Knapper als gedacht ist der Wahlsieg von Joe Biden ausgefallen. Woran das liegt, wollen die Umfrageinstitute nun möglichst rasch herausfinden.

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Acht Prozentpunkte in Wisconsin, sechs in Florida, fünf in Texas – und ungefähr gleich viele auch landesweit und in vielen einzelnen Bundesstaaten. Nate Silver von der Umfrage- und Analyseseite fivethirtyeight.com hat Anfang der Woche aufgelistet, wie deutlich die Befragungen vor der US-Wahl im Schnitt vom wahrscheinlichen Endergebnis entfernt liegen. Das Bild, das sich dabei zeigt, ist kein schönes. Besonders in mehreren wichtigen Swing-States haben die Umfrageinstitute, die diesmal alles besser machen sollten, sogar noch schlechtere Ergebnisse abgeliefert als vor vier Jahren. Fast immer ging der Fehler in eine Richtung. US-Präsident Trump wurde teils deutlich, teils ein wenig unterschätzt. Aber kaum irgendwo war es der spätere Wahlsieger, der Demokrat Joe Biden, den die Umfragen zu schlecht einschätzten.

Wenn man verstehe wolle, woran das liege, so Silver in einem weiteren Tweet, würde es vielleicht helfen, sich das Ergebnis aus dem Bundesstaat Maine anzuschauen. Dort werden die Stimmen der Wahlleute aus beiden Kongressbezirken einzeln vergeben – und wurden daher auch in Umfragen einzeln abgefragt. Das Ergebnis: Im ersten Kongressbezirk, der vor allem die Stadt Portland und deren Umland erfasst, wurde Biden sogar um bis zu drei Prozentpunkten unterschätzt. Aber: Im zweiten Bezirk, der ländlich geprägt ist, überschätzten ihn die Befragungen. Und zwar massiv – nämlich um etwa elf Prozentpunkte. Die Moral, so ist herauszulesen: Die Umfrageindustrie hat weiterhin ein Problem, Wählerinnen und Wähler in ländlichen Gebieten zu erreichen. Also jene, die tendenziell besonders deutlich Richtung Präsident Donald Trumps votieren.

Die Pandemie ist schuld!

Silvers Kollege von der "New York Times", Nate Cohn, hat dazu dieser Tage eine Analyse verfasst, in der er vorsichtig erste mögliche Fehlerquellen anspricht. In vielen Fällen geht es um die Wahlbeteiligung. Hintergrund: Vor allem Mitglieder der "resistance" gegen Trump hätten diesmal offenbar besonders eifrig an Umfragen teilgenommen, Trump-Fans besonders ungern. Und während es 2016 noch keinen nachweisbaren Effekt angeblicher "shy Trump voters" gegeben habe, sei diesmal festzustellen, dass viele den Instituten einfach nicht die Wahrheit gesagt hätten. Alles erklären könne das allein aber nicht.

Cohn nennt aber noch eine andere Fehlerquelle. 2016 habe man zwar bemerkt, dass viele ländliche Wählerinnen und Wähler zu Trump tendierten – man sei aber fälschlich davon ausgegangen, dass diese nicht zur Wahl gehen würden. Diesmal habe man damit gerechnet, dass sie abstimmen würde, ihre politische Einstellung aber völlig falsch eingeschätzt. Und dafür könnte es einen konkreten Grund geben, so Cohn, der sich auch auf die ersten Ergebnisse demokratischer Umfrageforscher beruft: nämlich die Corona-Pandemie.

Trump lag in Hotspots nicht schlechter

Wenn man nämlich Umfragen von Ende 2019, als es noch kein Corona in den USA gab, mit solchen von kurz vor der Wahl vergleiche, dann falle auf: Die mehr als ein Jahr alten Befragungen hatten eine deutlich geringere Fehlerquote als jene, die erst im Oktober dieses Jahres veröffentlicht wurden. Ein Grund dafür könne in der sehr unterschiedlichen Reaktion von Demokraten und Republikanern auf die Pandemie liegen: Demokraten blieben zu Hause und arbeiteten vorrangig aus dem Homeoffice – während Republikaner weiter an ihren Arbeitsplatz gingen. Dort aber, so Cohn, sei die Bereitschaft, sich 20 Minuten Zeit für eine Umfrage zu nehmen, viel geringer. Ein weiteres Indiz dafür: Alle Umfragen hatten vermuten lassen, dass Biden in Corona-Hotspots an Zustimmung gegenüber Trump gewinne. Aber: In den Wahlergebnissen lässt sich ein solcher Trend absolut nicht ablesen.

Sollte sich diese Theorie als richtig – oder zumindest als Teil der Lösung – herausstellen, bliebe aber immer noch ein weiteres Problem, das sich nicht mit Corona erklären lasse, wie Cohn festhält. Die Umfragen hätten auch die Zustimmung für Präsident Trump unter Latinos massiv unterschätzt. Und hatte man anfangs noch geglaubt, dass sich das auf eine Fehleinschätzung konservativ-kubanischer Wähler im Wahlbezirk Miami-Dade begrenzen würde, zeige eine genaue Analyse: Der Fehler zieht sich durch alle Bundesstaaten. Ähnliches ließe sich im Übrigen auch beim Wahlverhalten von Senioren beobachten. Woran das liege? Das müssten erst genauere Nachforschungen ergeben, so Cohns etwas unbefriedigendes Fazit. (mesc, 13.11.2020)