Fährt Lewis Hamilton in den metaphorischen Sonnenuntergang? Man kann wohl auf Verhandlungstaktik und damit ein "Nein" tippen.

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Istanbul – Es herrscht nicht gerade business as usual, aber mit ein wenig mehr Aufregung war in der Formel 1 vor dem Grand Prix der Türkei schon gerechnet worden. Schließlich kann Lewis Hamilton am Sonntag schon im viertletzten Lauf der Saison (ab 11.10, ORF 1) Sportgeschichte schreiben und Michael Schumachers Rekord von sieben Fahrerweltmeisterschaften einstellen. Doch der Brite schlendert diesem Moment unaufgeregt entgegen.

"Druck, wie ich ihn zum Beispiel vor meinem ersten Titel 2008 empfunden habe, ist nicht notwendig", sagte der 35-Jährige vor dem Trainingsbeginn, "das weiß ich mittlerweile." Er bereite sich daher auf ein "einzelnes, normales Rennen" vor, so wie immer. Wie zum Beweis schickte Hamilton zuletzt tägliche Videos von seinem schlafenden Hund Roscoe um die Welt.

Rundherum wird diskutiert, wie es mit Roscoes Herrl nach dem historischen Coup weitergeht. In nur 13 Worten hatte der Weltmeister zuletzt die Spekulationen um ein Karriere-Ende befeuert. "Ich weiß noch nicht einmal, ob ich nächstes Jahr noch hier sein werde", sagte der Mercedes-Star, angesprochen auf die Zusammensetzung des Werksteams ab 2021.

Viele Reize

Die Aufregung war danach groß, es ist ja auch ungewöhnlich, dass der beste Fahrer seiner Generation beim erfolgreichsten Rennstall dieses Jahrtausends auch Mitte November noch keinen Vertrag für das Folgejahr unterschrieben hat. Hamilton legte zuletzt Wert darauf, dass all das nichts mit Formel-1-Müdigkeit zu tun habe. Doch es gebe eben auch "vieles, was mich an einem Leben nach der Formel 1 reizt. Es gibt mehrere Dinge, die mir wichtig sind."

Der Versuch, die Bedingungen für Menschen auf der ganzen Welt zu verbessern, sei für ihn das Wichtigste. Hamilton hat in diesem Jahr besonders stark gegen Rassismus und Unterdrückung sowie für mehr Diversität Stellung bezogen. Ausdrücklich begrüßt er in Istanbul, dass künftig auch die Frauen-Rennserie "W Series" acht Rennen im Rahmen der Formel-1-Wochenenden bestreitet.

Drei Jahre mehr

Der Verweis auf andere Interessen ist kein reines Pokerspiel, auch wenn die Daily Mail erfahren haben will, dass es zwischen dem Weltmeister und Mercedes um einen Dreijahresvertrag geht, der ihm umgerechnet 133 Millionen Euro bringen könnte.

Viele Argumente für den baldigen Ausstieg gibt es ohnehin nicht. Unter einem weitgehend eingefrorenen Reglement könnte er 2021 erneut im überlegenen Auto sitzen, sein Teamkollege wäre weiterhin Valtteri Bottas, den er bisher stets im Griff hatte. Der Weg zum achten Titel, zum alleinigen Rekord also, scheint frei.

Auch bei Mercedes wirkt man nicht völlig unruhig angesichts der ungeklärten Vertragslage. "Solange es keine Unterschrift gibt, ist nichts sicher im Leben", sagte Motorsportchef Toto Wolff zwar der Sport Bild: "Aber ich bin optimistisch, dass er weiterfahren will, weil wir gemeinsam die Nadel noch weiter bewegen können." Es werde der Moment kommen, "wenn die WM entschieden ist", sagt Wolff, "und danach können wir uns hinsetzen und darüber reden." (lü, 13.11.2020)