Von der positiven Reaktion der Wall Street zu schließen, gefällt Amerikas Wirtschaftstreibenden die Aussicht auf eine Machtteilung in Washington, bei der die Demokraten das Weiße Haus und das Repräsentantenhaus kontrollieren und die Republikaner den Senat. Damit scheint gesichert, dass der zukünftige Präsident Joe Biden einen gemäßigten Wirtschaftskurs fahren muss und keine der radikaleren Pläne der Parteilinken wie Green New Deal oder drastische Steuererhöhungen für die Reichen umsetzen kann.

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Der zukünftige US-Präsident Joe Biden.
Foto: REUTERS/Jonathan Ernst

In früheren politischen Epochen mag diese Überlegung richtig gewesen sein. Da waren parteiübergreifende Lösungen noch möglich. Doch es gibt kaum Grund zur Hoffnung, dass die Republikaner unter Senatsführer Mitch McConnell und mit einem verbitterten Donald Trump im Hintergrund mit Biden zusammenarbeiten werden. Statt Pragmatismus drohen den USA in den kommenden Jahren Blockade und Stillstand.

Als Präsident kann Biden über Verordnungen und Anweisungen einiges bewirken, so etwa Trumps Willkürprotektionismus in der Außenhandelspolitik beenden. Aber für alles, was Geld kostet, braucht er beide Kammern des Kongresses. Das gilt vor allem für ein Programm zur wirtschaftlichen Erholung in und nach der Corona-Pandemie, über das seit dem Sommer gestritten wird. Ohne dieses droht den USA ein schleppender Aufschwung mit negativen Folgen für Arbeitsmarkt und Armutsentwicklung. Aber was McConnell schon Trump verweigert hat, wird er sicher nicht Biden geben.

Marode US-Infrastruktur

Auch die Hoffnung auf ein großes Investitionsprogramm für die marode US-Infrastruktur dürfte sich zerschlagen haben. Nachdem die Republikaner eine Steuersenkung durchgepeitscht haben, die das Budgetdefizit explodieren lässt, werden sie unter Biden scheinheilig wieder beginnen, sich um die Staatsschulden zu sorgen. Das mag zwar langfristig berechtigt sein, aber der katastrophale Zustand von Amerikas Brücken, Tunnel, Bahnlinien und Straßen verursacht noch viel größere ökonomische Kosten.

Zwar sieht es nach der jüngsten Anhörung nicht danach aus, dass der Oberste Gerichtshof die Gesundheitsreform außer Kraft setzen wird. Aber durch die Sabotage in den Trump-Jahren sind die Lücken im System gewachsen; doch auch die Reform von Obamacare wird warten müssen. Und ebenso wenig wird in der Steuerpolitik eine Korrektur des Ungleichgewichts, das es etwa Trump erlaubt hat, jahrelang keine Steuern zu bezahlen, mit den Republikanern möglich sein.

Den größten Schaden erwartet die US-Wirtschaft in der Klimapolitik. Biden kann dort zwar mit Verordnungen viel von dem wieder richten, was der Klimawandelleugner Trump zerschlagen hat. Aber ohne Gesetze werden die Gerichte querschießen, und den Unternehmen fehlt die Rechtssicherheit. Wie viel sollen sie in Klimaschutz investieren, wenn sie nicht wissen, ob der nächste Präsident nicht alles wieder rückgängig macht? Eine gelähmte Wirtschafts- und Klimapolitik in den USA ist auch für den Rest der Welt keine gute Nachricht. (Eric Frey, 12.11.2020)