Simone Feichtner (40) sieht es angesichts der Infektionszahlen kritisch, dass die Schule ihres Sohnes Ferdinand (13) noch immer offen hat.

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Die Haustür fliegt auf, zwei Buben platzen herein, toben und schreien. Schon ist es vorbei mit der Konzentration. Jakob* (14) sitzt gerade in seinem Zimmer, am Laptop läuft eine Videokonferenz. In der Küche nebenan hockt Klara* (16) mit Kopfhörern und Smartphone an einem kleinen Esstisch. Aber nicht um zu surfen, auch sie folgt gerade einer Unterrichtsstunde. "Sobald die Kleinen aus dem Kindergarten nach Hause kommen, wird es laut", sagt Jakob.

Leben am Existenzminimum

Familie Reimann* lebt zu sechst auf 59 Quadratmetern. Durch Homeschooling ist es hier noch enger geworden. Seit die Oberstufen Anfang November geschlossen wurden, sind die beiden Teenager wieder nonstop daheim und lernen auf Distanz. Eigentlich nichts Neues für die Teenies, sie kennen das ja bereits aus dem Lockdown im Frühling. Trotzdem hat sich seither etwas verändert. Klaras Schule hält sich an den regulären Stundenplan, teilweise sitzt sie bis 17 Uhr in Videokonferenzen. Bei Jakob werden jede Woche große Arbeitsaufträge vergeben, auch er lernt von acht Uhr morgens bis nachmittags. Von "Corona-Ferien" sei jetzt jedenfalls keine Rede.

Eigentlich ist der älteste Sohn froh, zu Hause zu sein. Er zählt zur Risikogruppe, in der Schule hätte man darauf nie Rücksicht genommen. Einige seiner Mitschüler weigerten sich bis zuletzt, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, sogar eine Lehrerin habe sich immer wieder negativ dazu geäußert. "Ich habe Angst mich anzustecken. Hier fühle ich mich zumindest sicher."

Schwierige Jobsuche

Mutter Michaela Reimann (39) hat noch größere Sorgen als die, dass ihre ältesten Kinder nun permanent daheim sind. Ende März verlor die Sachbearbeiterin ihren Job, als Grund nannte ihre Vorgesetzte die vier Kinder. Zu dieser Zeit wurden gerade alle Kindergärten und Schulen geschlossen, Michaela musste sich immer wieder freinehmen. Seither ist sie auf Arbeitssuche, schreibt Bewerbungen ohne Ende.

Und ohne Erfolg. "Wer nimmt in dieser Krise eine Mutter mit vier Kindern?", sagt sie. Dass nun wieder die Schulen zugesperrt werden, mache die Situation noch schwieriger. Sie ist verzweifelt, im Dezember endet das reguläre Arbeitslosengeld, dann bekommt sie nur noch Notstandshilfe. Dabei lebt die Familie schon jetzt am Existenzminimum. "Mein Mann ist in Kurzarbeit, uns fehlen über 1000 Euro monatlich zum Leben." Über die Runden kamen sie bisher mit Erspartem. Lebensmittel werden bei Aktionen eingekauft, Vorräte angelegt. "Wir müssen den Gürtel extrem eng schnallen", sagt Reimann. Sie ist wütend, dass die Regierung Familien wie ihre in dieser Krise im Regen stehen lässt. "Ich möchte, dass unser Bundeskanzler einen Monat lang so lebt wie wir, damit er spürt, wie das ist."

Kinder leiden auch

Ähnlich empfindet die 33-jährige Alicia Heinrich*. Die Alleinerzieherin einer Dreijährigen hat einen 40-Stunden-Job. Schon beim ersten Lockdown musste sie Homeoffice und Kind parallel stemmen. "Eine Katastrophe", sagt sie. "Oft bin ich erst zum Arbeiten gekommen, wenn die Kleine im Bett war." Nun habe sie das Gefühl, alles gehe von vorne los: Im Herbst wurde der Kindergarten ihrer Tochter bereits zweimal wegen Covid-19-Fällen geschlossen. Die Grazerin hat keine Kraft mehr. "Sollten sie die Kindergärten komplett zusperren, drehe ich durch."

Die Verlängerung der Sonderbetreuungszeit findet die Qualitätsmanagerin "zwar nett, aber illusorisch". In Wahrheit verlangten Arbeitgeber nämlich, dass man dennoch arbeite. Dann eben von daheim aus – ohne sich Gedanken zu machen, wie das mit einem kleinen Kind gehen soll. Die Alleinerzieherin hat Angst, ihren Job zu verlieren. Sie ist sicher: Einen ständigen Ausfall wegen Kinderbetreuung würde ihr Arbeitgeber nicht gutheißen. Deswegen hat sie genau wie 27.000 andere die Petition gegen die Schließung von Kindergärten und Schulen unterschrieben. Ebenso Michaela Reimann, weil: "Es leiden ja nicht nur die Eltern. Unser Vierjähriger war richtig verhaltensauffällig, als er so lange daheim war. Er wirkte oft traurig, abwesend und dann richtig aggressiv."

Bei Familie Feichtner ist die Situation anders. Der 13-jährige Sohn Ferdinand besucht die vierte Klasse eines Wiener Gymnasiums. Bisweilen wird in den Unterstufen noch Präsenzunterricht abgehalten. Während viele Eltern hoffen, dass dies in den nächsten Wochen und Monaten auch so bleibt, finden es die Eltern von Ferdinand völlig verkehrt. "Schule fühlt sich für uns eher an wie Geiselhaft", sagt Simone Feichtner. "Wir werden über den Präsenzunterricht quasi gezwungen, mit hunderten Haushalten in Kontakt zu kommen." Angesichts der explodierenden Infektionszahlen erscheint ihr der Ruf nach offenen Schulen völlig irrational. "Eine Schule kann nur sicher sein, wenn das allgemeine Infektionsgeschehen niedrig ist. Die Leute, die jetzt wollen, dass die Schulen offen bleiben, waren vergangene Woche für eine Maskenbefreiung aller Schüler. Ohne Maßnahmen geht es aber nicht!"

Geschenk des Zusammenseins

Für die dreiköpfige Familie sei es zwar gerade auch nicht lustig: "Wir gehen seit März komplett in Deckung, haben auf extrem viel verzichtet und unsere sozialen Kontakte quasi auf Null reduziert", sagt Feichtner. Doch die Krise habe auch Positives gebracht: Die Familie verbringe so viel Zeit miteinander wie noch nie. "Mein Mann ist jahrelang gereist und ist jetzt plötzlich viel daheim. Das fühlt sich auch an wie ein Geschenk."

Distance Learning sei kein Thema. Beim ersten Lockdown setzte sich die 40-Jährige morgens mit ihrem Sohn an den Esstisch. Gemeinsam wurde besprochen, was zu tun ist, wo der Teenager Hilfe brauchen könnte. Die selbstständige Produktdesignerin arbeitete dann weiter im Homeoffice nebenan. "Ich weiß, wir sind privilegiert. Aber ich will auch sagen dürfen, dass Homeschooling bei uns kein Problem ist." Ihr Lösungsvorschlag: "Wenn Kinder sich im Distance Learning schwertun und zu Hause nicht die nötige Unterstützung bekommen, weil Eltern etwa arbeiten müssen, sollen sie in die Schule kommen. Dann würden zumindest nicht 25 Kinder zusammen im Raum sitzen." (Nadja Kupsa, 14.11.2020)

*Name von der Redaktion geändert