Manuel Kraus ist CEO von Pocketcoach und hat selbst Psychologie studiert.

Foto: Pocketcoach

Hilfe per Klick – das ist für viele Menschen einfacher, als sich persönliche Hilfe zu holen.

Foto: Pocketcoach

Die App Pocketcoach unterstützt bei psychischen Problemen. Sie ist seit September 2019 im Einsatz. 50.000 Menschen haben sich bereits registriert, 8.000 aktive Nutzerinnen und Nutzer waren es im vergangenen Monat, erzählt der CEO des Start-ups Manuel Kraus.

STANDARD: Was ist Pocketcoach?

Kraus: Eine App und so etwas wie ein digitaler Therapeut. Wir verwenden standardisierte Behandlungsprotokolle, wie sie auch bei Therapeuten zum Einsatz kommen würden – und übersetzen sie in Chatbots. Die Nutzerinnen und Nutzer gehen Schritt für Schritt durch die Konversationen, machen Übungen, um mit Gedanken, Sorgen und Gefühlen besser umgehen zu können. In der App kommen Audio-Übungen und Videos zum Einsatz. Zusätzlich gibt es direkte Hilfe für schwierige Momente, etwa eine Atemübung, die bei Panikattacken zum Einsatz kommen kann. Wir wollen damit den Menschen helfen, glücklicher zu leben.

STANDARD: Und das Ganze ist gratis?

Kraus: Normalerweise nicht, aber nach dem Terroranschlag in Wien haben wir entschieden, unsere App im deutschsprachigen Raum kostenlos zugänglich zu machen. Wir wollen damit den Menschen helfen und einen positiven Beitrag leisten. Wenn so etwas Schreckliches passiert, belastet das viele Menschen im Alltag.

STANDARD: Was kostet das Angebot normalerweise?

Kraus: Etwa 70 Euro im Jahr.

STANDARD: Kann die App eine echte Therapie ersetzen?

Kraus: Nein, das ist überhaupt nicht unser Anspruch. Das kann eine App auch gar nicht, denn in der Therapie ist die menschliche Komponente sehr wichtig. Eine App wie Pocketcoach kann aber auch ihren Platz haben, vor allem, weil sie einen niederschwelligen Einstieg in das Thema bietet. Die Menschen müssen nicht auf einen Termin warten, es ist nur ein Klick notwendig. Und es gibt nicht die Hürde, sich tatsächlich an jemanden wenden und um Hilfe bitten zu müssen. Wir wissen von einigen Nutzerinnen und Nutzern, dass sie die App verwenden, gerade weil sie so mit niemandem persönlich sprechen müssen.

STANDARD: Ist diese Hemmschwelle wirklich so ein großes Thema?

Kraus: Ja, leider gibt es in diesem Punkt externe und interne Stigmata. Viele haben die Befürchtung: Was glauben die anderen von mir, wenn ich zum Therapeuten gehe? Was glaubt der Therapeut von mir? Gleichzeitig wollen sich viele nicht eingestehen, dass sie ein psychisches Problem haben. Bei physischen Erkrankungen wie einem gebrochenen Fuß gibt es keinerlei Hemmschwelle – aber wenn jemand eine Depression hat, ist das für viele eine ganz andere Nummer.

STANDARD: Gibt es Geschlechterunterschiede?

Kraus: Unsere Nutzer sind zu zwei Dritteln weiblich. Männer trauen sich oft nicht, über ihre Probleme zu reden. Man weiß aus der Forschung, dass Frauen doppelt so häufig unter Angststörungen leiden – allerdings werden Männer eben oft auch nicht diagnostiziert. Es wird aber dennoch vermutet, dass Frauen tatsächlich häufiger betroffen sind.

STANDARD: Wie ist die Hilfe für Menschen mit psychischen Problemen in Österreich organisiert?

Kraus: Leider gibt es viel zu viele Menschen, die keine Hilfe bekommen. Nur ein Drittel bis die Hälfte der Österreicherinnen und Österreicher hat Zugang zu der Therapie, die sie brauchen. Oft warten Menschen sechs Wochen bis neun Monate, um einen Therapieplatz zu bekommen. Hier können wir einen Beitrag leisten.

STANDARD: Wie sehr belastet die Corona-Pandemie?

Kraus: Wir wissen aus Gesprächen mit Nutzerinnen und Nutzern, dass Corona ein Thema ist, gerade wenn es um Einsamkeit, Stress und Sorgen geht. Hier sehen wir eindeutig einen Trend nach oben. (Bernadette Redl, 16.11.2020)