Zerstörung in einem Haus in Bergkarabach. Unter den wochenlangen Kämpfen, die erst mit einem Abkommen am Dienstag endeten, hat vor allem die Zivilbevölkerung gelitten.

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In Kəlbəcər zünden Dorfbewohner ihre Häuser an, damit sie nicht in die Hände der Aserbaidschaner fallen, berichtet die BBC.

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Ein Mann montiert vor der Flucht Stromkabel ab.

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Sie haben mir seinen Arm gezeigt, das war das Einzige, was von ihm übrig war", sagt die 31-jährige Valentina und wischt sich die Tränen ab. "Ich habe ihn am Ehering erkannt. Eine Drohne hat ihn getötet. Aber ich hatte noch Glück, andere Frauen können von ihren Männern gar nichts begraben."

Wie zehntausende andere ist Valentina mit ihren Kindern aus Bergkarabach nach Armenien geflohen und wohnt jetzt in einem Hotel in Goris. Das große Gebäude ist bis zum letzten Platz mit Frauen und Kindern gefüllt. Der Besitzer verlangt nichts dafür. Valentinas sechsjährige Tochter spielt, der vierjährige Sohn windet sich auf ihrem Schoß und verlangt nach dem Handy, um Papa anzurufen. "Wie soll ich allein mit den Kindern leben? Mein Mann hat uns ernährt, unser Haus in Askeran ist zerstört", sagt Valentina.

Außerdem steht ihr Haus nun direkt an der sogenannten Kontaktlinie zu Aserbaidschan. Armenien hat den Krieg verloren. Nicht nur die Gebiete um Bergkarabach herum fallen nun dem verhassten Nachbarn zu, sondern auch ein großer Teil von Bergkarabach selbst. Das ist für die Armenierinnen und Armenier etwas Unvorstellbares. Sie siedeln dort bereits seit 2400 Jahren und bildeten auch zu Sowjetzeiten die Mehrheit, nachdem Bergkarabach als autonome Oblast Aserbaidschan zugesprochen worden war.

Wochenlanger Krieg

"Mein Mann lebt, Gott sei Dank! Aber wir sind aus Hadrut, und dort werden jetzt Aseris sein. Wir können nicht mit ihnen zusammenleben, wir können nicht zurück", sagt die 35-jährige Ala, die mit ihren drei Söhnen und der Großmutter geflüchtet ist, und weint.

Der Krieg begann am 27. September und dauerte bis 10. November, als Armeniens Premier Nikol Paschinjan ein Abkommen mit den Präsidenten Aserbaidschans und Russlands unterschrieb. Armenien hatte keine Chance gegen die übermächtigen Waffen der aserbaidschanischen Armee, die von Anfang an die Türkei auf ihrer Seite hatte. Eine Schlüsselrolle spielten Kampfdrohnen, die Aserbaidschan von der Türkei und Israel kauft.

Wir verlassen Goris und fahren nach Karabach. Es geht langsam, die Straße wird von Kolonnen russischer Panzer blockiert. Auch sie sind durch den Latschin-Korridor unterwegs, die einzige Verbindung nach Karabach.

Kämpfen bis zum Schluss

Drei russische Soldaten winken uns durch, kontrolliert werden wir nicht. Wir überqueren eine Brücke, die von einer Rakete stark beschädigt ist. Gleich dahinter leuchtet das frische Rosa von 60 kürzlich erbauten Häusern – vom ersten Haus fehlt nun aber schon wieder die Hälfte.

"Das war eine Grad-Rakete", sagt Aram, eine Kalaschnikow über der Schulter, und ärgert sich über das Friedensabkommen. "15 Jahre lang habe ich mein Leben aufgebaut, meine Kinder sind hier zur Welt gekommen. Wo soll ich neu anfangen? Ich will für das Land kämpfen, in dem ich geboren wurde und gelebt habe. Es macht nichts, wenn ich sterbe. Wir wollten diesen Krieg nicht, aber wenn sie uns angreifen, wollen wir kämpfen, bis zum Schluss."

Aus dem Latschin-Korridor geht es weiter in Richtung der Stadt Schuschi, wo tags zuvor noch schwer gekämpft wurde. Entlang der Straße irren dutzende Gruppen karabachischer Soldaten umher. Sie sind ratlos. "Das ist kein Frieden, das ist Verrat. So viele unserer Freunde sind tot, wir wollen bis zum Ende kämpfen", sagt der Befehlshaber eines Postens acht Kilometer vor Schuschi.

Seine Soldaten haben glasige Augen und liegen müde ums Feuer. Zwei kochen Instantnudeln mit Konservenfleisch. "Auf die Drohnen waren wir nicht vorbereitet. Man hört sie nicht. Sie zerreißen jeden im Umkreis von 20 Metern", sagt einer.

Veraltete Ausrüstung

Die anderen starren ins Feuer. "Unsere Ausrüstung ist schlechter", fährt der Befehlshaber fort. "Ohne die Türkei wäre der Krieg nie so weit gekommen. Ich habe drei tote Araber gesehen, das haben wir an ihren Dokumenten erkannt. Ein Syrer hat sich uns ergeben, er wollte nicht mehr kämpfen."

Dass die armenische Ausrüstung veraltet ist, sieht man auf den ersten Blick. Die meisten Soldaten haben nur einfache Uniformen und eine alte Kalaschnikow. Armenien ist ein armes Land im Vergleich zu Aserbaidschan, das seit Jahren Erdöl und Gas gegen Waffen tauscht.

"Wir fühlen uns miserabel, 18 Tage ohne Schlaf. Wir würden lieber kämpfen, wir kämpfen hier für alle Christen", ärgert sich Menua, ein junger Mann mit Brille, der als Kameramann fürs armenische Fernsehen arbeitet. Im vergangenen Monat hat Menua schreckliche Dinge erlebt. "Wir waren im Wald, plötzlich kam eine Drohne und hat viele zerrissen", erinnert er sich. "Die Infanterie rückte nach und tötete die Verwundeten. Das war keine Schlacht, das war ein Schlachthaus. Ich schätze 4000 bis 5000 tote armenische Soldaten."

Es wird dunkel, unsere Reise endet acht Kilometer vor Schuschi. Die Stadt wurde von Aserbaidschan erobert. Für die Armenier ist sie verloren, so wie ganz Bergkarabach für sie verloren scheint. (Lenka Klicperová und Markéta Kutilová aus Armenien und Bergkarabach, 14.11.2020)