Zu Beginn möchte ich gern erklären, was es mit diesem Buch auf sich hat. Menschen, die in den Medien viel Aufmerksamkeit bekommen, müssen sich oft anhören, sie würden sich ständig ins Rampenlicht drängeln und große Momente für die Selbstdarstellung kapern. Man wird berühmt und macht das Beste draus. Man dreht einen Werbespot, bringt ein eigenes Parfüm heraus, macht Geld mit einem Buch oder einer Realityshow. Natürlich nutze auch ich die Gunst der Stunde, aber ich tue dies nicht nur aus eigennützigen Motiven – zumindest hoffe ich das.

Eine kleine, weiße Frau, die Fußball spielt und auch noch laut und lesbisch ist: Megan Rapinoe.
Foto: Lionel Bonaventure

Sie werden viel über meine Kindheit erfahren, über meine Zwillingsschwester Rachael, meine saukomische Mom und meinen durchgeknallten Dad und über meine Höhen und Tiefen in der US-Nationalmannschaft der Frauen. Und während ich Ihre Aufmerksamkeit genieße, möchte ich einige mir wichtige Themen ansprechen, die nichts mit Sport oder meiner Familie zu tun haben.

Als Kind war ich klein für mein Alter und so schüchtern, dass ich mich hinter meiner Schwester versteckt habe. Oft gehörte ich nicht dazu. Obwohl ich von klein auf sportlich war, fehlte es mir lange an Selbstsicherheit. Erst mit achtzehn, am College, ging mir auf, dass ich lesbisch war, meine Güte – sonnenklar, wenn man es im Nachhinein betrachtet! Ich bin immer noch sauer auf meine Familie, dass sie mich nicht früher mit der Nase drauf gestoßen hat.

Das Richtige tun

Wie fast alle in meiner Heimatstadt war auch meine Familie konservativ, sowohl sozial als auch politisch, hängte das aber nie an die große Glocke. Mir wurde vermittelt, ich solle mich gegen diejenigen wehren, die andere piesacken, und ansonsten stets das Richtige tun, was bei meinen Eltern vor allem bedeutete, mir klarzumachen, wie gut wir es hatten. In unserer Familie gab es eine Menge Kinder und wenig Geld, aber wir wuchsen in einem geborgenen, liebevollen Heim auf, und es mangelte uns an nichts. Zudem waren meine Zwillingsschwester und ich aufgeweckt, sportlich und in der Schule beliebt. Wir hatten es extrem leicht.

Außerdem waren wir weiß. Ja, offensichtlich, mögen sich jetzt manche denken, aber ich glaube, viele Weiße machen sich nicht klar, dass wir seit vierhundert Jahren mit eingebauter Vorfahrt unterwegs sind. Bei mir war es jedenfalls so. Nach dem College konnte ich Reden schwingen über Umweltschutz und Frauenrechte, später dann über die Rechte der LGBT-Community und den Gender-Pay-Gap.

Viel länger dauerte es, die unterschwelligen Mechanismen von Macht und Politik zu verstehen und das zu erkennen, was sich außerhalb meiner alltäglichen Erfahrungswelt abspielt. Die Tatsache, dass ich mich hier und jetzt an Sie wenden darf, in einem Buch, für das ich viel Geld bekommen habe und das ich am Ende eines Jahres zu schreiben begann, in dem ich jede erdenkliche Auszeichnung erhielt, ist nicht dem Umstand geschuldet, dass ich so gut Fußball spiele oder, wie Sportler gern sagen, richtig hart gearbeitet habe.

Diese Plattform bietet man mir aus anderen Gründen, unter anderem wegen meines Aussehens und weil ich Dinge verkörpere, die mit meiner Sportart zusammenhängen. Eine kleine, weiße Frau, die Fußball spielt – selbst wenn sie laut und lesbisch ist und sich die Haare pink färbt –, kommt in der Presse anders rüber als beispielsweise ein fast zwei Meter großer, schwarzer Football-Spieler mit Afrofrisur.

Unangenehme Kritik

Bei mir hat es lange gedauert, bis ich so weit war. Manchmal ist es peinlich, Dinge laut auszusprechen. Mehr Geld zu verlangen kann extrem unangenehm sein, genauso unangenehm, wie andere wegen rassistischer Bemerkungen öffentlich zu kritisieren. Die Leute werden wütend. Selbst wenn man sie nicht persönlich anprangert. Es erstaunt mich immer wieder, wie leicht manche Mitmenschen zornig werden, besonders dann, wenn die Kritik von einer Frau kommt. Als professionelle Sportlerin soll ich gefälligst nicht in der Öffentlichkeit fluchen oder zu viel über Politik reden, nach einem Sieg ausgelassen feiern, von mir selbst behaupten, dass ich etwas richtig gut kann, oder Interesse an Geld bekunden. Männer machen Sport aus Leidenschaft und weil sie reich sein wollen, Frauen aus reiner Liebe zu ihrer Disziplin.

Megan Rapinoe, "One Life". Aufgeschrieben von Emma Brockes. € 20,60 / 128 Seiten. Goldmann-Verlag, 2020.
Foto: Goldmann-Verlag

Außerdem darf man die Sympathien der Massen nicht verspielen. Wenn ich mir andere Sportler*innen ansehe, komme ich auf folgende Daumenregel: Hast du es erst zu Ruhm und Ehre gebracht, musst du unter allen Umständen daran festhalten. In den letzten vier Jahren habe ich eine Menge Fehler begangen. Ich bin nicht gerade eine Vorausdenkerin, überlege mir also nicht schon im Vorfeld, was passieren könnte, wenn ich zu verschiedenen Themen politisch Stellung beziehe, habe nicht auf dem Schirm, dass ich damit mein Unternehmen riskiere oder Leute aus Florida bei meinen Eltern anrufen könnten, um zu fragen, was mit mir nicht stimmt.

Ein kleines bisschen Macht

Aber wenn du ein kleines bisschen Macht oder Einfluss hast, dann solltest du andere daran teilhaben lassen. Es reicht schon, offen gegen eine intolerante Bemerkung Stellung zu beziehen, wenn man selbst nicht zu der Gruppe gehört, die angegriffen wird. Oder sich mal die Zeit zu nehmen, über Trayvon Martin, Sandra Bland, Eric Garner, Philando Castile, Walter Scott, Tamir Rice und Michael Brown und andere nachzudenken und sich zu fragen, warum ich im Gegensatz zu anderen auch weiter zur Party eingeladen werde, obwohl ich ihre Namen in der Öffentlichkeit nenne. Manchmal habe ich mit meinen öffentlichen Auftritten oder Äußerungen einen Riesenwirbel ausgelöst, aber wenn jemand im Leben so viel Glück hatte wie ich, ist es ja wohl das Mindeste, den Mund aufzumachen und die Dinge beim Namen zu nennen.

Je mehr man für andere einsteht, desto leichter wird es, für sich selbst einzustehen. Fußballspielen ist meine große Leidenschaft und mein Beruf. Ich habe noch nie etwas anderes gemacht. Ich will spielen und ich will gewinnen, aber mit den Gewinnen – oder Marktrealitäten, wie der Verband es gern nennt –, die ich und meine Mannschaft damit erzielen, möchte ich mir auch eine goldene Rolex kaufen und mich nicht dafür schämen müssen. Ich finde es auch nicht schlimm zuzugeben, dass ich zwar dankbar bin, dass mir dieses Talent und andere Vorteile in die Wiege gelegt wurden, aber den Leuten, die sich an mir und meinen Teamkolleginnen bereichern, keinerlei Dank schulde.

Wertvolles Leben

Als ich mit der US-Auswahl 2019 zum zweiten Mal die Weltmeisterschaft gewann, traten wir im ganzen Land zu einer Reihe von Freundschaftsspielen an. Das war eindeutig ein Siegeszug, doch viel mehr begeisterten mich in diesem Jahr meine vielen Gespräche mit Unternehmer*innen, Wohltätigkeitsvereinen, Schulen und Colleges sowie die Einladungen zu öffentlichen Diskussionen mit anderen Feminist*innen und Aktivist*innen im Kampf für soziale Gerechtigkeit.

Ich sprach darüber, wie wichtig es ist, die Gehälter von Männern und Frauen anzugleichen und Sexismus, Rassismus und Homophobie öffentlich anzuprangern, aber auch über die vermeintlichen Risiken und vor allem die Freuden des gesellschaftlichen Engagements, denn: Helfen macht glücklich! Wenn man anderen die Hand reicht, ist das nicht nur sehr erfüllend, sondern bringt einen auch selber weiter. Wenn du ein Tor schießt und fünfzigtausend Menschen deinen Namen rufen, ist das ein überwältigendes Gefühl, aber meine Torvorlagen erfüllen mich ebenso wie meine Tore.

Die beste Fußballspielerin der Welt bin ich nicht, aber ich stehe weit oben auf der Liste. Da bin ich Expertin. Über alle anderen Themen weiß ich nicht mehr als andere, und ich tue nichts, was andere nicht auch tun könnten. Wir alle verfügen über dieselbe Ressource: unser eines, wertvolles Leben. In diesem Buch erzähle ich, wie ich mein Leben formte, vom ersten Tritt gegen einen Ball bis zu meiner Entscheidung im Jahre 2016, mit der ich meine Karriere riskierte. Und hoffentlich wirft meine Geschichte am Ende eine Frage auf. Was werden Sie tun? (Megan Rapinoe, ALBUM, 15.11.2020)