Weil es durch die vielen Covid-Patienten überall an Personal mangelt, werden Pflegerinnen und Pfleger auf andere Stationen versetzt – auch auf die Intensivstation, für die eigentlich eine Zusatzausbildung notwendig wäre.

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Es ist eine Frage, die das ganze Land beschäftigt: Reichen die Intensivbetten in den Spitälern aus, um schwer an Covid-19 erkrankte Menschen aufzunehmen? Oder droht das Horrorszenario, dass Ärztinnen und Ärzte nach Genesungschance des Patienten entscheiden müssen, wer behandelt werden kann und wer nicht?

"Wir fühlen uns verunsichert und alleingelassen."

Der STANDARD hat nachgefragt, wie es um die Situation in den Spitälern – auch abseits der Bettenfrage – steht. Ein Aufruf an Krankenhauspersonal, die aktuelle Arbeitsrealität zu schildern, brachte besorgniserregende Antworten. Obwohl die Betroffenen, die allesamt anonym bleiben wollen, in unterschiedlichen Spitälern und Stationen arbeiten, decken sich viele der Berichte.

"Wir fühlen uns verunsichert und alleingelassen", schreibt etwa ein Krankenpfleger, eine Ärztin stellt fest: "Die Überlastung ist massiv. Wir stehen mit dem Rücken zur Wand."

Ein Überblick, wo es die größten Probleme gibt:

  • Personal

Fehlende Intensivbetten seien nicht das größte Problem, sagt die Oberärztin eines Wiener Spitals. Die nötigen Räume und Geräte ließen sich auftreiben, viel schwerer wiege, dass es an geeignetem Personal fehle: "Da fallen uns frühere Einsparungen auf den Kopf."

Was daraus folgt, beschreiben Spitalsmitarbeiter als "dramatische Umstrukturierungen". Um den Mangel an entscheidender Stelle zu kompensieren, werde nun Personal aus anderen Stationen aufgefordert, Dienste auf der "Intensiv" zu übernehmen.

"Obwohl wir sehr dankbar sind, dass diese Kollegen dazu bereit sind, uns auszuhelfen, sehen wir das dennoch auf vielen Ebenen als sehr kritisch an", schreibt eine Intensivpflegerin. Denn eigentlich ist dafür eine mehrjährige Sonderausbildung nötig. Überdies werde neues Personal normalerweise auf einer Intensivstation drei bis sechs Monate eingeschult – all das sei momentan nicht möglich. Wer etwa aus der Reha komme, erzählt die befragte Ärztin, dem fehle zum Beispiel das Einschätzungsvermögen, ob ein Patient vital bedroht ist oder nicht.

"Man gibt einfach sein Bestes und hofft, dass nix passiert."

Alles basiere auf "Learning by Doing" bei gleichzeitig bestehender vollen Haftbarkeit für Fehler, erzählt eine von einem Aufwachraum in eine Intensivstation versetzte Pflegerin. Und Fehler heiße in dem Fall mitunter, dass ein Patient stirbt: "Man gibt einfach sein Bestes und hofft, dass nix passiert."

Viel zu viele Überstunden würden angesammelt, sagen die Pflegekräfte, die sich beim STANDARD gemeldet haben: "Uns wird gesagt, dass das Arbeitszeitgesetz nicht mehr gilt, daher müssen wir arbeiten kommen – und man tut es, um seine Kollegen nicht im Stich zu lassen und den Patienten noch etwas Qualität zu geben. Die Krankenstände häufen sich auch, da wir ausgebrannt werden."

Bei der steirischen Krankenanstaltengesellschaft Kages etwa appelliert man mittlerweile an die arbeitszeitreduzierte Belegschaft, zum Wohle der anderen Mitarbeiter die Arbeitszeit aufzustocken. Die Kages repliziert: "Es ist richtig, dass ein Aufruf an die mehr als 5000 TeilzeitmitarbeiterInnen der Kages ergangen ist, wo möglich zur Bewältigung dieser Ausnahmesituation das Beschäftigungsausmaß temporär zu erhöhen. Daran können wir beim besten Willen nichts Verwerfliches erkennen."

  • Schutzausrüstung

Tagtäglich ist medizinisches Personal mit positiv getesteten Personen in Kontakt. Da ist es nur logisch, dass die Schutzmaßnahmen hoch sind, damit das Virus nicht für Aus- oder gar Todesfälle unter Ärzten und Pflegekräften sorgt.

Gleich mehrere Krankenpfleger aus verschiedenen Bundesländern berichten aber von unzureichendem Schutz: "Wir bekommen FFP2-Masken, wo auf der Verpackung ‚non-medical‘ steht und welche keinesfalls dicht sind. Damit betreuen wir Corona-positive Patienten", schreibt eine Krankenpflegerin, die in einem Haus des Wiener Gesundheitsverbundes im Aufwachraum arbeitet.

Der Gesundheitsverbund betont, der Aufdruck ‚non-medical‘ bedeute, dass diese Masken im OP, wo es um den Schutz des Patienten geht, nicht zulässig seien: "Nachdem wir mit vielen dieser Fragen seitens der Mitarbeiter konfrontiert werden, haben wir für die Belegschaft bereits vor Monaten eigens eine Internetplattform eingerichtet, wo alle Schutzprodukte mit den jeweiligen Zertifikaten abgebildet sind und deren Schutzwirkung transparent und überprüfbar nachzulesen ist."

Aus einem steirischen Spital berichtet eine Krankenschwester von einem Materialfehler bei FFP2-Masken, wodurch Mitarbeiter in direkten Kontakt mit Clovid-19-Infizierten gekommen seien.

Die steirische Spitalsholding Kages hält dazu fest: "Richtig ist leider, dass es auch Maskenlieferungen gegeben hat, unter denen fehlerhafte waren. Da waren und sind die Mitarbeiter aufgerufen, diese abzuwerfen."

Im Wiener Wilhelminenspital versucht man, die Moral mit Humor hochzuhalten, wie Pflegepersonal berichtet: "Das An- und Ablegen der aufwendigen Schutzausrüstung für die Corona-Infizierten-Station hat bei uns einen eigenen Namen erhalten: An- und Ausdirndln." FFP3-Masken gibt es aber auch für diese Station nicht, berichten Pflegerinnen.

  • Koordination

Der Sommer wurde verschlafen, um wichtige Vorbereitungen für die zweite Infektionswelle im Herbst zu treffen: Dieser Vorwurf ertönt mehrfach vonseiten des Krankenhauspersonals. "Wir bekommen keinerlei Informationen von den Führungskräften, wie viele Covid-Patienten wir im Haus betreuen, wie viele Stationen als Covid Stationen gelten, oder sonstige Informationen bezüglich der täglichen Situation im Haus, was aber natürlich für unsere tägliche Arbeit wichtig wäre", sagt eine OP-Pflegefachkraft im Bereich Orthopädie und Traumatologie in einem Spital des Wiener Gesundheitsverbundes.

"Ich bin überfordert. Mit allem."

Eine Krankenpflegerin, die in einer anderen Wiener Klinik auf der Anästhesie arbeitet, sagt, sie sei "überfordert. Mit allem." Als die Zahlen im Herbst stiegen, sei schnell klargeworden, dass man im Spital darauf nicht vorbereitet war. "Letzte Woche wurden wir langsam aufgeklärt, dass wir bei Eskalationsstufe fünf die vierte Corona-Intensivstation im Haus werden. Aber wann, das ist unklar. Jedes Mal zittern wir, bevor wir in den Dienst kommen."

Die befragte Wiener Oberärztin kritisiert, dass in den Spitälern ein zentrales Bettenmanagement fehle, um die Patienten effizient verteilen zu können. Um herauszufinden, wo es freie Plätze gibt, müsse sie Station für Station durchrufen – und sich nicht selten herumstreiten.

Unverständnis herrscht beim Personal auf der Corona-Station im Wilhelminenspital, weil dort seit einigen Tagen Besuch erlaubt ist. "Bisher war das untersagt. Wir verstehen natürlich die Angehörigen, doch es ist ein enormer Aufwand, nun neben der anfallenden Arbeit auch noch jeden Besucher in Schutzausrüstung zu kleiden, damit er die Station betreten kann. Wir haben 26 Betten, die fast immer belegt sind."

  • Patienten

Mitarbeiter berichten, dass die Spitäler derzeit auch deswegen überfüllt seien, weil viele Patienten kämen, die eigentlich auch zu Hause versorgt werden könnten. "Eine Frau Mitte 50, die nur leichten Husten und am Anfang ein wenig Fieber hatte, lag zwei Wochen bei uns, nur weil sie nicht nach Hause wollte. Ihr Mann ist ein Risikopatient", erzählt eine Pflegekraft.

"Wir werden von Patienten überschwemmt."

Eine "Megaverunsicherung" nimmt die Oberärztin aus Wien wahr: In der Informationsflut rund um das Virus würden sich die Leute nicht mehr auskennen – und so ließen sich 20-Jährige mit Halsweh und 37,2 Fieber mit der Rettung in die Notaufnahme chauffieren. Der Ansturm sei viel größer als bei der ersten Welle im Frühjahr, als sich viele offenbar erst gar nicht ins Spital getraut hätten: "Wir werden von Patienten überschwemmt."

Die Medizinerin führt das auch auf eine schlechte Vorbereitung zurück. Immer wieder berichteten Patienten, dass sie nach Anruf bei der Gesundheitshotline 1450 zwar getestet würden, aber viele Tage auf ein Ergebnis warteten. "Die schmeißen dann die Nerven weg und fahren ins Spital. Allein am letzten Arbeitstag hatte ich sechs solche Fälle."

Ein weiterer Faktor: Die strengen Sicherheitsmaßnahmen belasten Patienten wie Personal gleichermaßen, berichten Pflegerinnen aus der Corona-Station des Wiener Wilhelminenspitals: "Wir sind angehalten, nicht mehr als 15 Minuten in den Zimmern und bei den Patienten zu verbringen, wegen der Ansteckungsgefahr." Viele Patienten hätten dafür aber kein Verständnis und klagten über mangelnde Betreuung.

  • Corona-Tests

Die neuen Antigentests brächten ein zwar schnelles, aber unzuverlässiges Ergebnis, erzählt die Oberärztin. In etwa drei von zehn Fällen stellten sich vermeintlich negative Patienten beim länger dauernden PCR-Test nachträglich als Covid-positiv heraus. Das ziehe einen Rattenschwanz an Folgen nach sich, berichtet sie: Sind die Betroffenen, weil sie Beschwerden haben, auf einer Normalstation gelandet, können sich Mitpatienten angesteckt haben. Alle Kontaktpersonen müssen in Quarantäne.

Eine steirische Krankenpflegerin beschreibt für ihr Spital eine ähnliche Situation: Einerseits arbeiteten sie und andere bei Covid-Patienten, an anderen Tagen auf der Chirurgie-Abteilung. "Das hat in den letzten Tagen dazu geführt, dass plötzlich Patienten auf der Chirurgie, auch in Einzelzimmern, positiv wurden." Die Belegschaft sei nicht getestet worden.

Auch in Wien beschweren sich Pfleger über fehlende Tests "trotz Anlassfällen". Es heiße, solange man selbst symptomfrei ist, könne der Dienst bedenkenlos angetreten werden, sagt eine auf einer Intensivstation Tätige.

Der Gesundheitsverbund betont, dass man sich an die Teststrategie des Ministeriums halte: "Während der Pflegewohnhausbereich die Unterstützung von der Gesundheitsbehörde erhält, haben wir die Testungen im Bereich der Kliniken in Eigenregie zu organisieren, was in einer Organisation mit 30.000 Mitarbeitern eine logistische und organisatorische Herausforderung darstellt." Die entsprechende Testlogistik werde gerade aufgesetzt.

  • Anerkennung

Zwar erhielten die Pflegerinnen und Pfleger im Wilhelminenspital, die seit März auf der Covid-Teststation arbeiten, welche Mitte September zur Infizierten-Station umfunktioniert wurde, im Sommer eine 500-Euro-Corona-Prämie vom Gesundheitsverbund, doch die Infektionszulage, die der Kollektivvertrag eigentlich für diese Arbeit vorsehe, werde ihnen verweigert. Auf Nachfrage habe man ihnen mitgeteilt, dass sie auch nicht damit rechnen sollen.

Eine Pandemie sei eine "absolute Ausnahmesituation, auf die sich kein Gesundheitssystem der Welt personell vorbereiten kann", heißt es vom Gesundheitsverbund Wien, und auch in der Kages ist man sich der Problematik bewusst. "Das Personal in den Spitälern stöhnt aktuell vielfach zu Recht. Isolationspatienten bringen spürbare zusätzliche Belastungen mit sich."

"Schon seit längerem überkommt mich ein Gefühl der Hilflosigkeit,..."

Einer auf einer Wiener Intensivstation tätigen Krankenpflegerin setzt das alles zu: "Schon seit längerem überkommt mich ein Gefühl der Hilflosigkeit, ein Gefühl, nicht gesehen und gehört zu werden, und ein Gefühl, 120 Prozent geben zu müssen, ohne zu wissen, wie lange meine persönlichen Kapazitäten noch dafür ausreichen." (Steffen Arora, Lara Hagen, Gerald John, Walter Müller, 14.11.2020)