Viele Unternehmen beschäftigen sich derzeit mit einem Horrorszenario. Sollte zu den Corona-bedingten Problemen auch noch ein größerer Mitarbeiteraufall kommen, würde die schwierige Geschäftslage noch einmal beeinträchtigt. Tatsächlich bewegt derzeit eine Frage das Land: Werden die Schulen geschlossen? Nervosität macht sich nicht nur bei Kindern und Eltern breit, sondern auch im Wirtschaftsleben. Ob Handel, Handwerk oder Industrie: Mit betreuungspflichtigen Kindern zu Hause sind viele Mitarbeiter nicht oder nur teilweise einsetzbar.

Wie stark der Einfluss der Schule ist, zeigt die Statistik. Laut Arbeitskräfteerhebung gibt es 1,2 Millionen Erwerbstätige mit Kindern, die unter 15 Jahre alt sind. Am meisten Eltern sind in der Produktion tätig, gefolgt vom Handel. Und: Die drittgrößte Gruppe der Erwerbstätigen mit kleineren Kindern arbeitet im Gesundheits- und Sozialwesen, das angesichts der Anspannung durch Corona schon jetzt besonders gefordert ist.

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Neben der Kinderbetreuung berufliche Dienste zu verrichten sorgt für Stress – und wird den Mitarbeitern von vielen Unternehmen auch nicht zugemutet.
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"Die großen Volkshilfe-Landesorganisationen kämpfen schon derzeit mit den extrem steigenden Corona-Zahlen", so Erich Fenninger, Vorsitzender der Sozialwirtschaft und Chef der Volkshilfe. In der Volkshilfe Steiermark etwa seien rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt, überwiegend in der Pflege, Betreuung und Versorgung alter Menschen. Rund 200 seien derzeit in häuslicher Isolation "und fallen für bis zu zehn Tage aus". Viele der Beschäftigten seien Frauen, die selbst Kinder hätten, teilweise auch noch ältere Angehörige schützen und diese dennoch betreuen müssten. "Das sind enorme Belastungen", so Fenninger. Eine Schließung der Schulen "würde das Versorgungssystem an seine Grenzen und möglicherweise darüber hinaus bringen" fürchtet er.

Auch AMS-Chef Johannes Kopf empfiehlt, die medizinischen Gründe und die Schäden durch etwaige Schulschließungen ganz genau abzuwägen. Einerseits sei Homeschooling – bzw. Distance-Learning – mit Homeoffice nicht vereinbar. Andererseits würden Kinder aus sozial benachteiligten Gruppen von Schulschließungen besonders benachteiligt und auf dem Bildungsweg weiter zurückfallen, warnt Kopf. Auch die Erfahrung mit AMS-Schulungen habe gezeigt, dass die Zahl der Abbrüche deutlich steige, wenn Schulungen teilweise ins Internet verlegt werden. Ob das AMS den Schulungsbetrieb aufrecht erhalten könne, falls die Schulen schließen und auch viele Mitarbeiter des AMS sich vermehrt während der Arbeit um ihre Kinder kümmern müssen, wisse er nicht, so Kopf.

Problematische Terminverzögerungen

Einer von vielen Managern, die von Schulschließungen betroffen wäre, ist Andreas Marchler. Der Geschäftsführer des steirischen Engineeringunternehmens Zeta mit 850 Beschäftigten erzählt, dass zur Durchführung von Projekten jeder Mitarbeiter gebraucht werde. Zeta baut u. a. Anlagen für die Pharmaindustrie, wo Terminverzögerungen besonders problematisch wären. Sie könnten auch Pönalen nach sich ziehen, betont Marchler. Die Kombination von Kinderbetreuung und Arbeit wolle man den Mitarbeitern nicht zumuten. Dass das nicht gehe, habe der erste Lockdown gezeigt.

Manche haben es noch in guter Erinnerung: Kinder bei Laune halten und versorgen und daneben die Krisenbesprechung mit dem Team. Das zehrt an Nerven.
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In der Ersten Group vertritt man die Ansicht, dass Schulschließungen wirklich nur das letzte Mittel sein sollten. Für Unternehmen und die Bankengruppe würden Schulschließungen "eine mittlere Katastrophe und enorme Belastungen der Mitarbeiter" mit sich bringen, wie es Unternehmenssprecher Peter Thier ausdrückt. Die Bank selbst beschäftigt allein in Wien rund 10.000 Mitarbeiter, von denen um die 35 Prozent Kinder in schulpflichtigem Alter haben. Laut Ansicht der Banker würden solche Schließungen die Schul- und Arbeitsleistungen beeinträchtigen, die Belastungen erhöhen.

Ähnlich sieht das der Handel: Spar und Rewe betonen unisono, dass eine Verschärfung der Personalsituation nicht leicht zu stemmen wäre. "Wenn sich das durch eine generelle Schulschließung verstärkt, dann wird das wirklich problematisch", meint Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Auch bei der Drogeriemarktkette DM sähe man sich gefordert, so Sprecher Stefan Ornig: "Wir haben sehr selbstorganisierte Teams, die in Eigenverantwortung ihre Arbeitszeiten selbst und ohne Eingriffe des Managements einteilen können. Wo die Kolleginnen und Kollegen in der Organisation an ihre Grenzen gestoßen sind, galt die Regelung, dass es einen Dienstverhinderungsgrund darstellt, wenn keine Kinderbetreuung vorhanden ist." Mit Sorge sieht man auch beim Möbelriesen Ikea eine mögliche Schulschließung: Wenn ein Großteil der Mitarbeiter die vierwöchigen Sonderbetreuungszeit in Anspruch nehmen würden, stünde man wohl "vor einer Challenge hinsichtlich Dienstzeitenplanung, etc.", heißt es.

Andere wiederum befürchten, dass manches Geschäft unwiederbringlich verlorengehen würde. Bei Lieferverzögerungen würde "das ein oder andere Gerät bei Konkurrenten gekauft", sagt Dominik Santner. Er ist für die Produktion bei der Grazer Anton Paar GmbH zuständig, die Messgeräte herstellt und 3500 Mitarbeiter beschäftigt.

Berechtigte Sorge

Wie viele andere Unternehmen auch, will auch Santner die Belegschaft nicht überfordern: "Von zu Hause aus zu arbeiten, wenn gleichzeitig Kinder zu betreuen sind, hat sich in der Vergangenheit als unmöglich herausgestellt." Die Sorgen dürften nicht ganz unberechtigt sein. Offen ist laut Angaben aus Regierungskreisen nur noch, ab welcher Schulstufe die heimischen Bildungseinrichtungen dichtgemacht werden. (rebu, gra, as, luis, 12.11.2020)