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Die Kisten sind bis über den Rand gefüllt: Ausrangierte Radios, Mikrowellen, Computer und Kameras stapeln sich darin zu gewaltigen weiß-grauen Müllbergen. Ein Friedhof, der ständig wächst. Sechs Tonnen Elektromüll landen täglich im Recyclingzentrum im Westen Wiens, rund 13 Prozent des Elektroschrotts der Stadt. "Wenn man hier arbeitet, bekommt man ein Gefühl dafür, wie viel Elektroschrott jedes Jahr anfällt", sagt Sabine Reinprecht, Mitarbeiterin des Recyclingzentrums. Ein paar Geräte werden repariert, vieles muss mühsam aufgebrochen und zerlegt werden.

Rund sieben Elektrogeräte, darunter Kühlschrank, Waschmaschine oder Computer – Handys und Tablets nicht eingerechnet– besitzt jeder österreichische Haushalt im Durchschnitt. Geräte, die immer schneller kaputt, ausgewechselt oder schlicht durch neuere Produkte ersetzt werden. Rund 130.000 Tonnen Elektroaltgeräte fallen pro Jahr in Österreich an. Jedes Jahr produziert die EU um drei bis fünf Prozent mehr Elektromüll als im Vorjahr – so schnell wächst kaum ein anderer Müllberg. Im schlimmsten Fall wird der Elektroschrott illegal nach Afrika exportiert. Aber auch wenn er fachgerecht in Europa recycelt wird, gehen wertvolle Rohstoffe und Energie verloren. Wie kommen wir da wieder raus?

Vieles, was im Elektroschrott landet, funktioniert eigentlich noch. Der Wunsch nach den neuesten Geräten lässt brauchbare Elektronik zu Müll werden.
Foto: iStockphoto

Schuld an der kurzen Lebenszeit sind laut Experten nicht nur die Hersteller, sondern auch die Konsumenten selbst: je rasanter der technische Wandel, desto stärker der Wunsch nach dem neuesten Fernseher, Computer oder Handy. "Bei den meisten Geräten aus der Unterhaltungselektronik ist die Lebensdauer weit länger als die Nutzungsdauer", sagt Peter Jacob, Experte bei der schweizerischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. Tausende Elektro- und Elektronikgeräte hat Jacob bereits auseinandergenommen, um festzustellen, was die Ursache für deren Versagen war. "Für eine geplante Obsoleszenz gibt es in den allermeisten Fällen kein Anzeichen."

Der Mensch will Neues

Die "geplante Obsoleszenz" bezieht sich auf den Vorwurf an Unternehmen, diese würden Elektroprodukte gezielt mittels eingebauter Mängel mit einem Ablaufdatum versehen. Laut Jacob steckt hinter der Kurzlebigkeit keine böse Absicht der Hersteller, sondern ein enormer Kosten- und Preisdruck sowie der rasante technologische Wandel: "Wenn ich heute ein Handy konstruiere, das von den meisten Leuten alle zwei bis drei Jahre wieder erneuert wird, ergibt es wenig Sinn, das Produkt für eine Lebensdauer von 15 Jahren herzustellen, wie es ohne weiteres möglich wäre", sagt Jacob. Das würde die Unternehmen schlicht zu teuer kommen und sei zudem nicht wettbewerbsfähig.

In ein paar Produkten spiele Obsoleszenz aber durchaus eine Rolle, so Jacob. Beispielsweise gibt es Fälle bei Druckern, wo auf der Anzeige schon das Ende der Farbpatronen angezeigt wird, obwohl noch genug Farbe vorhanden ist. Das seien häufig Produkte, bei denen der Umsatz nicht über das Gerät, sondern über die Verbrauchsmaterialien gemacht wird. "Mitunter werden auch Transponder eingebaut, um zu vermeiden, dass von anderen Herstellern entsprechende Patronen eingesetzt werden, die zwar mechanisch passen, die dann aber doch nicht funktionieren sollen", sagt Jacob. Und in Einzelfällen gab es auch Software, die ein Produkt nach einer gewissen Nutzungsdauer gezielt verlangsamten.

Reparatur lohnt sich oft nicht

Auch das Argument, dass früher alles länger gehalten hat, lässt Jacob nicht gelten. "Vor zwanzig Jahren mussten Fernseher alle fünf Jahre repariert werden. Heute sind die Geräte viel energiesparender und wegen der dadurch geringeren Abwärme auch langlebiger." Allerdings seien Fernseher früher auch größere Investitionen gewesen, für die gespart wurde. "Wenn der Fernseher kaputtging, war es selbstverständlich, dass man ihn für die Reparatur zum Fachhändler gegeben hat. Diese Zeiten sind vorbei. Heute würde sich eine Reparatur nicht mehr lohnen."

Und doch boomen Secondhand- und Reparaturservices. Dutzende kleine Reparaturcafés sind vor allem in den Städten in den vergangenen Jahren entstanden. Dort können die Besitzer selbst Hand an ihre mitgebrachten Geräte anlegen. International ist aus den Repair-Cafés eine gut vernetzte Reparaturbewegung hervorgegangen, die auch politisch aktiv ist. Sie fordern seit Jahren von der Politik Regeln für die Haltbarkeit von Produkten und ein "Recht auf Reparatur". Sie dürften die Mehrheit hinter sich haben: Laut Eurobarometer würden 77 Prozent der Menschen in der EU ihre Geräte lieber reparieren als ersetzen, acht von zehn wünschen sich, dass Elektronikgeräte besser reparabel sind.

"Viele Geräte sind schwer zu reparieren", sagt Sabine Reinprecht.
Foto: Jakob Pallinger

Recht auf Reparatur

Für die Reparaturbewegung ist ein Etappensieg in Sicht: Als Teil des Green Deal will die EU ab 2021 zumindest für einige Produkte Standards für Haltbarkeit und Reparaturfähigkeit vorschreiben. Verschleißteile wie Akkus sollen einfacher austauschbar sein, Hersteller müssen bestimmte Ersatzteile bis zu sieben Jahre nach Produktionsende liefern können. Aktivisten und auch dem EU-Parlament geht das nicht weit genug. Letzteres pocht etwa auf eine verpflichtende Angabe der voraussichtlichen Haltbarkeit von Produkten auf der Verpackung.

Auf Kennzeichnung setzt auch Frankreich. Ab kommendem Jahr müssen Smartphones, Waschmaschinen, Fernseher, Computer und Rasenmäher einen Reparatur-Score tragen. Hersteller, die günstige Ersatzteile lange bereithalten oder technische Informationen zur Verfügung stellen, bekommen einen höheren Score auf ihre Produkte.

In Österreich spielt die Reparatur von sogenannten Gebrauchsgütern im Unterschied zu Reparaturen von Fahrzeugen kaum eine Rolle, heißt es in einem aktuellen Bericht des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Ursache dafür sei, dass Produzenten kaum Anreize hätten, reparaturfreundliche Produkte anzubieten. Aber auch Konsumenten hätten wenig Vertrauen in die Reparaturqualität und würden stattdessen eher auf Neukäufe setzen. Die türkis-grüne Regierung will den Österreichern das Reparieren wieder schmackhaft machen.

Das Regierungsprogramm verspricht unter anderem, kleine Reparaturshops und Secondhandware steuerlich zu begünstigen. In Wien zahlt die Stadt seit September zu Reparaturen bis zu 100 Euro dazu. Es ist unübersehbar: Langsam tut sich etwas – und zwar global.

Kreislauf falsch verstanden

Das freut auch Erik Hansen, Leiter des Institute of Integrated Quality Design an der JKU Linz. Von Kreislaufwirtschaft wird in der EU schon lange geredet, bisher meinte man damit aber vor allem Recycling. Bis heute würden alte Handys etwa vor allem geschreddert und erst danach versucht, aus dem Granulat Rohstoffe zurückzuholen. Das meiste geht dabei verloren. "Das ist die niedrigste Form der Kreislaufwirtschaft", sagt Hansen. Zu Recht will sich die EU davon abwenden und mehr auf Reparatur setzen.

Mittelfristig muss auch ein neues Steuersystem her, sagt Hansen. In Reparatur, Wiederaufbereitung und Recycling steckt viel menschliche Arbeit – und die ist teuer. Gleichzeitig sind Rohstoffe und Umweltverschmutzung viel zu günstig. "Dabei müsste es genau umgekehrt sein", sagt Hansen. Mit den Einnahmen aus Umweltsteuern könnten Staaten Lohnnebenkosten senken, um die Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Das würde nicht nur der Umwelt helfen, sondern auch Arbeitsplätze schaffen.

Die Müllberge wachsen immer stärker. Jedes Jahr wird in der EU um drei bis fünf mehr Elektroschrott produziert als im Vorjahr.
Foto: iStockphoto

Arbeitsplätze schaffen will auch das Demontage- und Recyclingzentrum im Westen Wiens. Ein aus alten Elektrobauteilen an die Wand genageltes AMS-Logo verrät den Status des Projekts als Wiedereinstiegsprogramm für Arbeitslose. 18 Mitarbeiter versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Mit Hammer, Zangen und Bohrern werden Radios, Staubsauger oder Mikrowellen in ihre Einzelteile zerlegt. Bei manchen Geräten lassen sich nur mehr einzelne Teile wie beispielsweise Leiterplatten verwerten. Aus anderen Geräten wiederum werden in der Werkstatt neue Produkte wie Notizbücher oder Uhren, aus alten Waschmaschinentrommeln werden Hocker hergestellt. Einige Produkte können wieder vollständig repariert und verkauft werden.

Allerdings stoßen Reparaturwerkstätten bei vielen Elektronikgeräten wie Radios, Fernsehern oder Computern schnell an ihre Grenzen. Materialexperte Peter Jacob kann das gut nachvollziehen. "Viele Geräte sind heute so konstruiert, dass man Einzelteile gar nicht mehr auswechseln kann", sagt er.

Während Elektrogeräte wie Kaffeemaschinen oder Bügeleisen meist noch relativ leicht zu reparieren seien, sind die Elektronikgeräte im Laufe der Zeit zunehmend komplexer geworden. "Früher waren die Geräte aus Standardbauelementen zusammengesetzt. Im Laufe der Zeit wurden einzelne Bauelemente durch integrierte Schaltungen ersetzt, die nur mehr für ein ganz bestimmtes Gerät in kleinen Stückzahlen und nur für kurze Zeit gefertigt werden. Wenn so etwas kaputtgeht, kann man das Gerät auch nicht mehr reparieren", sagt Jacob.

Schreddern letzte Option

Aber auch dann muss es nicht sofort in den Schredder, sagt Hansen. Wenn mit Reparatur gar nichts mehr geht, hilft oft noch Refurbishment oder Remanufacturing. Dabei wird das Gerät professionell zerlegt und mit neuen Teilen ausgestattet – wobei möglichst viele gebrauchte Teile wiederverwendet werden. Bei gewerblichen Fahrzeugen und Maschinen sei das schon gang und gäbe. Sofern Ersatzteile erhältlich sind, ist das auch mit Haushaltselektronik möglich.

Dass es geht, beweist Peter Windischhofer. Angefangen hat alles mit einem gebrauchten iPhone, das sich Windischhofer bei einer Kleinanzeigenplattform kaufte. Nach drei Monaten war das Gerät kaputt – Garantie gab es keine, er blieb auf den Kosten sitzen. 2017 gründete er deshalb den Recommerce-Marktplatz Refurbed. Über 100 Refurbishment-Partner bieten dort instandgesetzte Smartphones, Laptops und sogar Kaffeemaschinen und E-Bikes an – mit Garantie, aber wesentlich günstiger als ein Neukauf.

Leuchtende Augen

Mit der gemütlichen Atmosphäre im Repair-Café hat die Arbeit bei den mittelständischen Partnerwerkstätten von Refurbed wenig zu tun. In abgeschirmten Reinräumen überprüfen Techniker in einem Standardisierten, 40-stufigen Prozess die eingesandte Ware und tauschen gegebenenfalls Teile aus. "Wir wollen das Amazon für Refurbished-Produkte werden", sagt Windischhofer. Inzwischen habe Refurbed bereits 300.000 Kunden.

Das gefällt nicht jedem. "Die Hersteller versuchen uns Steine in den Weg zu legen", sagt der Unternehmer und meint damit besonders Apple. Der iPhone-Hersteller, der inzwischen ein eigenes Refurbish-Programm unterhält, versuche schon seit Jahren Refurbishment zu erschweren – etwa indem Ersatzteile nur an bestimmte Werkstätten geliefert werden.

In den USA hat Apple bereits erwirkt, dass Privatpersonen keine Macbooks mehr auf Amazon Marketplace verkaufen dürfen. Erst kürzlich zwang Apple einen norwegischen Repair-Shop mit einer Markenrechtsklage in die Knie, weil dieser gefälschte Displays verbaut haben soll.

Besonders ärgert Windischhofer, dass sich Apple immer wieder als nachhaltiges Unternehmen darstellt. "Zum Glück", sagt er, "finden unsere Refurbisher meistens trotzdem einen Weg."

Auch wenn Refurbishment aufwendiger ist als Reparieren – laut Windischofer ist ein instandgesetztes Produkt immer noch 70 Prozent klimafreundlicher als ein Neukauf. Um die restlichen 30 Prozent auszugleichen, pflanzt Windischhofer bei jeder Bestellung einen Baum.

Für manche ist Reparieren aber mehr als nur ein Mittel zum Zweck. Für Wolfgang Heckl ist es eine Lebenseinstellung. Heckl ist Biophysiker, leitet das Deutsche Museum in München und veranstaltet dort selbst regelmäßig Repair-Cafés. 2013 erschien sein Buch Die Kultur der Reparatur, und er ist eine bekannte Figur in der Reparaturszene.

Am Telefon spricht er begeistert von den Glücksgefühlen beim Reparieren. "Es vermittelt Welterkenntnis und dass ich etwas verstanden, analytisch gedacht habe, Geduld und Durchhaltevermögen gezeigt habe", sagt Heckl. Schon bei Kindern würden die Augen nach einer erfolgreichen Reparatur regelrecht zu leuchten beginnen. "Und wenn man etwas für andere repariert, bekommt man gleich leuchtende Augen zurück." (Jakob Pallinger, Philip Pramer, 13.11.2020)