Es sollte nicht in erster Linie um Schuldzuweisungen gehen, sondern darum, fundiert zu begründen, was man verbessern kann und was man sich davon erwartet, sagt der ehemalige Oberstaatsanwalt Georg Krakow im Gastkommentar.

Eine neue Kommission soll Missstände bei den Behörden untersuchen, eingesetzt wurde sie von Innenminister Karl Nehammer und Justizministerin Alma Zadić.
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Vorab: Dass unsere Polizei den Täter binnen neun Minuten nach dem ersten Notruf gestoppt hat, ist eine Leistung, die nicht viele Länder zustande gebracht hätten. Das ist die gute Nachricht. Und die schlechte? Das Problem des Terrorismus, das Problem der gewaltbereiten radikalen Ideologien, die ihr Dogma höher als den Wert des Lebens hängen, ist damit um nichts kleiner geworden.

Wie aber sollen wir in unserer Gesellschaft mit Radikalen umgehen, die die Zerstörung von Menschen und Gesellschaft geradezu zum Ziel haben? Der Anschlag in Wien hat es – wieder einmal – vor Augen geführt: Wir haben in Wahrheit keine Ahnung, wie wir mit Terrorismus umgehen sollen, und wenig, wie wir uns davor schützen können. Terrorismus ist eine Art Autoimmunerkrankung der Demokratie und deshalb so gefährlich.

Schonungslos aufarbeiten

Terrorismusbekämpfung hat viele Facetten, und man darf nicht nur auf eine oder zwei davon setzen, will man Erfolg haben. Effektiv gegen Terror vorzugehen ist auch eine langwierige Sache – die radikalen, lebensverachtenden Gewaltideologien schafft man mit noch so viel Druck nicht rasch aus der Welt.

Die Bürger dieses Landes haben nach einem solchen aufrüttelnden Vorfall ein Recht darauf zu erfahren, ob alles getan wurde, um so etwas zu verhindern. Nach ersten Berichten scheint doch einiges aufzuklären zu sein: War die vorzeitige Entlassung aus der Haft zu gutgläubig? Hat man in der Bewährungszeit nicht gut genug hingeschaut? Hat man Hinweise von befreundeten Diensten nicht ernst genug genommen? Sind die ohnehin geringen Personalressourcen im Staatsschutz mit internen Machtkämpfen beschäftigt gewesen? Und als Generalthema schwebt über dem ganzen Fall das ungelöste Problem der schlechten Zusammenarbeit zwischen den Behörden – seien es Justiz und Polizei, seien es BVT und die neun Landesämter zur Terrorismusbekämpfung.

Die staatlichen Organe müssen reibungslos zusammenarbeiten, ohne Schlendrian, ohne Lässigkeit. Informationen müssen rasch und umfassend an die richtigen Stellen weitergegeben werden. Das gehört zu den "Basics", die funktionieren müssen. Deshalb ist eine objektive Untersuchung zu begrüßen. Dabei sollte es aber nicht in erster Linie um Schuldzuweisungen gehen, sondern darum, fundiert zu begründen, was man verbessern kann und was man sich davon erwartet.

Handlungsmöglichkeiten ausweiten

Terrorismusbekämpfung braucht die nötigen Straftatbestände, die richtigen Ermittlungswerkzeuge, quantitativ und qualitativ ausreichende Ressourcen in Justiz und Polizei, eine Gefahrenforschung, die den gesellschafts- und staatsverneinenden Milieus auf den Grund geht, rechtliche Werkzeuge, um die Bevölkerung präventiv zu schützen und auch junge Menschen, die Gewaltideologien auf den Leim gegangen sind, wieder zurückzuholen.

Doch wie viel Überwachung, Einschränkung und Polizeistaat verträgt eine liberale Demokratie, bevor sie ins Totalitäre kippt? Soll sich auf der anderen Seite ein demokratischer Staat unterminieren lassen, um seine hehren Prinzipien nicht zu verletzen, selbst wenn er dabei vor die Hunde geht?

Die Regierung hat recht, dass sie angesichts der Terroranschläge hier nachjustiert und eine neue Balance sucht. Die von der Bundesregierung am Mittwoch vorgestellten Maßnahmen können alle einen Beitrag dazu leisten, dass Österreich besser gegen Terrorattacken geschützt ist – aber die konkrete Ausgestaltung wird zu einer Belastungsprobe für unser gelerntes Rechtsstaatsverständnis werden.

Evidenzbasierte Maßnahmen

Zu Recht spricht die Regierung den Maßnahmenvollzug an, um islamistische Gefährder auch nach Verbüßen ihrer Haftstrafe von der Bevölkerung fernzuhalten. Aber sind sie wirklich als "geistig abnorme Rechtsbrecher" einzustufen, wie der Bundeskanzler andeutet, oder doch eher als "gefährliche Rückfallstäter" (nach zehn Jahren zu entlassen). Und kann man wirklich Gefährder wegsperren, die zwar als Bedrohung gesehen werden, aber bislang noch nie straffällig geworden sind?

Mit dem Ruf nach mehr Überwachung, nach Verbot der Verschlüsselung von Nachrichten ist man rasch bei der Hand. Wir feuern rasch einen Beamten, verschärfen ein, zwei Gesetze, geben uns betroffen und martialisch zugleich – und schon ist alles gut? Mitnichten, Maßnahmenaktionismus ist der Tagespolitik geschuldet. Abseits davon sollte evidenzbasiert und damit transparent ein Bündel an Maßnahmen geschnürt werden, das das Risiko von Gewehrsalven in der Wiener Innenstadt minimiert.

"Wir alle müssen unser Gesellschaftssystem verteidigen, indem wir radikalen Strömungen entgegentreten."

Der Terrorist von Wien hätte sich aber durch drohenden Maßnahmenvollzug und Aussicht auf eine Behördenkonferenz vor seiner bedingten Entlassung nicht von seinem Wüten abhalten lassen. Nur eine umfassende Strategie hilft.

Zivilgesellschaft einbinden

Terrorismusbekämpfung braucht auch eine engagierte und couragierte Zivilgesellschaft, denn ohne die Menschen in unserem Land, die bereit sind, tagtäglich für Demokratie und Humanismus einzustehen, helfen alle anderen Punkte auf Dauer nichts.

Es geht eben nicht darum, dass "der Staat jetzt reagieren muss", das ist in zweierlei Hinsicht zu wenig. Wir alle müssen unser Gesellschaftssystem verteidigen, indem wir radikalen Strömungen entgegentreten. Wir dürfen uns nicht in der liebgewonnenen Lethargie unseres Sozialstaats zurücklehnen: Einmal entsetzt sein, grantig aufschrecken und dann wieder zurückfallen – das reicht nicht. Wir selbst müssen aktiv werden. Terroristen wollen Angst und Panik verbreiten. Wir müssen mit Selbstbewusstsein und Demokratie entgegenhalten. (Georg Krakow, 13.11.2020)