Es gibt derzeit kaum ein Buch, das besser abbildet, was an Befindlichkeitskämpfen im bundesdeutschen Nachbarland gerade abgeht, als Monika Marons neuestes Werk Artur Lanz.

Gut- gegen Wutbürger, linksgrünversifft gegen ... und so weiter. Während in 953,26 Kilometer Entfernung (das ist die Distanz zwischen Berlin und Minsk) Leute im Gefängnis landen, ohne überhaupt ein Wort gesagt zu haben, stellt man sich hier bei einem gepflegten Glas Wein die bittere Frage: Was darf man denn eigentlich noch sagen?

In Artur Lanz wird bei Austern und Champagner über entmachtete Männer sinniert: Monika Maron.
Foto: Imago

Das treibt die 1941 geborene Monika Maron um, schon seit Jahren beklagt sie einen "eingeschränkten Diskurs" in Deutschland. Gerade erst sorgte die Trennung Marons vom S.-Fischer-Verlag (in dem sie jahrzehntelang veröffentlicht hatte und in dem auch Artur Lanz erschienen war) für einiges Aufsehen.

Grund dafür war ein Essayband Marons in der "Exil"-Reihe der Edition Buchhaus Loschwitz und dem Vertrieb dieser Buchreihe durch den rechtsgerichteten Antaios-Verlag von Götz Kubitschek. Die 79-Jährige wechselte nun zu Hoffmann und Campe.

In Artur Lanz geht es nun aber eigentlich gar nicht darum, dass jemand etwas nicht sagen dürfe. Es ist komplizierter und darin letztlich sehr deutsch: Die Ich-Erzählerin Charlotte Winter, pensionierte Lektorin, die kleine Geschichten verfasst, lernt im Park Artur Lanz kennen, einen Mann um die 50.

Bewährungsprobe

Seit dieser seinen Hund aus einem Rapsfeld gerettet hat, sehnt er sich nach einem Heldenleben. Das kommt nicht ganz von ungefähr, die Namen Artur und Lanz sind Ausweis der Heldenverehrung seiner Mutter: Artus und Lancelot.

Gut, mag man einwenden, den Nachnamen wird sie wohl kaum extra geändert haben. Aber mit solchen Details hält sich Maron nicht auf, vielmehr lässt sie ihre Hauptfigur, nun Stoff für eine Geschichte witternd, anfangen zu recherchieren und sich zu fragen, "was mit den Männern unserer Hemisphäre geschehen war, dass man sie sich als Helden nicht einmal mehr vorstellen konnte, auch nicht vorstellen wollte, weil der Held an sich unter Verdacht geraten war".

Mit so etwas wie kritischer Begriffsanalyse setzt sich Maron gar nicht erst auseinander. Ein Mann ist ein Mann, eine Frau ist eine Frau, ein Held ist ein Held. So ist das.

Weil damit noch kein Roman gefüllt ist, kommt es notgedrungen zur Bewährungsprobe, die dann auch entsprechend bemüht und fast ein wenig lächerlich wirkt: Artur Lanz arbeitet an einem Institut, das an einer Beschichtung für Rotorblätter von Windkraftanlagen forscht, um Insekten und Flugtiere davon fernzuhalten.

Sein Freund und Kollege, ein gewisser Gerald, hat nun auf Facebook, zuerst privat, dann öffentlich und auf Englisch, geschrieben, dass "wir", also Deutschland, "vorwärts ins Grüne Reich" marschieren würden, wenn auch nicht mehr über Autobahnen, sondern über Stromtrassen "der Grünen".

Artur Lanz ist nicht seiner Meinung, und Gerald darf sagen, was er will, jedoch, so macht ihm sein Chef klar, halt nicht unbedingt als Angestellter über seinen Arbeitgeber, wenn ihm sein Job lieb ist. Es geht also streng genommen um Entfremdungszusammenhänge im kapitalistischen System und nicht um eine Meinungsdiktatur.

Monika Maron, "Artur Lanz". € 24,90 / 224 Seiten. S. Fischer, Frankfurt am Main 2020
Foto: S.-Fischer-Verlag

Bei Maron wird daraus jedoch die Bewährungsprobe für den angehenden Helden: Verteidigt er seinen Freund vor dem Tribunal der Kolleginnen und Kollegen? Unter denen befindet sich auch Franziska Schwarz, "von der manche behaupten, durch ihre Adern fließe grünes Blut", und die sich auf Facebook "unter anderem Namen unter seine Freunde geschummelt" hatte.

Unmut über die Welt

Warum sich die gute Frau diese Mühe gemacht haben sollte, bleibt schleierhaft, weil überhaupt alle, die nicht der Meinung von Charlotte Winter, ihrer besten Freundin Lady, Artur oder Gerald sind, zwar ab und an zu Wort kommen, man aber nur aus der Perspektive dieser vier davon erfährt.

Ausgewogenheit wird recht durchschaubar vorgegaukelt, indem etwa der Perser Navid auftaucht, der dann auch einmal etwas sagen darf, nämlich dass selbst er finde, dass nicht alle Muslime integrierbar seien. Ach nee.

Man kann diesem Buch viel vorwerfen, sein seltsames, manchmal nachgerade ignorantes Frauenbild (besonders schön die Stelle mit der "weiblichen Selbstüberhöhung", die nur möglich sei durch von Männern erfundene Haushaltsgeräte), seine unreflektierte Selbstgefälligkeit, wenn bei Austern und Champagner über entmachtete Männer sinniert wird und darüber, dass, wer nicht "schwul, bi, queer oder sonstiges" ist, zum "Feindbild" gehört. Das wirkliche Problem ist, dass dieser Roman nicht nur wahnsinnig larmoyant, sondern auch wahnsinnig langweilig ist. Das liegt an einem handwerklichen Fehler: Die Frage, die hier verhandelt werden soll, steht gar nicht wirklich zur Debatte, was Maron sagen will, steht von Anfang an fest.

In Wahrheit scheint dieses Buch Vehikel für eine Schriftstellerin zu sein, die ihren Unmut über die Welt loswerden will, über Lokale, in denen man nicht mehr rauchen darf und Mitmenschen die, wenn man seine Meinung sagt, nicht begeistert applaudieren, sondern widersprechen. (Andrea Heinz, ALBUM, 14.11.2020)