ich in Zukunft in andere Abenteuer im D & D-Universum mitnehmen. Rollenspiele können auch online gespielt werden, laut Farkasch geht es aber auch darum, einmal vom Bildschirm wegzukommen und trotzdem ein Abenteuer zu erleben.

Am Ende des Spiels hockt mein Charakter erneut zufrieden und biertrinkend auf einem Sessel in der Taverne. Einer muss seine Rolle ja richtig spielen. (Thorben Pollerhof, 12.11.2020)